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Ein Grossprojekt für drei Grad

Die See Energie AG in Steinach startet Anfang November mit den Bauarbeiten für die neue Energiezentrale. Die ersten Abnehmer sollen bereits im Herbst 2024 mit Energie aus dem Bodensee versorgt werden. Damit ist Steinach anderen Seegemeinden weit voraus.

Kim Berenice Geser

«Der Bodensee ist ein riesiger Energiespeicher, dessen Potenzial heute bei weitem nicht ausgeschöpft wird.» Zu diesem Schluss kam eine Studie des Kantons Thurgau 2021, welche die thermische Nutzung von Bodensee und Rhein prüfte. 14 potenzielle Gebiete wurden in der Studie ausgewiesen, die günstige Voraussetzungen für einen Energieverbund bieten würden. Darunter auch Arbon und Horn. Mit der in diesen Gebieten nutzbaren Wärme aus See- und Rheinwasser könnten rund zehn Prozent des fossilen Wärmebedarfs im Kanton Thurgau ersetzt werden. In Folge der Studienergebnisse prüfen nun mehrere Gemeinden Seethermie-Projekte. Dazu gehört auch die Stadt Arbon. Ihre Nachbargemeinde ist ihr indes schon um Längen voraus.

Ambitionierte Ziele

Steinach hatte bereits 2020 die Ergebnisse einer mit dem Kanton St. Gallen in Auftrag gegebenen Studie zum selben Thema veröffentlicht. Das Fazit: Die Energie des Bodensees kann sowohl aus technischer und ökologischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht nutzbar gemacht werden. Womit nicht zuletzt auch ein wichtiger Beitrag an die Erreichung der Klimaziele des Bundes 2050 geleistet würde. Basierend auf den positiven Ergebnissen der Machbarkeitsstudie wurde im April 2021 die See Energie AG gegründet, mit dem Zweck, ein Anergienetz (siehe Kasten unten) zu bauen und zu betreiben, mit dem das Steinacher Unterdorf sowie Teile von Horn erschlossen werden. Die Politische Gemeinde und die Ortsgemeinde Steinach sind mit je 13 Prozent an der AG beteiligt. Martin Frei, Geschäftsführer der See Energie AG und der RLK Engineering GmbH in Roggwil, hält 25 Prozent der Firmenanteile. Die übrigen 49 Prozent der See Energie AG sind im Besitz des privaten Investors Finn Orthmann aus Steinach, der auch Mitglied des Verwaltungsrates der Belleside Real Estate AG ist. Um das elf Millionen-Franken-Projekt (Anteil Eigenkapital: 35 Prozent) zum Fliegen zu bringen, wurde damals das ambitionierte Ziel gesetzt, bis Ende 2021 rund zwei Drittel der möglichen Anschlüsse verkauft zu haben.

800 Wohneinheiten erschliessen

Spult man zwei Jahre vor ins Hier und Jetzt, zeigt sich, dass das See-Energie-Projekt dem Zeitgeist der Gemeinde entspricht. Die Baubewilligung für die Energiezentrale in Horn liegt seit einem Monat vor, ebenso die Konzession zur Wassernutzung. Einsprachen gab es keine. Der Spatenstich für die Zentrale ist auf Anfang November geplant. «Wir haben 100 Prozent aller Anschlüsse verkauft, mit denen wir gerechnet haben», freut sich Geschäftsführer Martin Frei. Das Angebot sei von Beginn an auf grosses Interesse gestossen. Nicht nur bei den Abnehmenden sondern auch bei den Gemeinden. Die Arbeit über die Gemeindegrenzen hinaus sei problemlos verlaufen und habe lediglich einen höheren administrativen Aufwand verursacht. Dereinst sollen 800 Wohneinheiten mit Energie aus dem Bodensee beheizt werden (230 davon auf Horner Boden). Zum Vergleich: In Steinach sind derzeit gemäss Gebäude- und Wohnungsregister 1822 Wohneinheiten registriert. Auf die Frage, ob der Ukraine-Krieg und die steigenden Energiepreise einen Effekt auf die Verkaufszahlen hatten, verneint Frei. «Die meisten Vertragsabschlüsse fanden bereits im Vorfeld statt.» Die Zukunft fossiler Brennstoffe wie Öl und Gas seien schon vor besagten Ereignissen und Entwicklungen in Frage gestellt worden. «Sie bestätigen aber viele Abnehmerinnen und Abnehmer in ihrem Entscheid.» Zu diesen gehören unter anderem der Industriebetrieb Variosystems in Steinach sowie «Mettler2Invest», welche ihre Überbauung «Arrivée» in Horn an das Steinacher Netz anschliessen wird.

