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Der Mechaniker und die Liebe

Ein Tüftler, Unternehmer und Self-Made-Man: Der 85-jährige Paul Bohren blickt auf sein abenteuerliches Leben zurück und hat allen Grund, stolz darauf zu sein. Mit unbeirrbarem Instinkt folgte er stets dem Wunsch nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit.

Alice Hofer

Paul Bohren empfängt mich im Garten, neben grünem Holunder und unreifen Feigen, «die man noch nicht essen kann», wie er zu bedenken gibt, an diesem warmen Junitag. Wir sitzen vor den Büschen im Schatten und reden über seinen Geburtstag. Mit trockenem Humor erzählt er die Erinnerung an seine ersten Atemzüge auf Erden: «Als ich gerade ausgeschlüpft war, drehte ich mich zu meiner Mutter um und wollte Hallo sagen. Da bekam ich als erstes einen Klaps auf den Hintern. ‘Das fängt ja gut an!‘, beschwerte ich mich, worauf sie erklärte: ‘wir müssen nun vorwärts blicken‘!» Dieses Ereignis fand am 25. Juni 1940 in Interlaken statt, auf dem «Bödeli», wie es die Einheimischen nennen, das Gebiet zwischen Thuner- und Brienzersee. Er hatte drei Geschwister, die von der Mutter betreut wurden, während der Vater bei der Brauerei Rugenbräu arbeitete. Indessen, die Einkünfte reichten nicht aus für die Aufzucht der vier Kinder. So kam der Tag, wo der fünfjährige Paul in Interlaken abgeholt wurde auf die lange Reise ins Münstertal, zu einer Pflegefamilie. 

Ein geborener Tüftler

Ein paar Jahre lang lebte er dort in Valchava, einem ruhigen Dorf auf knapp 1500 Meter über Meer und fand es eigentlich ganz schön in Graubünden. Dann kam er zurück nach Interlaken, wo er zur Schule ging und auch konfirmiert wurde. Die Bohrens wohnten im Städtchen unweit der Aare, da konnte man im Sommer auch schwimmen, obwohl es ziemlich gefährlich war wegen der Strömung und der Schleuse. Jedoch, «der Eintrittspreis ins Strandbad Goldey war zu teuer», wie er sagt.

Paul Bohren geniesst den sonnigen Nachmittag im Garten.
Paul Bohren geniesst den sonnigen Nachmittag im Garten.
© Alice Hofer

Schon als Bub war er ein gewiefter Bastler und verstand etwas von Radios und Plattenspieler, die er ebenso zu reparieren wusste. Als junger Mann spezialisierte er sich auf Mechanik und eröffnete in Zürich einen professionellen Service: Reparatur von Transistoren, TV und anderen elektrischen Geräten, auch im Auftrag grosser Warenhausketten wie Migros und ABM. Er hatte ein goldenes Händchen dafür, obwohl er, wie damals noch üblich, vom geborenen Linkshänder zum Rechtshänder gezwungen worden war. «In der Schule wurde ich hart bestraft, wenn ich mit links schrieb, das war grausam.» Dennoch erwies sich nun sein eigenes Geschäft als sehr erfolgreich, er beschäftigte mehrere Mitarbeiter und war ein weit herum bekannter Spezialist. «Oftmals bekamen wir bis zu fünfzig Reparaturen pro Tag. Anfänglich lieferte ich die fertigen Sachen dann mit Velo und Anhänger selber aus. Erst Jahre später konnte ich mir ein Auto leisten», erinnert sich Bohren.

Und dann kam Ursula

Pauls Schwester Georgette war mittlerweile als Au-Pair in San Francisco tätig geworden. Als sie nachhause kam und ihre Freundin Ursula von Arx mitbrachte zu Besuch, begann es sogleich zu knistern zwischen Ursula und Paul. «Ich wusste damals noch nicht, dass es verschiedene Geschlechter gibt, das hatte mir niemand erklärt», meint er verschmitzt, «ich musste alles selber herausfinden». Das gelang ihm dann auch, mit den harmonischen Frequenzen von Ursula, und die Sache kam richtig in Fahrt. «Ich war 26-jährig und hatte noch niemals Urlaub gemacht», konstatiert er. Deshalb beschlossen die beiden, das weite Amerika aus der Nähe zu betrachten, und flogen nach Los Angeles. Man mietete einen Wagen, fuhr kreuz und quer durchs Land, genoss die Freiheit und – heiratete heimlich in Las Vegas, wie es sich gehört. «Ihre Familie war keineswegs einverstanden mit unserer Beziehung», sagt er «ich war auch nach der Hochzeit ‘persona non grata’ für sie. Aber wir waren schliesslich alt genug und mussten niemanden mehr um Erlaubnis fragen.» Das Paar bekam eine Tochter und zwei Söhne. Sie liessen sich in der Alten Mühle in Waldkirch nieder. Paul erweiterte sein Geschäft mit Laden und Werkstatt in Gossau. Er hatte ein halbes Dutzend Angestellte, arbeitete nun auch für Radiohändler und verfügte über 5000 Ersatzteilchen in seinem Lager. «Heutzutage wird ja alles weggeworfen, was nicht mehr funktioniert, auch weil es sogar günstiger ist, Neues zu erwerben. Das ist schade! Damals waren Reparaturen noch rentabel und durchaus üblich», erklärt Bohren. Seine geliebte Ursula musste er letzten August ziehen lassen. Sie verstarb still und leise über Nacht. Geblieben ist ihm die gemeinsame Katze Damien, die ihn tröstet und jeweils zu ihm ins Bett kriecht. So kann er ruhig schlafen. «Ich vermisse meine Frau sehr», sagt er leise, «jedoch in meinem Glauben ist es nach dem Tod nicht einfach fertig. Wir werden uns bestimmt wiedersehen», meint er. Dann fügt er an: «Falls wir uns dann noch kennen… im Alter vergisst man so vieles.» Und da ist wieder dieser leichte Hauch von Ironie, dieses verschmitzte Lächeln, das über Bohrens Gesicht huscht, während er in der Sonne blinzelt. «Ich werde ja auch schon bald 100, das dauert nicht mehr lange», meint er. Und was möchte Paul Bohren heute der jungen Generation mit auf den Lebensweg geben? «Wir können viel lernen von den Tieren, die uns umgeben», sagt er. «Ich meinerseits kann stundenlang den Ameisen zusehen, so faszinierend sind sie!»

Menschen erzählen ihre Geschichten

In der Serie «Lebenslinien» lädt «felix. die zeitung.» die ältere Leserschaft (ab 65 Jahren) zum Gespräch ein. Erzählen Sie uns Ihre Erlebnisse, Einsichten und Weisheiten. «felix.»-Reporterin Alice Hofer besucht Sie gerne in Ihrem Daheim. Die Porträts erscheinen in lockerer Reihenfolge in der Zeitung. Wenn auch Sie etwas aus Ihrem Nähkästchen plaudern wollen, melden Sie sich bei uns per Mail an hofer@mediarbon.ch oder telefonisch unter 071 440 18 30.

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