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Die dunkle Seite des Lichts

Künstliches Licht macht es den Menschen möglich, das Leben unabhängig vom natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus zu gestalten. Weshalb dies nicht nur Vorteile hat, erklärt Urs Capaul in seinem Vortrag morgen im Schloss Arbon. In diesem Interview gibt er vorab einen Einblick in die Thematik der Lichtverschmutzung.

Laura Gansner

Aktuell werden die Tage kürzer, die Nächte länger. Doch dank dem Zugang zu künstlich erzeugtem Licht, können Menschen ihren Alltag bestreiten wie bisher und diesen Wechsel im Lichtverhältnis ignorieren. Welche Anzeichen gibt es, dass die Umgehung des natürlichen Rhythmus nicht funktioniert, ohne dass dies Auswirkungen auf die Natur hat?

Urs Capaul: Ein eindrückliches Beispiel sind für mich Laubbäume, die in der Nähe von Strassenlampen stehen. Es ist im Herbst jeweils zu beobachten, dass im Bereich des Lichtwurfs die Bäume ihre Blätter viel länger behalten als dort, wo sie nicht angestrahlt werden. Das kann zu Problemen führen.

Was passiert denn, wenn ein Baum seine Blätter im Herbst nicht rechtzeitig los wird?

Ein Baum verdunstet aufgenommenes Wasser über seine Blätter. Im Winter steht ihm weniger Wasser zur Verfügung, weil dieses teilweise gefriert. Also wirft er seine Blätter vorsorglich ab, um nicht zu verdursten. Wenn das aber nicht passiert, zum Beispiel aufgrund des Einflusses einer künstlichen Lichtquelle, nimmt der Baum weit über das Ende der warmen Jahreszeit Wasser auf. Dies führt dazu, dass der Baum bei einem Kälteeinbruch durch das in ihm gefrierende und sich ausdehnende Wasser gesprengt werden könnte.

Kann man aus diesem Beispiel schliessen, dass es sich bei der Lichtverschmutzung um ein «zu viel» an Licht handelt?

Nicht nur. Es geht auch stark um die Frequenzen des Lichtes. Je kälter, sprich je mehr Blauanteil ein Lichtspektrum aufweist, desto problematischer ist dieses für Mensch und Umwelt. Je mehr Gelbanteil im Licht ist, desto weniger problematisch.

Eine im öffentlichen Raum grossflächig vorhandene Lichtquelle sind Strassenlaternen. Wie steht es um deren Blauanteil?

Früher wurden die Strassen mit Natriumdampflampen beleuchtet, deren Lichtspektrum deutlich mehr Gelb- als Blauanteil enthält. Ganz im Gegenteil zu den neuen LED-Lampen, die unter anderem aus energetischen Gründen die Natriumdampflampen abgelöst haben. Bei vielen von diesen ist es jedoch so, dass der Blauanteil sehr hoch ist. Das ist für Nachttiere wie zum Beispiel Nachtfalter schädlich. Die Nachtinsekten werden von den Lichtquellen fast magisch angezogen, so dass viele von ihnen die Strassenlaternen umkreisen, bis sie vor Erschöpfung verenden.

Die Nacht ist kaum noch dunkel: Künstliches Licht vertreibt die natürliche Nachtdunkelheit immer mehr.
Die Nacht ist kaum noch dunkel: Künstliches Licht vertreibt die natürliche Nachtdunkelheit immer mehr.
© Kevin Fitzi

Laut Angaben des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) ist im schweizerischen Mittelland seit 1996 kein Quadratkilometer mit Nachtdunkelheit mehr auffindbar, im Jura seit 2008. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass beispielsweise im Kanton Jura eine Bevölkerungsdichte von 89 Einwohnenden pro Quadratkilometern besteht. Zum Vergleich: In Arbon liegt die Einwohnerdichte bei 2577, in Roggwil bei 552 Einwohnenden pro Quadratkilometer. Wie kommt es, dass selbst in weniger dicht besiedelten Gebieten so viel Licht vorhanden ist?

Das liegt unter anderem daran, dass das Licht unglaublich weite Distanzen überwinden kann. Es bestehen Fotoaufnahmen, die von Sateliten geschossen wurden. Diese zeigen Europa bei Nacht. Darauf sind aufgrund der Lichtemissionen zum Teil einzelne Brücken zu erkennen, obwohl die Bilder aus 900 Kilometer Entfernung zur Erde geschossen wurden. Es gibt aber noch ein weiteres einflussreiches Phänomen: die Lichtüberlagerung.

