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Der älteste Heimweh-Arboner

Kürzlich erhielt das Saurer Museum Arbon hohen Besuch: Albert Honegger ist mit seinen 106 Jahren der älteste ehemalige Saurer-Lehrling, der noch lebt. Einer seiner grössten Wünsche ging an diesem Tag in Erfüllung: Nochmals einen Tag in der Stadt seiner Kindheit zu verbringen.

Laura Gansner

Es scheint, als hätte an diesem Dienstagnachmittag selbst Petrus gewusst, dass der Tag ein besonderer ist. Denn während vor dem Saurer Museum ein gutes Dutzend der freiwilligen Mitarbeitenden des Vereins auf die Ankunft von Albert Honegger warten, wärmen Sonnenstrahlen die Arme, die unter den hellblauen Museums-Uniformen hervorlugen. Vertieft in vorfreudigen Austausch über den zur Zeit ältesten ehemaligen Saurer-Lehrling – «Honegger ist im ehemaligen Restaurant Heimat gross geworden»; «Als ich damals Lehrling war, hat er schon lange nicht mehr hier gearbeitet»; «Ist er vielleicht sogar noch Adolph Saurer persönlich begegnet?» – wird zuerst kaum registriert, dass am Rande des Kiesplatzes vor dem «Saurer Garten» ein Rollstuhl in Richtung Museum geschoben wird. In ihm sitzt der 106-jährige Ehrengast höchstpersönlich, gestossen wird er von Tochter Madeleine Diete, selbst 70 Jahre alt. Gemeinsam mit einer ehemaligen Pflegerin von Honegger, Marie-Therese Gallanti werden sie in der Eingangshalle des Werks 1 von Vereinspräsident Christoph Wolleb begrüsst: «Hier wurde einst für ‹Saurer› produziert, hier lebt der Geist des Unternehmens weiter». Vielleicht sei es ja dieser, der Honegger zu seinem hohen Alter verholfen habe. Darüber kann der 106-Jährige nur lachen.

Zurück in der Heimat

«Sich nicht zu sehr darum sorgen, das ist mein Geheimrezept», verrät Albert Honegger mit unüberhörbarem Schalk in der Stimme, vor ihm wie als Beweis ein Glas Rotwein auf dem Tisch. Dieses ist nur eines seiner täglichen Rituale, wie auch das morgendliche Email-Schreiben an Tochter und Bekannte oder das Zeitung-Lesen. «Wenn er jeweils am Morgen seine Zeitung nicht bekommt, dann macht er schon mal Radau», weiss Marie-Therese Gallanti aus ihrer Zeit als Pflegerin im Altersheim in Uster, in welchem Honegger seit sechs Jahren wohnt. In sein Lese-Repertoire gehört auch der «felix.»; Honegger ist als Heimweh-Arboner seit Jahren Abonnent dieser Zeitung.

Albert Honegger reist mit seinen 106 Jahren immer noch gerne nach Arbon.
Albert Honegger reist mit seinen 106 Jahren immer noch gerne nach Arbon.
© Laura Gansner

Vor exakt 100 Jahren ist seine Familie von Winterthur nach Arbon gezogen, wo er seine Kindheit verbracht und danach während der Hochblüte der Saurer AG die Ausbildung zum Kaufmann im Unternehmen absolviert hat. Fünf Jahre arbeitete er in Arbon, danach zog es ihn nach Zürich, wo er weitere sechs Jahre für «Saurer» tätig war. In der Grossstadt traf er seine Frau, liess sich im Kanton Zürich nieder, gründete eine Familie. Auch wenn er nach seinem Wegzug nie mehr in Arbon gelebt hat, so zieht ihn dieser Ort nach wie vor magisch an. «Es ist wunderschön hier, der Bodensee ...», beginnt Honegger, während sein Blick in Richtung Fenster wandert, vor dem das Gewässer an diesem Tag tiefblau leuchtet. Tochter Madeleine Diete blickt lächelnd auf ihren Vater: «Bis er 99 Jahre alt war, reiste er noch jährlich auf eigene Faust mit seinem GA nach Arbon.» Erst seine Angewiesenheit auf den Rollstuhl setzte seinen selbstständigen Ausflügen ein Ende. Dies scheint der Lebensfreude und Aufgeschlossenheit Honeggers jedoch keinen Abbruch getan zu haben. Nach dem Mittagessen in seiner ehemaligen Arbeitsstätte – Pommes und St. Galler Bratwurst, Honeggers Leibspeise – und einem Café Crème hat er bald einmal genug vom Wirbel um seine Person und macht mit schelmischem Lächeln auf dem Gesicht klar, weshalb er eigentlich hier ist: «Wollt ihr jetzt noch dieses Museum mit mir ansehen oder nicht?»

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