Generation Z für die Pflege begeistern
Kim Berenice GeserCuraviva Thurgau macht ihre Imagekampagne in Eigenregie, ohne eine Zusammenarbeit mit dem nationalen Verband. Warum der Alleingang?
Volker Vatter: Was Curaviva Schweiz macht, wird regional nicht gleich wahrgenommen.
Marlene Schadegg: Deren Kampagnen sind auch oft zu breit angelegt. Wir haben versucht, mit wenigen Informationen unsere Anliegen gezielt zu vermitteln.
Vatter: ... und uns auf die Pflegeberufe fokussiert.
Statt?
Schadegg: Von aussen wird oft nicht wahrgenommen, dass wir noch viele andere Berufe in unseren Institutionen anbieten, zum Beispiel in der Hauswirtschaft, der Gastronomie oder der Technik. Wir bilden nicht nur Pflegepersonal aus. Doch in diesem Bereich ist dringend Handlungsbedarf angezeigt. Deshalb der gezielte Fokus.
Die Kampagne soll also den leidigen Fachkräftemangel bekämpfen. Wie viele Lernende fehlen im Thurgau aktuell?
Schadegg: Wir brauchen mehr, um die Quote in den kommenden Jahren zu erhöhen. Denn mit der Überalterung der Gesellschaft steigt die Zahl der Bewohnenden stetig an. Zudem gilt es, diese Lernenden auch nach ihrer Ausbildung zu halten. Rund ein Viertel aller Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger egal welcher Berufsbranche wechseln nach der Ausbildung ihren Beruf. Dies ist eine Entwicklung, die sich seit rund 10 Jahren zeigt.
Vatter: Wir müssen folglich die Quantität steigern, um Qualität zu schaffen. Auch weil wir aus dem Pool der Lernenden unsere neuen Fachkräfte schaffen wollen. Leider haben wir immer noch zu wenig Personen, die sich nach einer Grundausbildung in der Pflege weiterentwickeln möchten. Nicht zuletzt im Bereich der Kaderpositionen.
Warum ist das so?
Vatter: Weil damit Verantwortung und Verzicht verbunden sind, vielleicht.
Schadegg: Bezüglich der Weiterbildung stelle ich auch fest, dass nach dem Lehrabschluss zu lange gewartet wird und dann die Familienplanung frühere Weiterbildungspläne durchkreuzt.
Können Sie das ausführen?
Schadegg: Wer nach einer Lehre in der Pflege noch die Höhere Fachschule machen möchte, arbeitet noch einmal drei Jahre zu einem derzeit zu tiefen Lohn. Das ist nicht besonders attraktiv, aber ohne Familie zu bewältigen. Ist die Familie erst da, ist die Hemmschwelle nicht nur aus der finanziellen Perspektive zu hoch. Denn die Weiterbildung ist auch ohne Kinder anspruchsvoll. So verzichten viele Frauen in der Folge auf die HF-Ausbildung.
Dabei sind Pflegeberufe doch für ihre Teilzeitpensen bekannt. Funktioniert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in dieser Branche also doch nicht?
Schadegg: Die funktioniert sehr wohl. Ich habe einige Pflegefachfrauen HF in der «Sonnhalden», die Familie haben. Auch wenn ich zugeben muss, dass wir speziell im Kaderbereich noch Ausbaupotenzial hätten. Aber die Pflege ist ein sieben Tage Betrieb à 24 Stunden. 20-köpfige Teams in einem tiefen Teilzeitpensum zu führen und sich gegenseitig gut abzusprechen, wäre machbar, aber erfordert von allen Beteiligten eine hohe Bereitschaft. Da sind Pensen von 60 bis 80 Prozent einfacher.
Unter Corona hat das Berufsbild der Pflege stark gelitten. Das Personal wurde zwar als Heldinnen und Helden der Krise gefeiert, doch Schlagzeilen machten die verschärften Arbeitsbedingungen mit Überstunden, Personalmangel und zu tiefen Löhnen. Wie schlimm steht es Ihres Erachtens um die Pflegeberufe wirklich?
