Ein Sabbatical mit Wirkung
Kim Berenice GeserEin Raiffeisen-Mitarbeiter im Sabbatical, ein Arboner Hilfswerk für Kenia und ein zwölf Meter langer Schiffscontainer – das sind die Zutaten, aus denen Geschichte geschrieben wird. Diese hier nahm ihren Anfang, als Frank Schreiner Anfang 2024 nach zehn Jahren bei Raiffeisen Schweiz seine dreimonatige Auszeit plante. «Ich habe mir gedacht, so eine Chance kriegst du nur einmal im Leben, da solltest du was Vernünftiges draus machen», erinnert er sich. Sein Entscheid fiel auf einen Freiwilligen-Einsatz und er wusste auch wo. Seine ehemalige Arbeitskollegin Barbara Fuhrer bietet in einem Berufs-College im kenianischen Jaribuni nämlich genau solche Einsätze an und er meldete sich umgehend bei ihr.
Handwerklich flop, planerisch top
Fuhrer braucht man in Arbon kaum vorzustellen. Sie hat jahrelang im Vorstand des ehemaligen Kulturvereins «Kultur läbt» mitgewirkt, war viele Jahre bei Raiffeisen Schweiz angestellt und ist seit 2011 mit Peter Safari Shehe liiert, der Berühmtheit erlangte, als er 2013 die Wahl ins kenianische Parlament schaffte. Als Angehöriger des Kauma Stammes, Teil der ethnischen Minderheit Mijikenda in Kenia, damals eine Sensation.
Inzwischen ist die 65-Jährige pensioniert und wohnt abwechselnd am Bodensee und im kenianischen Wahlkreis Ganze, wo ihr Mann heute in der Lokalpolitik tätig ist. Gemeinsam gründeten sie vor über zehn Jahren in Arbon den Verein Pro Ganze Kenia. Dieser unterstützt vor Ort bedürftige Menschen nach dem Prinzip «Hilfe zur Selbsthilfe», beispielsweise mit dem Betrieb des Marere Berufs-Colleges. «Als Frank mich anrief, habe ich ihn erst einmal gefragt: Was kannst du denn?» Seine Antwort: Nichts. Zumindest nichts Handwerkliches. Dafür ist er im Planen und Organisieren top. Wie sich herausstellte, waren genau diese Fähigkeiten bei seinem Einsatz für «Pro Ganze» gefragt. Denn kurz darauf trat ein Bekannter mit einer Anfrage an ihn heran.
Leergut gibt es nicht
Dieser verfügte aus der Konkursmasse eines Unternehmens über eine Unmenge an hochwertigen Büromöbeln. «Er fragte mich, ob ich die nach Kenia mitnehmen wolle.» Natürlich, nur war das leichter gesagt als getan. Nach eingehender Recherche entschied man sich für den Kauf eines Schiffscontainers. «Ich war davon anfangs nicht sehr begeistert», berichtet Fuhrer. Der Verein hatte schlechte Erfahrungen mit teuren Bestechungsgeldern gemacht. Doch dank einer guten Partnerfirma liess sie sich auf das Abenteuer ein.
Als jedoch der zwölf Meter lange und drei Meter hohe wie breite Container vor ihnen stand, mussten Fuhrer und Schreiner erst einmal leer schlucken. «Trotz der vielen Büromöbel war da noch endlos Platz», erzählt sie. Platz, den es zu füllen galt, denn bezahlen mussten sie die Transportkosten von rund 14 000 Franken so oder so. Fuhrer: «Also haben wir unser ganzes Netzwerk mobilisiert.» Und das enttäuschte nicht. Aus der ganzen Schweiz kamen Spenden. In Arbon steuerte der Familienverein Kleider aus der Tauschbörse bei; die Stickerei-Künstlerin Ursula Waldburger und Katy Rohner, Inhaberin des Modegeschäft Unikat in der Altstadt und Gründerin von «Swiss Label», spendeten zahlreiche Stoffe; alle Raiffeisen-Kolleginnen und -kollegen wurden mobilisiert und zahlreiche Privatpersonen brachten Sach- und Geldspenden. Am Schluss war der Container proppenvoll und konnte in See stechen.