Das heisst konkret?

Verschiedene Quellen von Licht können sich überlagern, selbst wenn sie bis zu 50 Kilometer voneinander entfernt sind. Das hat zur Konsequenz, dass es am Ort der Überlagerung heller wird, selbst wenn dort keine Lichtquelle vorhanden ist.

Zu so einer Überlagerung kommt es ja wahrscheinlich andauernd.

Exakt. Um dies nicht noch zu verstärken, sollte darauf geachtet werden, dass Naturräume möglichst wenig belastet sind mit Licht. Denn die Natur braucht zwar den Tag, sie braucht aber auch die Dunkelheit der Nacht.

Wie gelingt das?

Ein wichtiger Punkt ist, dass nur beleuchtet wird, was auch wirklich beleuchtet werden muss, zum Beispiel aus Sicherheitsgründen. Wenn man Wege hat, von denen man weiss, dass sie häufig auch nach Einbruch der Dunkelheit benutzt werden, dann sind die selbstverständlich zu beleuchten. Aber man kann dies umweltfreundlich gestalten, indem beispielsweise die Lichtquelle so ausgerichtet wird, dass das Licht von oben nach unten auf den Weg fällt. So wird verhindert, dass es weit in die Ferne strahlt. Eine weitere Möglichkeit ist die dynamische Beleuchtung, welche anhand einer Radarsteuerung den Weg immer gerade so weit ausleuchtet, wie es für die Fussgängerin oder den Fussgänger nötig ist.

Über Urs Capaul

Urs Capauls Lebenslauf passt nicht auf ein paar Zeilen, aber dafür die wichtigsten Eckpunkte: Von 1991 bis 2019 war er als Stadtökologe für die Stadt Schaffhausen tätig. 2001 wurde er als Parteiloser in den Schaffhauser Kantonsrat gewählt, in welchem er seither ohne Unterbruch tätig ist, wobei seine Themenschwerpunkte Natur, Kreislaufwirtschaft und Naturschutz sind. So erstaunt es auch nicht, dass er seit 2021 als Co-Präsident im Vorstand von Pro Natura Schaffhausen tätig ist. 

In Arbon ist Lichtverschmutzung unter anderem aufgrund von Bauvorhaben wie dem Riva oder dem Stadthof, welche mit bis zu 43 respektive 28 Metern in die Höhe ragen werden, ein aktuelles Thema. Wie kann bei solchen Bauvorhaben darauf geachtet werden, die Lichtemissionen möglichst gering zu halten?

Das ist ganz einfach: Rollläden montieren. Natürlich müssen die zukünftigen Bewohnenden dann diese in der Nacht auch herunterlassen oder alternativ ihre Vorhänge zuziehen. Denn wichtig ist, dass möglichst wenig Licht von innen nach aussen dringt.

Ganz allgemein gesprochen: Welche Massnahmen müssten verordnet werden, damit die Lichtverschmutzung nicht Überhand nimmt?

Die hat bereits Überhand genommen. Aber es gibt gute Ansätze. Die Stadt Bern hat ein ausgezeichnetes Lichtreglement in Kraft gesetzt, in welchem die Stadt in verschiedene Gebiete aufgeteilt wird. Je nach Gebiet sind unterschiedliche Lichtquellen und –verhältnisse zugelassen. Das ist eine Art, wie Lichtemissionen spezifisch vermindert werden können. Grundsätzlich ist dies aber auch bereits im schweizerischen Umweltschutzgesetz festgehalten.

Licht wird darin nicht wörtlich genannt, sondern nach Angaben des BAFU unter dem Stichwort «Strahlen» aufgeführt. Lichtemissionen sollen demnach mit Massnahmen direkt an der Quelle begrenzt werden. Wird das ausreichend umgesetzt?

