Energie für 2400 Jahre heizt den Boden
Laura GansnerHinter dem Denner in Horn sieht es zur Zeit ziemlich futuristisch aus. In regelmässigen Abständen ragen Elektrosonden aus dem Boden, alle an mehrere Kabel angeschlossen. Darüber schweben Röhren, gestützt von schmalen Pfeilern. Zwei solcher mit einer Art Plane belegter Flächen sind zur Zeit auf dem Raduner-Areal zu finden. Ihr Nutzen: Das Verdampfen von Altlasten durch Erhitzung der Erde. Die Aufbauarbeiten des dafür verantwortlichen Unternehmens Krüger Veolia sind zur Zeit noch am Laufen. «In wenigen Tagen werden wir loslegen können», erklärt Reto Peterhans, Inhaber der Reto Peterhans AG. Als seine Firma vor etwas mehr als 32 Jahren das Gelände der Raduner AG abgekauft hatte, sei ihm nicht bewusst gewesen, dass er ein stark sanierungsbedürftiges Stück Land erwirbt. Dies behauptet Peterhans, obwohl bereits damals bekannt war, dass die Raduner AG mit ihrer Textilveredelung das Gelände stark kontaminiert hatte. «Wir waren damals relativ blauäugig», kommentiert er nüchtern. Dass mehrere Jahrzehnte, gefüllt mit Rechtsstreiten und Unklarheiten über die Verantwortung und Finanzierung der Sanierung, auf ihn warten würden, habe er nicht kommen sehen.
Energiesituation kein Hindernis
Anfang Jahr sah es danach aus, als ob der Sanierung nun nichts mehr im Weg stehen würde. In Zusammenarbeit mit dem Kanton wurde das beschriebene Verfahren ausgewählt, da es als optimal eingeschätzt wurde. Vorbereitungen wurden getätigt, Häuser abgestützt, die Infrastruktur für die Sanierung eingerichtet. «Dann kam die Energiekrise», erinnert sich Peterhans. Der Kanton wollte deshalb prüfen, ob die Durchführung der Sanierung angesichts einer möglichen Energiemangellage sinnvoll sei. Denn bei der Sanierung wird eine Energiemenge von 8,5 Gigawattstunden benötigt. Zum Vergleich: In einem typischen Zweipersonen-Haushalt würde es rund 2400 Jahre dauern, bis diese Energiemenge verbraucht wäre.

Nichtsdestotrotz heisst es Anfang dieser Woche in einer Medienmitteilung der Thurgauer Staatskanzlei: «Das Raduner-Areal muss saniert werden.» Man habe diesen Entscheid aufgrund der in der vergangenen Woche vom Bund veröffentlichten Studie zur Stromversorgungslage im bevorstehenden Winter getroffen, erklärt Marco Sacchetti den Entscheid. Der Thurgauer Generalsekretär des Departements für Bau und Umwelt betont, dass in dieser Studie die Aussicht auf eine Verbesserung der Stromversorgungslage im nächsten Winter nicht besser, sondern eher prekärer sei. Müsste man also die Sanierungsarbeiten anhalten, würden zu der bereits getätigten Investition für den Aufbau der Infrastruktur, die sich laut Reto Peterhans auf rund sieben Millionen Franken belaufen, auch noch Kosten von 120 000 Franken pro Monat für die Instandhaltung der technischen Ausrüstung anfallen. «Und dann wissen wir noch immer nicht, wann und zu welchen Kosten in der Zukunft saniert werden kann», resümiert Marco Sacchetti. Auch Umweltschäden am Material müssten in die Rechnung mitaufgenommen werden, wirft Reto Peterhans seine Bedenken ein: «Alles liegt offen da, wie bei einer Operation am offenen Herz.» All dies würde den Steuerzahlenden treffen, denn 90 Prozent der Sanierungskosten werden von Bund, Kanton und der Gemeinde Horn bezahlt, die restlichen 10 Prozent von der Peterhans AG.
Der Prüfung standgehalten
Die Freigabe des Sanierungsstarts sei in der Gesamtschau die sinnvollste Lösung, so Marco Sacchetti. Dass, obwohl selbst in der Mitteilung des Kantons von möglichen Versorgungsengpässen berichtet wird und die Bevölkerung zur Zeit durch eine Kampagne des Bundes auf den privaten Energieverbrauch sensibilisiert wird. Ein Paradox? Das sieht der Generalsekretär anders: «Aus meiner Sicht haben wir verantwortungsvoll gehandelt.» Genau weil aktuell die Sensibilisierung der Bevölkerung so hoch sei, habe man die Prüfung der Sanierungsdurchführung vorgenommen. Und sei eben zum bereits erläuterten Beschluss gekommen. «Wir sind natürlich froh über den Entscheid des Kantons», teilt Peterhans mit. Sie hätten einen langen Atem gebraucht, aber es ginge nicht anders. Auf die Frage, ob er sich nicht manchmal heimlich gewünscht habe, das Areal nie gekauft zu haben, antwortet er lachend: «Nein, für mich stand immer fest, dass sich alles einrenken wird.» Nun gehe es noch bis im Frühjahr 2023 und dann sei das Gelände saniert. Zur Zeit arbeite man bereits an Gestaltungsplänen für das Areal. «Hoffentlich gibt es dann mal was ‹Gfreuts›.» An eine Pause ist bei der Peterhans AG auf jeden Fall nicht zu denken: Es würden bereits Gespräche zur Umzonung der Parzelle mit der Gemeinde Horn angestrebt, da die im Richtplan vorgegebenen 20 Prozent Gewerbeanteil neben 80 Prozent Wohnanteil als unsinnig empfunden werden. Ziel sei es, das Gewerbe auf 10 Prozent beschränken zu können.