Reise mit Umwegen
Die Reise führte ihn erst nach Antwerpen und von dort einmal um ganz Afrika herum. «Wegen der Huthi-Rebellen ist der Suezkanal nicht mehr sicher», erklärt Fuhrer die umständliche Route. Es folgte noch ein kurzer Abstecher nach Indien und dann endlich erreichte die gespendete Ware drei Monate später den Hafen von Mombasa. Weil Schreiner sich da bereits nicht mehr in Kenia befand, wartete man mit der Öffnung des Containers bis zu seiner Rückkehr letzte Woche. «Die Menschen flippten aus vor Freude», erzählt Fuhrer. Schreiner bestätigt: «Es war ein halbes Volksfest.» Ein Grossteil der Spenden ging an die 600 Witwen des Bezirks. Die alten Uniformen der Musikgesellschaft Mogelsberg wurden von der lokalen Marschkapelle mit Begeisterung in Empfang genommen und der «Töggelikasten» ist seit Tagen im Dauereinsatz. Und wie ist das Resümee des Initiators? Die Antwort kommt prompt: «Die Aktion war ein voller Erfolg und ich würde es auf jeden Fall nochmal machen.»
Zur Entstehung und der Aufgabe des Vereins
Peter Safari Shehe ist aus Kenia und hat über 20 Jahre in der Schweiz gelebt. Als er sich entschieden hat, seinem Volk etwas Gutes zu tun bewarb er sich als Member of Parliament und wurde 2013 in die Regierung gewählt. Im 2. Wahlgang 2017 war die Korruption gross und er konnte die Wiederwahl nicht gewinnen. Doch mit Pro Ganze setzte er sich weiterhin für die Menschen vor Ort ein. Das Hilfswerk wurde von seiner Lebenspartnerin Barbara Fuhrer 2012 gegründet. Es bewirkt eine Unterstützung bedürftiger Menschen in Ganze, Kenia. Der Verein bezeichnet sich als parteipolitisch, konfessionell und weltanschaulich neutral. Zu seinen Aufgaben zählen die Unterstützung von Hilfsprojekten im Wahlkreis Ganze in Kenia: die Finanzierung und Realisierung konkreter Investitionsprojekte, welche bedürftigen Menschen, besonders Jugendlichen, Kindern und Waisen zu Gute kommen; punktuell finanzielle Unterstützung von Kindergärten und Schulen; Beiträge und Darlehen zum Aufbau von Kleingewerbe-Betrieben sowie Beiträge an medizinische und sanitäre Einrichtungen zur minimalen Grundversorgung bedürftiger Menschen.
Peter Shehe lebt die meiste Zeit vor Ort und Barbara Fuhrer pendelt zwischen der Schweiz und Kenia. Die aktiven Mitglieder von Pro Ganze reisen regelmässig vor Ort und überzeugen sich dort persönlich von den Fortschritten der Projekte. Am 9. August 2022 ist Peter Shehe als «Member of County Assembly» (MCA) für die Region Jaribuni im Kilifi County gewählt worden und wird so für die Gegend viel Veränderung bringen können. Zusammen mit Pro Ganze und der Politik ist er überzeugt, dass viel möglich sein wird.
Über Ganze
Ganze ist ein Gebiet in Kenia, Ostafrika. Es ist ein Teil des Kilifi County und liegt zwischen Mombasa und Malindi etwa 40 Minuten vom Küstenstädtchen Kilifi entfernt im Hinterland. Der Klimawandel ist deutlich spür- und sichtbar. Die Region leidet oft an Dürreperioden aber es regnet auch zu Zeiten, die nicht geplant waren und zwar in einer nie dagewesenen Heftigkeit. Obwohl der Boden fruchtbar ist, fehlen die Bewässerungssysteme und Wasseraufbewahrungssysteme um eine nachhaltige Landwirtschaft zu ermöglichen. Die Menschen wohnen in kleinen Siedlungen, meistens in selbst gebauten Lehmhütten und kochen mit Brennholz oder Holzkohle. In Ganze gibt es keine einzige Stadt. Die erste geteerte Strasse wurde entlang der Grenze von Ganze in 2015 von Peter Shehe gebaut und eingeweiht. Der Wahlkreis Ganze erstreckt sich über 3‘200 km2. Die Bevölkerung ist auf vier Gemeinden, sogenannte Wards, aufgeteilt. Die Bewohner gehören dem Stamm der Mijikenda an. Die Mijikendas setzen sich aus 9 verschiedenen Stämmen zusammen. Es leben ungefähr 150’000 Menschen in Ganze.