Ohne die Grossen geht es nicht

Roger Gantenbein, HR Manager bei «Variosystems», begründet die Wahl der See Energie AG als künftigen Energielieferanten mit den Nachhaltigkeitszielen des Unternehmens: «Wir können mit dem Ersatz der Gasheizung durch den Wärmebezug via See Energie unsere CO2 -Bilanz wesentlich verbessern, was zu den Unternehmenszielen gehört.» Auch bei «Mettler2Invest» spielt die Nachhaltigkeit in der Wahl des neuen Betreibers eine Rolle, aber nicht nur. Man habe schon bei anderen Überbauungen positive Erfahrung mit Seeenergie-Anlagen sammeln können, sagt Projektleiter Roland Ebneter von «Mettler2Invest». Auch wenn diese viel kleiner dimensioniert waren. «Den Energievorrat des Sees zu nutzen ist eine sinnvolle Sache.» Darüber hinaus habe man in den Gesprächen mit der See Energie AG aber auch gespürt, dass das «Arrivée» mit 230 Wohneinheiten ein wichtiger Abnehmer sei, um den Erfolg des Projekts zu gewährleisten. «Für uns ist der Energiebezug über die See Energie AG deshalb auch ein Bekenntnis zum Standort Horn/Steinach.» Martin Frei bestätigt, dass die Verträge mit Grossabnehmern wie «Mettler2Invest» und «Variosystems» unabdingbar gewesen seien, um die Finanzierung des Netzes sicherzustellen und dieses auch für kleinere Abnehmer wie Einfamilien- und Mehrfamilienhaus-Besitzer erschwinglich zu machen. Die nötigen Aufwendungen wie Wärmepumpe, Boiler sowie Installationen sind für Bezüger im Energiepreis bereits inbegriffen. Dessen Indexierung wird zu einem Zehntel an den Strompreis angelehnt. Als Beispiel: Wenn der Strompreis um 3 Rappen steigt, ergibt sich ein Aufschlag von O,3 Rappen pro Kilowattstunden Energie aus dem Bodensee. Der Grundpreis wird dem Landesindex der Konsumentenpreise angelehnt.

Noch ein Bauprojekt in Planung

Mit der Erschliessung von 800 Wohneinheiten liegt die Auslastung des heute geplanten Netzes bei 80 Prozent, möglich wären 150 Prozent. Die Seeleitung, welche von der Energiezentrale 800 Meter in den See führt hätte sogar eine Kapazität von 200 Prozent. Ein Ausbau wäre also durchaus noch möglich. Beispielsweise, wenn die Pläne zu einer Überbauung im Zentrum Nord in Steinach wieder aufgenommen würden. Ein Bauprojekt, das bereits jetzt einkalkuliert ist, soll dereinst auf dem Areal der Peter Oberhänsli GmbH und der Yachtwerft Wirz verwirklicht werden. HRS und Thoma Immobilien befinden sich dort zurzeit mit den Grundeigentümern in der Planung, wie Michael Breitenmoser, Leiter Immobilienentwicklung der HRS, auf Anfrage mitteilt. Genaue Auskünfte zum Projekt könne er zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht geben. Man plane, in einigen Woche darüber zu informieren. Bis dort ein Spaten in den Boden sticht, ist der Anschluss auf jeden Fall längst gelegt. Noch während der Fertigstellung der Energiezentrale erfolgt nämlich bereits der erste Leitungsbau. Die ersten Energielieferungen plant die See Energie AG auf Herbst 2024. Die Erschliessung von Untersteinach erfolgt dann im Sommer/Herbst 2025.

Die Technik hinter der Anergie

Das Anergienetz (auch Kälte Fernwärme) der See Energie AG besteht aus zwei getrennten Kreisläufen. In einem ersten Kreislauf wird mit einer rund 800 Meter langen Seeleitung auf 30 Metern Tiefe das Bodenseewasser mit einer durchschnittlichen Temperatur von 6 Grad angesaugt und in die Energiezentrale (Bild oben) gepumpt. Diese liegt unterirdisch zwischen dem Steinacher Hafen und dem Hafen Horn West. Dort werden dem Wasser mit sogenannten Plattentauschern rund 3 Grad Celsius entnommen und das Seewasser entsprechend kälter wieder in den Bodensee zurückgeführt. So wird die Wasserqualität des Sees nicht beeinträchtigt, sondern wirkt mit der leichten Abkühlung sogar der Erwärmung des Sees entgegen. Die entnommenen 3 Grad werden im zweiten geschlossenen Kreislauf mit einem rund 5 Kilometer langen Leitungsnetz zu den verschiedenen Liegenschaften gefördert. In jeder Liegenschaft befindet sich eine dem Verbrauch angepasste Wärmepumpe und ein Boiler für die Umwandlung in Heizenergie (vergleichbar mit einer Erdbohrung). Die Wärmepumpe arbeitet mit einem Kältemittel, das bei sehr niedriger Temperatur verdampft und so Wärme für die Heizung erzeugt. Deshalb reicht eine Erwärmung um 3 Grad bereits aus, um rund 80 Prozent der Energie zu erzeugen. Der Rest wird durch elektrische Energie ergänzt. Das nun wieder um 3 Grad abgekühlte Wasser im zweiten Kreislauf wird zurück in die Energiezentrale gefördert, wo es erneut aufgewärmt wird.

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