Ein Roggwiler Schuh erobert Bagdad
Kim Berenice Geser«kybun» und «Joya» haben im Mai 2022 fusioniert. Damals sagten Sie, Ihr erklärtes Ziel seien hundert neue Verkaufsstellen. Wie steht es damit?
Karl Müller: Von den angestrebten hundert neuen Shops in fünf Jahren haben wir bereits 77 Stück eröffnet.
Ist diese ehrgeizige Wachstumsstrategie finanziell auch nachhaltig?
Müller: Wir sind Spinner, in einer Zeit, in der man kaum Mitarbeiter findet und das Ladensterben gross ist. Mögen wir es stemmen? Die Liquidität ist immer zwischen Oberlippe und Nase. Es reicht noch zum Atmen, aber es ist stets eine knappe Sache.
Claudio Minder: Wir setzen uns auch bewusst ambitionierte Ziele, weil wir immer über unsere Komfortzone hinaus gehen wollen, um Leistung erbringen zu können. Man kann in der heutigen unternehmerischen Welt nicht immer dasselbe machen und warten, dass sich etwas Neues ergibt. Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Ziele erreichen. Denn wir sind auf gutem Weg.
Zuversicht ist das eine. An diese Wachstumsstrategie sind aber auch Menschen und ihre Jobs gekoppelt.
Müller: Wir spielen nicht Roulette.
Minder: Das ist für uns kein Glücksspiel. Wir wollen sichere Arbeitsplätze schaffen. Derzeit beschäftigen wir über 200 Mitarbeitende, 100 davon in der Schweiz. Diese Löhne monatlich bezahlen zu können, ist eine Belastung. Und ja, es ist oft eng und knapp. Aber wir sind zum Glück kein Start-up, das noch keine Erfahrung in diesem Business hat. Gott sei Dank sind wir in gewissen Bereichen schon so diversifiziert, dass wir über verschiedene Absatzkanäle verfügen und auf saisonale Besonderheiten reagieren können.
Auch Diversifikation birgt Risiken, wie das Beispiel des orangen Riesen in der Schweiz zeigt, der nun etliche Unternehmenszweige wieder abstösst. Wie verhindern Sie, dass das rasante Wachstum Ihrer Firma nicht zur Blase wird, die irgendwann zu platzen droht?
Müller: Wir sind mit unserer Thematik seit 25 Jahren auf dem Markt und fokussieren uns radikal auf die Nische gesundes und schmerzfreies Gehen. In dieser Radikalität sind wir einzigartig auf dem Markt. Und wir haben das Glück, dass wir den Weltmarkt vor Augen haben. Die Schweiz macht bei uns nur 10 Prozent des Umsatzes aus. 90 Prozent machen wir im Ausland.
Minder: Zudem ist unsere Nische eine dankbare. Wir verkaufen Gesundheitsschuhe. Will heissen, Menschen, die unsere Marke entdecken, bleiben loyal, wenn sie einen Mehrwert in unserem Produkt sehen. Was wiederum bedeutet, dass ein gewonnener Kunde oft auch zum Markenbotschafter wird. Zusätzlich spielt uns in die Karten, dass die Gesellschaft immer älter wird. Wir haben also ein zunehmendes Kundensegment und treffen einen Trend. Denn je älter die Gesellschaft wird, umso wichtiger wird gleichzeitig die Gesundheitsthematik.
Müller: Und in unserer Branche muss man wachsen, sonst stirbt man.
Irgendwann greifen Sie also «Adidas» und «Nike» an?
Müller: (lacht) Nein, im Vergleich zu diesen Riesen sind wir ein kleiner Fisch. Wir produzieren jährlich rund 400 000 Paar Schuhe. Bei diesen vergleichsweise kleinen Mengen ist es oft schon schwierig, Lieferanten zu finden.
Minder: Unsere Marke ist in der Ostschweiz präsent. Im übrigen Markt sind wir nicht sehr bekannt.
Die Meldungen zu Ladeneröffnungen im arabischen Raum zeichnen ein anderes Bild. Scheiche und saudische Prinzen tragen Ihre Schuhe und dieser Tage haben Sie sogar einen Shop in Bagdad eröffnet.
Müller: In den arabischen Ländern haben wir einen Hotspot erschlossen. Wir haben sieben Läden in den Vereinigten Arabischen Emiraten, vier in Katar, zwei in Kuwait, vier «Kybun»-Shops und vier «Joya»-Shops in Saudiarabien. Dort geht für uns die Post ab.
Bagdad wird hierzulande weniger mit Wirtschaftswachstum als mehr mit Krieg und fortwährenden Konflikten assoziiert. Wie kam es zur Expansion im Irak?
Minder: Wir sind dem Ruf von Wissam Allamy gefolgt. Der ehemalige UN-Mitarbeiter für Minenräumung trägt seit Jahren unsere Produkte und träumte schon lange davon, die Marke kybun Joya in seine Heimat zu bringen. Mit dieser Idee kam er auf uns zu und wir waren begeistert.
Müller: Tatsächlich haben aber auch wir vor unserem ersten Besuch in Bagdad eine Stadt erwartet, die vom Krieg gezeichnet ist. Stattdessen erlebten wir eine aufstrebende Metropole, grosse Infrastrukturprojekte und eine offene, interessierte Bevölkerung.