Im Umweltschutzgesetz (USG) heisst es, dass sämtliche Strahlungen vorsorglich soweit eingegrenzt werden müssen, als dass dies technisch möglich und wirtschaftlich tragbar ist. Die Thematik ist also gesetzlich klar geregelt, was übrigens auch weit über das USG hinaus geht. Es gibt verschiedene SIA-Vorschriften rund ums Thema Lichtverschmutzung; eine Kommission für Licht erarbeitet Vorschläge zur Reduzierung der Lichtemmissionen; es existieren sogar verschiedene Bundesgerichtsurteile zur Thematik. Zum Beispiel wird in einem davon spezifisch die Dauer der Weihnachtsbeleuchtung festgelegt: Die Beleuchtung darf frühestens vom 1. Advent bis spätestens 6. Januar installiert sein. Aber nein, an vielen Stellen werden die Massnahmen zur Verhinderung von Lichtverschmutzung nicht wirklich umgesetzt.

Der Munot, das Wahrzeichen von Schaffhausen, wurde bis 2019 mit Quecksilberdampflampen beleuchtet (Bild). Aufgrund des Verbots dieser Beleuchtungsart erstellte ein Lichtplanungsbüro ein neues Beleuchtungskonzept. Bei der Erstellung des Konzepts wurde mit einberechnet, dass der Munot auch Lebensraum unterschiedlicher Tierarten ist, was ausschlaggebend für das heute warme, goldweisse Licht der Beleuchtung ist.
Der Munot, das Wahrzeichen von Schaffhausen, wurde bis 2019 mit Quecksilberdampflampen beleuchtet (Bild). Aufgrund des Verbots dieser Beleuchtungsart erstellte ein Lichtplanungsbüro ein neues Beleuchtungskonzept. Bei der Erstellung des Konzepts wurde mit einberechnet, dass der Munot auch Lebensraum unterschiedlicher Tierarten ist, was ausschlaggebend für das heute warme, goldweisse Licht der Beleuchtung ist.
© z.V.g.

Woran liegt das?

Das hat verschiedene Ursachen. Erstens ist da ein gewisses Desinteresse gegenüber der Thematik vorhanden. Zweitens fehlt vielen Personen das Wissen. Viele sind sich tatsächlich nicht bewusst, welche Auswirkungen Lichtverschmutzung haben kann. Und drittens geht die Werbung in eine ganz andere Richtung. Nehmen wir das Beispiel der Lichterdekoration im Garten. Ob in Online-Shops oder im Baumarkt, man wird überflutet mit einer riesigen Auswahl an Lämpchen und Lampen. Aber über die Auswirkungen in Bezug auf das Lichtverhältnis findet man keinen einzigen Satz.

Sie waren fast dreissig Jahre lang als Stadtökologe für die Stadt Schaffhausen tätig. Wie haben Sie selbst die Veränderung rund um den Umgang mit dem Thema Lichtverschmutzung wahrgenommen?

Die öffentliche Hand bemüht sich schon lang, Lichtverschmutzung zu reduzieren. Aber wo Massnahmen getroffen werden, werden immer auch Gegenforderungen laut. Zum Beispiel verschiebt sich das Leben immer mehr in Richtung Nacht, insbesondere im Sommerhalbjahr. Dies bringt Forderungen nach mehr Licht mit sich. Zuvor noch dunklere Gebiete werden damit auch noch aufgehellt. Und das geht zulasten der Natur.

Hand aufs Herz: Ist eine Reduzierung der Lichtemissionen überhaupt vereinbar mit den Ansprüchen des Lebensstandards in einer modernen Gesellschaft wie der Schweiz?

Schlussendlich ist die Natur unsere Lebensgrundlage. Wenn wir diese zerstören, fällt das auf uns zurück. Wir müssen darauf achten, dass die Natur und der Mensch aneinander vorbeikommen. Das heisst, dass man eben auch Gebiete auswählt, in denen der Mensch seinen Bedürfnissen nachgehen soll und darf. Aber genauso braucht es auch Räume, die der Natur vorbehalten sind.

Vortrag «Hell leuchtet die Stadt»

Urs Capaul folgt morgen Freitag, 15. November, der Einladung des Vereins Natur- und Vogelschutz Meise nach Arbon, um im Landenbergsaal des Schloss Arbon den Vortrag «Hell leuchtet die Stadt» zum Thema Lichtverschmutzung zu halten. In diesem werden die Themen des Interviews vertieft und Vorschläge zur Reduktion der Lichtemission beispielhaft aufgezeigt. Um 19 Uhr beginnt der Anlass, welchen die «Meise» in Zusammenarbeit mit der Stadt Arbon organisiert. 

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