Schadegg: Ich halte die Pflege für ein sehr attraktives Berufsfeld. Es ist eine sinnstiftende Tätigkeit, die durchaus gut bezahlt wird – gerade für Berufe, die kein Studium einfordern. Eine Fachangestellte Gesundheit verdient direkt nach ihrer Ausbildung 4590 Franken und dies ohne Zulagen, die in der Regel nochmals zusätzliche 200 Franken ergeben. Das ist definitiv mehr als vergleichbare 3-jährige Ausbildungen. Aber das Bild des schlecht bezahlten Pflegepersonals hält sich hartnäckig in den Köpfen der Menschen.
Vatter: Was die Arbeitsbedingungen angeht, so sind diese heute längst nicht mehr so prekär wie während der Pandemie. Aber wie Marlene gesagt hat: Die Pflege ist ein sieben Tage Betrieb à 24 Stunden. Das beinhaltet nun einmal Wochenend- und Abendeinsätze. Aber das weiss man bereits, bevor man sich für eine Stelle in dieser Branche entscheidet.
Schadegg: Dafür kann ich dann zum Skifahren, wenn die Pisten nicht überfüllt sind. (lacht)
Vatter: Wir bedauern uns in unserer Branche eben gerne.
Schadegg: Das stimmt leider. Dabei haben wir ausgezeichnete Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten und zu deren Verwirklichung auch in den meisten Fällen die Unterstützung der Arbeitgebenden. Und es kann sich jeder fähige Mitarbeitende unabhängig vom Pensum weiterentwickeln. Sofern er oder sie das denn auch will.
Dennoch bleibt die Situation in der Gesundheitsbranche auch in Zukunft angespannt. Sie haben es selbst gesagt: Mit der Überalterung steigt die Zahl zu betreuender Personen und der Fachkräftemangel wird durch die geburtenschwachen Jahrgänge noch akzentuiert. Da stellt sich die Frage: Locken diese Voraussetzungen junge Menschen an?
Schadegg: Ich bin in dieser Hinsicht positiv eingestellt. Die heutige Generation stellt sich die Frage: Was ist meine Aufgabe im Leben? Natürlich fordern Pflegeberufe viel, sie geben aber auch mindestens so viel zurück.
Das ist die Botschaft, welche Sie mit der Imagekampagne vermitteln wollen. Wie viele Institutionen beteiligen sich an der Kampagne?
Schadegg: Wir haben das Glück, dass alle 51 Institutionen im Kanton Thurgau auch Mitglied des Verbands sind und sich deshalb auch an der Kampagne beteiligen.
Vatter: Es ist quasi eine freiwillige Verpflichtung. (schmunzelt)
Schadegg: An der Ausbildungswoche, welche am 13. März startet, machen aber nicht alle mit. In Arbon doch vier von fünf Institutionen. Teilweise sind die Institutionen zu klein, um ein solches Engagement stemmen zu können, zum Beispiel das Alters- und Pflegeheim National.
Vatter: Insgesamt beteiligen sich im Oberthurgau von Bischofszell bis Horn elf Einrichtungen an der Ausbildungswoche.
Die Ausbildungswoche ist ein erster Meilenstein im Zuge der neuen Imagekampagne. Was erhoffen Sie sich von diesem Angebot?
Vatter: Die einzelnen Häuser erhalten die Möglichkeit, sich und den Pflegeberuf einem jungen Publikum zu präsentieren. Welcher junge Mensch kommt schon freiwillig auf die Idee, ein Altersheim zu besuchen, wenn nicht gerade Oma oder Opa dort leben? Und welcher junge Mensch kommt auf die Idee, dass hier ein kunterbuntes Leben herrscht? Wir wollen zeigen, dass es sich um einen abwechslungsreichen Beruf handelt und in unseren Häusern auch viele Junge zusammenarbeiten.
