zum Inhalt springen

·

Zur Artikelübersicht

Die Krux mit der Kompetenz

Wer hat künftig das letzte Wort zum Arboner Budget und Steuerfuss: Stimmvolk oder Parlament? Das ist die Gretchenfrage, die mit der totalrevidierten Gemeindeordnung am 18. Mai zur Abstimmung kommt. Und an ihr scheiden sich die Geister.

Kim Berenice Geser

18 Jahre hat sie auf dem Buckel, die aktuell gültige Gemeindeordnung (GO) der Stadt Arbon. Inzwischen wurde das Dokument, das auch als die Verfassung der Stadt bezeichnet werden könnte, mehrmals teilrevidiert. Zuletzt geschah dies 2019. Da sich seitdem die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen erneut verändert haben, sahen es der Stadtrat sowie das Parlament angezeigt, statt einer weiteren Teillösung eine Totalrevision der GO vorzunehmen. Denn in diesem Punkt sind sich alle politischen Lager einig: Diese ist dringend notwendig. Kein Konsens herrscht indes bei der einschneidensten Änderung, die mit der neuen GO in Kraft treten würde: der Verlagerung der Budget- und Steuerfuss-Kompetenz vom Stimmvolk zum Parlament. «felix.» hat die Hintergründe dieser Änderung, ihre Auswirkungen und die Positionen der Befürworter und Gegner nachfolgend zusammengetragen.

Wie kam es zur Änderung?

Dies hängt mit einer kantonalen Gesetzesänderung zusammen, die in Arbon seit 2020 zum Zuge kommt. Demnach müssen die Thurgauer Gemeinden bereits im Vorjahr über das Budget und den Steuerfuss des kommenden Rechnungsjahres abstimmen. Vor 2020 fand diese Abstimmung jeweils erst im Februar des bereits laufenden Rechnungsjahres statt. Dieser kantonale Beschluss hat zur Folge, dass der Budgetierungsprozess bereits im März beginnt und unter hohem Zeitdruck von der Verwaltung bis zu den Sommerferien abgeschlossen werden muss. Ebenso eng wird es für die Finanz- und Geschäftsprüfungskommission, die das umfangreiche Dossier im August in nur vier Wochen prüfen muss, damit es anschliessend im September im Parlament behandelt werden kann. Nur so kann der Abstimmungstermin im November eingehalten werden.

Warum soll nun künftig das Parlament entscheiden?

Würde neu das Parlament über Budget und Steuerfuss entscheiden, könnte dies künftig in der Dezember- statt der Septembersitzung geschehen. Dies hätte zwei massgebliche Konsequenzen: Erstens könnte der Stadtrat mit präziseren Zahlen und Hochrechnungen budgetieren, weil er das Dossier basierend auf einem Halbjahresabschluss fertigstellen könnte. Zweitens würden alle Beteiligten mehr Zeit gewinnen – die FGK rund drei zusätzliche Wochen – um das Geschäft zu prüfen, was die Fehlerquote minimieren würde. Eine Abstimmung im Parlament im Dezember hätte überdies zur Folge, dass der Stadtrat in besagter Sitzung auch noch letzte Änderungsanträge basierend auf den fast gänzlich vorliegenden Jahreszahlen vornehmen könnte. Mit einer Motion beauftragte das Arboner Stadtparlament im Januar 2023 deshalb mit 22 Ja-Stimmen gegen 3 Nein-Stimmen die Änderung der Budgetkompetenz in die Totalrevision der GO aufzunehmen.

Verliert das Stimmvolk somit sein Mitspracherecht bei Budget und Steuerfuss?

Nein. Allerdings wäre die Hürde für eine Mitsprache künftig höher, denn es käme nicht mehr zur obligatorischen Volksabstimmung. Mittels eines Behördenreferendums oder des fakultativen Referendums kann jedoch eine Abstimmung erwirkt werden. Für ersteres braucht es neun unterzeichnende Parlamentarierinnen und Parlamentarier, für zweiteres die Sammlung von 400 gültigen Unterschriften von Arboner Stimmberechtigten innerhalb von drei Monaten. In Frauenfeld und Weinfelden ist die Genehmigung des Budgets durch das Parlament bzw. den Gemeinderat übrigens bereits Usus.

Macht die dreimonatige Referendumsfrist den Zeitgewinn wieder zunichte?

An dieser Frage scheiden sich die Geister. Die Befürworter halten die Frist von drei Monaten für wichtig, um dem Volk sein Recht auf Mitwirkung bei diesem wichtigen Geschäft so weit als möglich zu erhalten. Die Gegner führen ins Feld, dass mit Abwarten der Referendumsfrist das Budget erst im Februar in Rechtskraft erwachsen kann, was zwei Monate später ist als heute. Fakt ist: Wird das Referendum gegen den Parlamentsentscheid ergriffen, startet die Stadt ohne gültiges Budget ins neue Rechnungsjahr. Dies unterscheidet sich allerdings nicht vom Status Quo. Auch mit der aktuellen Regelung der offiziellen Volksabstimmung ist dies der Fall, wenn die Stimmbürgerschaft das Budget an der Urne ablehnt. So geschehen 2010 und 2016. Die Stadt bliebe dennoch handlungsfähig, gebundene Ausgaben wie Löhne, Gesundheits- und Sozialhilfekosten, etc. könnten weiterhin ausbezahlt werden.

Wer ist gegen die Änderung?

Die SVP, die BFA und Riquet Heller (FDP). Sie sehen in der Verlagerung der Budgetkompetenz hin zum Parlament eine Beschneidung der Volksrechte. An der Podiumsdiskussion zur neuen GO von vergangenem Samstag sprach Koni Brühwiler (SVP) von einem Demokratieabbau und äusserte seine Befürchtung, dass künftig Parlament und Stadtrat unter einer Decke stecken und am Volk vorbei budgetieren würden. Riquet Heller fügte an, dass mit der obligatorischen Volksabstimmung der Druck auf das Parlament steige, sorgfältig zu budgetieren.

Riquet Heller (FDP, l.) und und Konrad Brühwiler (SVP) gehören dem Nein-Komitee an.
Riquet Heller (FDP, l.) und und Konrad Brühwiler (SVP) gehören dem Nein-Komitee an.
© Kim Berenice Geser

Wer ist dafür?

Die Mitte, die FDP, die SP, die Grünen, XMV und EVP. Mischa Vonlanthen (Die Mitte), der ehemalige langjährige Finanzchef der Stadt Arbon, betonte am Podium, dass der Zeitgewinn einen erheblichen Einfluss auf die seriöse und nachhaltige Budgetierung habe. Der Aussage, das Parlament stecke mit dem Stadtrat unter einer Decke, hielt er entgegen, dass die Legislative in den vergangenen Jahren stets nachhaltig in den Budgetprozess eingegriffen und ihn verbessert habe. Aurelio Petti (Die Mitte) ergänzte, dass davon auszugehen sei, dass kritische Budgetentscheide auch künftig bereits in der FGK erkannt und entsprechende Massnahmen ergriffen würden.

Mischa Vonlanthen (l.) und Aurelio Petti (beide Die Mitte) befürworten die neue Gemeindeordnung.
Mischa Vonlanthen (l.) und Aurelio Petti (beide Die Mitte) befürworten die neue Gemeindeordnung.
© Kim Berenice Geser

Anzeigen