Eine arrangierte Ehe – Teil 1
Kim Berenice GeserDie Geschichte nahm ihren Anfang mit einer Verfassungsänderung. Nun ja, streng genommen eigentlich viel früher. Denn besagte Verfassungsänderung gründete auf einem Relikt aus Napoleons Zeiten. Doch so weit in die Vergangenheit soll die Reise nicht gehen. Deshalb macht den Beginn hier das Inkrafttreten der neuen Thurgauer Kantonsverfassung vom 1. Januar 1990. Mit ihr erfolgte der Auftrag an die Gemeinden, den Dualismus von Munizipal- und Ortsgemeinden aufzuheben und politische Gemeinden zu schaffen. Für deren Bildung und die Neuorganisation wurde den Gemeinden eine Frist bis Ende 1999 gesetzt. So wurden zwischen 1995 und 2000 aus 73 Munizipal- und 144 Ortsgemeinden die 80 Politischen Gemeinden, die im Thurgau bis heute Bestand haben. Auch die damalige Munizipalgemeinde Arbon, bestehend aus den Ortsgemeinden Arbon und Frasnacht, gehörte dazu. Ziel der Reorganisation war die Stärkung der Gemeinden und die Vereinfachung der Strukturen. Denn wie das Beispiel Arbon zeigt: Das bis dahin herrschende System war mehr als kompliziert.
Ein politisches Kuriosum
Jede der beiden Ortsgemeinden hatte Aufgaben, welche sie selbständig wahrnahm. Dazu gehörten das Bauwesen, die Versorgung (Wasser- und Elektrizitätswerke), die Entsorgung, sowie die Ortsplanung und das Finanz- und Rechnungswesen. Die Munizipalgemeinde Arbon nahm für die beiden Ortsparteien unter anderem folgende Aufgaben wahr: Einwohner-, Zivil- und Arbeitsamt, die AHV-Zweigstelle, Fürsorge- und Vormundschaftswesen sowie Feuerwehr, Friedhof und Schiessanlagen.
Selbstverständlich verfügten sowohl die beiden Ortsgemeinden als auch die Munizipalgemeinde über eine jeweilige Behörde und eine Verwaltung. Wobei sich die Verwaltungen der Munizipal- und der Ortsgemeinde Arbon wenigsten das Stadthaus teilten. Dennoch war es wahrlich ein grosszügiger Umgang mit Ressourcen. Diesem «politischen Kuriosum», wie es in der Botschaft zur Konsultativabstimmung bezüglich einer Gemeindeorganisation von Arbon und Frasnacht hiess, wollte der Kanton Einhalt gebieten.
Der Kampf beginnt
Das befürwortete auch Christoph Tobler. Der ehemalige Kantonsrat und Stadtammann von Arbon (1985 bis 1999) präsidierte damals die ständige Kommission im Grossen Rat, welche die Gesuche der Politischen Gemeinden prüfte und bewilligte. «Ich habe versucht, die Diskussion um eine Zusammenlegung von Arbon und Frasnacht in Gang zu bringen», erinnert er sich. Dabei stiess er nicht überall auf offene Ohren. Frasnacht hatte damals einen günstigen Steuerfuss, mit den Firmen Bruderer und Arbonia attraktive Steuerzahler und keinerlei Interesse daran, sich von der Stadt Arbon abhängig zu machen. Das machten sie an oben genannter Konsultativabstimmung vom April 1996 auch deutlich: Bei einer Stimmbeteiligung von 48 Prozent sprach sich eine Mehrheit von 85 Prozent der Frasnachter Stimmbevölkerung gegen einen Zusammenschluss aus. Anders sah es bei der Arboner Bevölkerung aus. Hier sagten 82 Prozent Ja zur Fusion (die Stimmbeteiligung lag bei 32 Prozent). Die Tatsache, dass Arbon damals 11 833 Einwohnende zählte, Frasnacht deren nur 1619, mögen diese Zahlen relativieren. Doch wer dachte, dass sich die Ortsgemeinde Frasnacht vom grösseren Nachbarn deshalb einfach so sein Schicksal diktieren liesse, hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Mit der Konsultativabstimmung hatte der Kampf um die politische Eigenständigkeit erst richtig Fahrt aufgenommen.