Schadegg: ... und Berufe in der Pflege sinnstiftend sind.
Vatter: Genau. Es braucht aber auch Verantwortung und eine gewisse Reife. Man muss kommunizieren können. Denn Pflege besteht nicht nur aus alten und kranken Menschen, sondern auch aus Beziehungs- und Teamarbeit. Das ist vor allem in der Langzeitpflege zentral, in der eng mit Bewohnenden, Familien, Angehörigen und Ärzten zusammengearbeitet wird. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, in welche man gut eingeführt wird.
Jede der teilnehmenden Institutionen hat ihr eigenes Programm zusammengestellt. Können Sie kurz zusammenfassen, was die Besuchenden erwartet?
Schadegg: Wir geben auf kreative Art Einblick in unsere tägliche Arbeit. Dazu gehören witzige Aktionen wie Rollstuhl-Parcours und Foxtrails, aber natürlich auch Rundgänge durchs Haus, Austausch mit Lernenden und Kurzpräsentationen der einzelnen Berufsbilder.
Was unterscheidet die Ausbildungswoche vom Berufswahlparcours, der in Arbon jeweils im Herbst stattfindet?
Schadegg: Beim Berufswahlparcours haben Schülerinnen und Schüler «nur» zwei Stunden Zeit, um Einblick in eine Institution zu erhalten. In der Ausbildungswoche können über mehrere Tage hinweg diverse Häuser besucht werden. Ausserdem richtet sich unser Angebot nicht nur an Schulabgängerinnen und -abgänger und junge Menschen, ihre Bezugspersonen sind ebenso willkommen wie auch Quereinsteiger, die sich einen Jobwechsel in die Pflege vorstellen könnten.
Sie sprachen vorher von Rollstuhl-Parcours und Foxtrails. Teil der Imagekampagne von Curaviva Thurgau sind ausserdem Kurzvideos, welche Lernende im Austausch mit Bewohnenden zeigen. Sie spielen gemeinsam Videospiele, geben Schmink- und Stylingtipps und ein Fitnessworkout. Diese Darstellung ist zwar witzig, entspricht jedoch nicht dem Alltag. Vermitteln Sie hier nicht ein falsches Bild?
Schadegg: Das glaube ich nicht. Unser Hauptanliegen mit dieser Kampagne ist es, für Interessierte einen einfachen Einstieg in die Langzeitpflege zu schaffen. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben. Wir beschäftigen in der «Sonnhalden» auch Zivildienstleistende. Diese fragen in der Regel für einen Einsatz im Technischen Betrieb an, weil sie sich Betreuungsaufgaben nicht zutrauen oder Vorbehalte haben. Merke ich jedoch beim Bewerbungsgespräch, dass die sozialen Kompetenzen für einen Einsatz in diesem Bereich vorhanden wären, schlage ich ihnen einen gemischten Einsatz Betreuung und Technik vor. Mit dem Ergebnis, dass rund 90 Prozent der Zivildienstleistenden im Nachhinein dankbar sind für diese Chance.
Der Zweck heiligt also die Mittel?
Vatter: Wir haben uns rund um diese Kampagne viele Gedanken gemacht, darüber, was die Generation Z bewegt und anspricht. Gleichzeitig wollten wir einen anderen und frechen Zugang schaffen.
Schadegg: Auf den ersten Blick muss eine solche Kampagne heute also «fancy» daher kommen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Aber, und das ist sehr wichtig, auf den zweiten Blick muss dahinter eine sinnstiftende Aufgabe stehen. Junge Menschen wollen heute Berufe ausüben, die erfüllend sind und der Gesellschaft etwas zurückgeben. Und genau das tut die Pflege, gerade im Bereich der Langzeitpflege. Dafür wollen wir die Jungen gewinnen.