«Liebe muss trainiert werden»
Kim Berenice GeserHerr Forster, leben Sie in einer glücklichen Beziehung?
Hans Jörg Forster: Ja, sofern man das mit dem Glück richtig versteht. Ich kann mir auf jeden Fall keinen besseren Platz vorstellen.
Das war aber nicht immer so, wie Sie in Ihrem jüngst erschienenen Beziehungsratgeber schreiben. Warum sind Sie dennoch geblieben?
Weil ich mit einem gewissen Mass an Realitätssinn an die Sache herangegangen bin. Wer Idealvorstellungen an eine Beziehung stellt, kann daran zerbrechen. Ich wurde mir im Laufe meiner Beziehungskrise bewusst, dass ich viele Ecken und Kanten aus meiner Jugend mitgebracht habe und es an mir liegt, mich mit diesen auseinanderzusetzen, um eine erfüllte Beziehung zu leben.
An Ihnen und nicht an Ihrer Frau. Das ist denn auch der Kernpunkt Ihres Buches: die Selbstverantwortung des Einzelnen in der Paarbeziehung. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Schwerpunkt zu setzen?
Man weiss das ja eigentlich, nicht wahr? Dass man für das Leben selbst verantwortlich ist. Dennoch hat es mich wundergenommen, was das konkret in einer Paarbeziehung bedeutet. Bei meinen Nachforschungen habe ich festgestellt, dass es kaum Fachliteratur zu diesem spezifischen Thema gibt.
Nun könnte man etwas ketzerisch anmerken, dass es bereits zigtausende Beziehungsratgeber gibt. Braucht es da wirklich noch einen?
(lacht) Wie gesagt, das Thema der Selbstverantwortung ist noch zu wenig besprochen. Damit geht viel Hoffnungspotential für die Entwicklung von Beziehungen, auch durch Krisenzeiten hindurch, verloren.
Inwiefern?
Wenn ein Paar als solches kaum mehr gemeinsame Schritte hinkriegt, gibt es immer noch diese Perspektive der Arbeit an sich selbst. Ich arbeite seit 2015 als Paartherapeut und habe in den vergangenen Jahren festgestellt, dass sich Therapiesituationen merklich entspannen, seit ich dieses Thema in den Fokus rücke. Und Beziehungen profitieren davon.
Woran liegt das?
Oft ist es so, dass wir uns in unseren Beziehungen verstellen, uns anstrengen, so zu sein, wie es erwartet wird – von wem auch immer das sein mag. Dass wir verlangen und von uns verlangt wird. Dieser Zustand ist über die Dauer zermürbend und wir verlieren immer mehr den Bezug zu uns selbst. Besinnt man sich in der Therapie dann wieder auf sich selbst, kann man bei sich ankommen. Und das ist die Grundlage, um gesund in Beziehung zu anderen Menschen gehen zu können. Insofern widerspiegelt meine persönliche Erfahrung die meiner Klientinnen und Klienten. Und genau dem wollte ich in meinem Buch konsequent nachgehen.
Sie geben darin auch viel Privates von sich preis. Widerspricht dies nicht dem therapeutischen Kodex?
Doch und in der Therapiesituation lasse ich auch fast alles aussen vor, was mich selbst betrifft. Mit diesem Buch wollte ich den Menschen, die mir täglich ihr Vertrauen schenken, aber auch etwas zurückgeben. Selbst Blösse zeigen, wenn man so will.
Sie geben aber nicht nur sich Blösse, sondern auch Ihrer Frau, beziehen sich doch viele der Beispiele auf Ihre eigene Beziehung. Wie hat sie darauf reagiert?
Sie hat Erfahrung damit (schmunzelt). Wir haben früher gemeinsam Referate gegeben, insofern weiss sie, dass ich in gewissen Situationen sehr offenherzig bin. Aber ehrlich, in den Beispielen komme meist ich als Person schlechter weg! Am Manuskript für das Buch habe ich übrigens drei Jahre gearbeitet und sie hat es erst in der letzten Korrekturrunde gelesen – vorher habe ich kaum etwas davon erzählt – und war begeistert.
Sie haben die Theorie des «Herzkreislaufs der Liebe» entwickelt, wie Sie es nennen. Das klingt nach einem interdisziplinären Ansatz aus Medizin und Romantik. Drückt hier doch noch Ihre Ingenieurlaufbahn aus früheren Jahren durch?
So ungefähr. Ich bin tatsächlich mit einem ingenieurmässigen Zugang an die Thematik herangegangen und habe mir überlegt, an welcher Stellschraube kann ich drehen, damit die Liebe wieder in Fluss kommt und ein Partner wieder mit Hoffnung auf den anderen zugehen kann.
Gehen wir der Sache auf den Grund. Sie haben drei Stellschrauben verortet, die Sie als Lunge, Muskulatur und Nieren bezeichnen. Kein sehr romantisches Bild.
Aber ein effektives! Liebe ist wie die Blutbahn zirkulär, keine Einbahnstrasse. Beginnen wir bei der Lunge, in die das Blut vom Herz gepumpt wird: Erst einmal sollte ich als Person tief durchatmen. Die Lunge mit Luft füllen. Den eigenen Glaubenssätzen über die Liebe auf die Spur kommen und mich fragen: Woher kommen die? Was nützen sie mir? Wohin bringen sie mich? Und das mit Wohlwollen mir selbst gegenüber.
Und von der Lunge geht der Sauerstoff dann in die Muskeln?
Richtig. Das energiereiche Blut fliesst in die Muskeln und schafft den Antrieb. Jetzt geht es darum, in Aktion zu kommen. Denn Liebe, Beziehungen müssen trainiert werden wie Muskeln, sonst erschlaffen sie. Hier geht es um Kommunikation, um die Arbeit an der Beziehung, auch um Sexualität, denn auch sie ist eine Form der Kommunikation. Sie ist der Weg vom Ich zum Du.
