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Tierische Gefährten in Krisensituationen

Alexa Bruch hat zwei grosse Leidenschaften: Ihre Hunde und ihr Beruf. Mit «Alexas kleine Tierfarm» in Arbon verbindet sie beides, um Kindern und Jugendlichen in Krisensituationen ein tierisches Auffangnetz zu sein.

Laura Gansner

Zwei hellbraune Augenpaare spähen neugierig vom Hauseingang der Gartenstrasse 7 den gepflasterten Weg hinunter. «Das sind Dr. Cox und Hot Chocolate», stellt Alexa Bruch ihre beiden Hunde vor, während sie in ihre Stiefel schlüpft. Sie muss noch kurz in den Garten, die Stockenten füttern. Normalerweise wäre das die Aufgabe eines der Kinder oder Jugendlichen, die in «Alexas kleine Tierfarm» unterkommen. Denn die Tiere – bei den Enten wohnen zusätzlich noch Hühner; Bruch hofft ausserdem auf die Möglichkeit, ein Pony und ein Esel anzuschaffen – sind keine reinen Nutztiere, sie sind viel mehr Mitarbeitende der Sozialpädagogin. 

Auszeit in «Alexas kleiner Tierfarm»

Seit November leitet Alexa Bruch ihre tiergestützte, sozialpädagogische Wohngruppe mit fünf Plätzen für Kinder und Jugendliche im Alter von elf bis 21 Jahren in Arbon. Einer davon ist ein Kriseninterventionsplatz, der einzige im Kanton Thurgau. Die Plätze sind für junge Menschen, die zwischenzeitlich aus ihrer Familie oder einem Heim heraus müssen, weil sie da nicht mehr bleiben können. «Weil sie selbst in physischer oder psychischer Gefahr sind oder sie sich nicht an die Regeln einer Institution halten», erklärt Bruch.

Alexa Bruch mit ihren beiden tierischen Mitarbeitern Hot Chocolate und Dr. Cox im Wintergarten an der Gartenstrasse 7, welchen sie mit Lernwaben als möglichst lernfreundliche Umgebung für die Kinder und Jugendlichen gestaltet hat.
Alexa Bruch mit ihren beiden tierischen Mitarbeitern Hot Chocolate und Dr. Cox im Wintergarten an der Gartenstrasse 7, welchen sie mit Lernwaben als möglichst lernfreundliche Umgebung für die Kinder und Jugendlichen gestaltet hat.
© Laura Gansner

«Alexas kleine Tierfarm» kann als Angebot zwischen Familie und Heim betrachtet werden. Das Konzept nennt sich fachsprachlich Sozialpädagogische Pflegefamilie Plus. Die Unterbringung und Betreuung der jungen Menschen wird aufgrund von Bruchs beruflicher Qualifizierung vom Kanton finanziell unterstützt. Dass Alexa Bruch in der Umsetzung ihres Angebots nicht nur auf ihre eigene Expertise, sondern auf die Unterstützung ihrer tierischen Gefährten zählt, hat seine Gründe.

Stabilisierungsmassnahme Tier

«Ein Tier teilt seine Bedürfnisse ganz deutlich mit», erklärt Alexa Bruch, als sie nach dem Füttern der Enten am grossen Esstisch in einer Nische im Wohnzimmer sitzt. Vor dem Sofa gegenüber tollen die beiden Hunde herum. «Wie die zwei», sie zeigt auf ihre Hunde. «Sie sind heute noch nicht zu einem grossen Spaziergang gekommen und entsprechend energiegeladen.»

«Ziel ist es, dass sich die Kinder bei mir fangen können und dann gestärkt in ihren vorherigen Alltag zurückkehren können.»
Alexa Bruch

Die Tiere werden dann in die Verantwortung der Kinder und Jugendlichen gegeben. Jemand muss am Morgen die Enten füttern, jemand die Eier der Hühner holen, jemand mit den Hunden raus. Die Tiere geben den Kindern ganz natürlich das, was ihnen bei der Stabilisation in dieser herausfordernden Lebenssituation hilft: Struktur. Alexa Bruchs eigener Anspruch ist dabei das Begleiten, Unterstützen und Ermächtigen der jungen Menschen. «Ziel ist es, dass sie sich bei mir fangen können und dann gestärkt in ihren vorherigen Alltag zurückkehren können», erklärt sie. Aus diesem sollen sie deshalb auch nicht komplett herausgerissen werden. «Gerade heute morgen habe ich eines meiner Kinder auf den Zug gebracht, damit es in einer anderen Gemeinde die Schule weiterhin besuchen kann.» Damit dieses umfassende Betreuungsangebot an der Gartenstrasse 7 funktioniert, muss Bruch vor Ort sein. Und das praktisch rund um die Uhr.

Mehr als 100 Prozent

«Ich bin schon auch ein wenig verrückt, sonst würde ich das nicht machen», lacht die Sozialpädagogin, während sie die Treppe zu den Schlafzimmern ihrer Schützlinge hochgeht. Zum Zeitpunkt des Besuches sind zwei davon besetzt, Anfragen für die anderen Plätze habe sie auch schon. Bruch hat die Zimmer – wie auch den Rest des Hauses – praktisch im Alleingang für ihre Nutzung hergerichtet. «Alle Zimmer sind nach einem eigenen Thema konzipiert», erklärt Bruch, während sie die Tür zum Dschungel-Zimmer öffnet. Die Wand ist mit dunkelgrünen Blättern tapeziert, ein Stoff-Affe baumelt von einem Schrank. Das liebevoll gestaltete

«Ich bin unter anderem deshalb so überzeugt, dass meine Tiere den Kindern gut tun, weil meine Hunde diesen Effekt bei mir immer wieder auslösen.»
Alexa Bruch

Zimmer steht im starken Kontrast zu ihrem zweckmässig eingerichteten Pikett-Zimmer – in einer Pflegefamilie Plus muss durchgehende Betreuung gegeben sein – im Erdgeschoss, welches zugleich ihr Büro ist. «Ich lebe für diesen Beruf, deshalb macht es mir auch nichts aus, so oft hier zu sein.» Ausserdem hat sie bereits zwei - menschliche – Mitarbeitende, die sie zwischendurch ablösen können. Um abzuschalten ist sie dann am liebsten mit Dr. Cox und Hot Chocolate unterwegs. «Schliesslich bin ich unter anderem deshalb so überzeugt, dass meine Tiere den Kindern gut tun, weil meine Hunde diesen Effekt bei mir immer wieder auslösen.»

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