Dem Sex widmen Sie aber nur ein Kapitel.
Immerhin. Mir war wichtig, das Thema zu integrieren. Doch Sexualität in der Tiefe zu verstehen und sinnvoll anzuleiten, bräuchte eine weitere Buchveröffentlichung. Und einige gute Bücher sind da schon auf dem Markt.
Zurück zum Kreislauf. Als letzte Station folgen die Nieren. Warum?
Sie entgiften. Es ist normal, dass es in Beziehungen zu Enttäuschungen kommt. Sagt man ja zur Liebe, muss man auch ja sagen zu den Enttäuschungen. Sonst vergiftet sich auf Dauer auch die schönste Liebesbeziehung, wenn man damit nicht rechnet. Im Kern geht es darum, verzeihen zu lernen.
Apropos verzeihen: Sie sprechen im Buch auch das schwierige Verhältnis zu Ihrer Mutter und ihre streng religiöse Erziehung an. Inwiefern hat dies Ihren Werdegang geprägt?
Meine Eltern hatten in Bezug auf ihren Glauben das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Der Glaube soll doch, wenn schon, eine Ressource in der Partnerschaft darstellen. Das wurde später mein Leitstern. Aber als Teenager ortete ich den Glauben oft als die Quelle von Problemen und wurde zum Zweifler. Meine Mutter war auch mitverantwortlich, dass meine soziale Ader, die schon immer ausgeprägt war, zurückstecken musste. Sie befand, dass mein angestrebter Beruf als Lehrer keine Option für mich sei – daher mein Berufsstart als Ingenieur.
Das Theologie- und Psychologie-Studium in späteren Jahren war also die Emanzipation von Ihrer Mutter?
Die Sache mit dem Glauben beschäftigte mich nachhaltig. Ich hatte auch eine Art persönlicher Gottesbegegnung. Und psychologische Fragestellungen hatten mich eigentlich schon immer interessiert, weil ich selbst in meiner Psyche oft litt. Insofern ja, Emanzipation ist in diesem Zusammenhang ein guter Begriff, weil ich mir erlaubt habe, zu mir selbst zu finden.
Sie politisieren heute für die EVP und auch in Ihrem Privatleben spielt der Glaube weiterhin eine Rolle. Wie verträgt sich das mit Ihrer Rolle als Therapeut?
Ich bin christlich geprägt, mache aber keine christliche Therapieform. Der Glaube ist tatsächlich manchmal auch Teil des Problems statt der Lösung, weil nicht richtig hingesehen wird. In meiner Arbeit bin ich Fachperson, aber ich nehme mich als Person natürlich mit.
Paarbeziehung wird im Christentum auch heute noch oft als Beziehung zwischen Mann und Frau definiert. Auch in Ihrem Buch schreiben Sie ausschliesslich von Mann-Frau-Beziehungen. Richtet sich dieses also nur an heterosexuelle Paare und lässt alle anderen Beziehungsformen aussen vor?
Mein Erfahrungsbereich beschränkt sich auf heterosexuelle Paare. Ich verurteile Menschen nicht, die in anderen Beziehungsformen leben. In meinem Buch habe ich es lediglich mit dem Leitsatz «Schuster bleib bei deinen Leisten» gehalten und über das geschrieben, was ich kenne. Ich bin in einer konservativen Welt aufgewachsen und kann Paare in dieser Konstellation am besten unterstützen.
Therapieren Sie damit nicht am Zeitgeist vorbei?
Die Menschen sind erschreckend konservativ, egal, in welcher Beziehungsform sie leben. Hier herrscht eine grosse Diskrepanz zwischen dem öffentlichen Diskurs und dem, was die Menschen in ihren Beziehungen wirklich wünschen. Eifersucht beispielsweise ist ein gängiges Thema, das in allen Beziehungsformen vorkommt.
Zu welchem Zeitpunkt kommen Ihre Klientinnen und Klienten denn zu Ihnen?
Wenn es darum geht, die Beziehungsgrundlagen zu klären. Bei jüngeren Paaren kann dies die Frage sein: Kinder, ja, nein? Bei anderen ist es, wenn die Last der Beziehung zu drücken beginnt. Man hat sich auseinandergelebt und will wissen, was einem noch hält. Oft ist das auch der Fall bei Paaren, nachdem die Kinder ausgezogen sind und man plötzlich auf sich gestellt zurückbleibt.
Welche Frage wird Ihnen in der Therapie am häufigsten gestellt?
Ist eine Beziehung nach einer Affäre noch zu retten?
Und welche würden Sie gerne endlich einmal gestellt bekommen?
Warum ist das mit der Liebe so schwer?
Beantworten Sie beide!
Zur Affäre: Ja, es setzt aber voraus, dass sich beide mit sich auseinandersetzen und das Täter-Opferschema durch Vergebung aufgelöst wird.
Zur Liebe: Weil sie so schön und heikel ist und man sich immer wieder von neuem aufmachen muss, sie zu entdecken. Wäre es einfach, wäre es nicht Liebe. Die heutige Freiheit, verleitet Paare oft dazu, schneller abzuhängen. Damit nehmen sie sich die Chance, etwas über sich persönlich zu lernen. Sich nicht nur als Opfer und die Fehler nur beim andern zu sehen, sondern Selbstverantwortung in der Beziehung zu übernehmen.
Hans Jörg Forsters Buch «Eure Partnerschaft. Deine Herzenssache. – Wie du Liebe wachsen lässt, auch durch Krisen hindurch» ist im SCM Hänssler Verlag erschienen.