Minder: Die Gastfreundschaft und die positive Energie, die wir hier gespürt haben, waren einfach überwältigend, wir fühlten uns jederzeit willkommen und sicher. Bagdad ist eine Stadt im Aufbruch, voller Potenzial und Möglichkeiten. Wir sind überzeugt davon, hier zur rechten Zeit am rechten Ort zu investieren.
Warum funktioniert der arabische Raum so gut als Absatzmarkt für «Kybun Joya»?
Müller: Für kleine Marken, wie die unsere, ist es schwierig, sich in der bestehend Retail-Landschaft von Europa und Amerika zu etablieren. Denn gegen die bekannten und etablierten Marken kommen wir, wie gesagt, nicht an. Wendet man sich jedoch dem Osten zu, jenen Ländern, die in den letzten hundert Jahren an unserer westlichen Welt vorbeigegangen sind und jetzt ein rasantes Wirtschaftswachstum an den Tag legen, ist die Ausgangslage eine andere. Dort kennt man die bei uns in der Schweiz etablierten Marken noch zu wenige oder teilweise gar nicht.
Minder: Wir konnten rechtzeitig den Fuss in die Tür bekommen und waren mit der «Swissness» und einer attraktiven Positionierung zur Stelle.
Müller: Wenn wir nun in einer neuen Shopping Mall in Dubai neben «Adidas» und «Prada» einen Shop eröffnen, dann spielen wir dort plötzlich in derselben Liga und «Kybun Joya» wird zum gesuchten Markenprodukt.
Minder: Man darf nicht vergessen, dass man sich in den arabischen Ländern weniger über Kleidung und mehr über Schuhe und Accessoires profiliert. Und «Swissness» ist dort ein wichtiges Verkaufsargument, weil es für Qualität und Wohlstand steht.
Wie kamen diese Geschäftsbeziehungen zu Stande?
Müller: Per Zufall. Mein Vater sass vor rund zehn Jahren auf dem Rückflug von Katar neben einem Mann, der sich über Rückenschmerzen beschwerte. Er gab ihm einen «Kybun»-Schuh, worauf hin dieser immer wieder bei uns bestellte und all seinen Freunden und Bekannten davon erzählte. Wie sich herausstellte, war dieser Mann der Vermögensverwalter des Scheichs und plötzlich trugen immer mehr hochrangige Personen unsere Schuhe.
Das klingt wie ein Märchen.
Müller: Stimmt, ist aber so passiert und davon profitieren wir noch heute.
Weniger märchenhaft ist die Tatsache, dass sich die gesellschaftlichen Werte im arabischen Raum in vielerlei Hinsicht von den Schweizern unterscheiden. Man denke nur an die jüngste Entwicklung in Afghanistan, wo die Taliban ein Sprechverbot für Frauen in der Öffentlichkeit ausgesprochen haben. In Saudi-Arabien steht auf homosexuelle Handlungen noch die Todesstrafe und auch in Katar und den Vereinigten Arabischen Emirate kann diese noch ausgesprochen werden. Wie lässt sich das mit den Schweizer Werten Ihrer Marke vereinbaren?
Müller: Der arabische Raum ist so vielfältig wie der europäische auch. Ein Ire hat andere Werte wie ein Grieche, dasselbe gilt auch für den Iraner und den Katari. Ich würde deshalb nicht alle über einen Kamm scheren.
Minder: Aber wenn wir feststellen, dass etwas unseren Werten widerspricht, überdenken wir diese Zusammenarbeit natürlich. Unsere Expansion im arabischen Raum ist allerdings auch eine Chance. Denn wir können vor Ort mit unseren Werten auch gewisse Dinge prägen. Wir haben beispielsweise in der Administration viele Frauen. Das bedeutet, dass unsere Geschäftspartner in den arabischen Ländern auch mit Frauen korrespondieren und lernen mussten, dass bei uns die Anweisung einer Frau gleichwertig ist, wie die eines Mannes.
Wechseln wir wieder zurück in die Schweiz und kommen noch einmal auf die Finanzen zu sprechen. «kybun Joya» ist in der Region ein wichtiger Sponsor diverser Vereine und Anlässe. Wenn, wie Sie sagen, die finanziellen Mittel immer knapp sind, warum diese zusätzliche Verpflichtung?
Minder: Ein Sponsoring ist immer ein Abwägen zwischen Wirtschaftlichkeit und Herzensangelegenheit. Das Sponsorign des Kybunparks in St. Gallen, des Reitparks in Egnach, des HC Arbons oder des TSV St. Otmar basiert auf einer lokalen Verbundenheit. Ein solches Sponsoring würden wir in Zürich niemals machen.
Müller: Schon in Wil nicht.
Minder: Genau. Denn das ist nicht unsere Region, wir fühlen uns den lokalen Vereinen dort nicht verpflichtet. Hier aber wollen wir einen positiven Fussabdruck hinterlassen. Dahinter stehen natürlich auch unternehmerische Überlegungen, wie die Mitarbeitergewinnung. Ein Sponsoring ist also auch ein Investment in die Zukunft unserer Marke.
Wenn für Sie die lokale Verankerung beim Sponsoring so wichtig ist, wird man «kybun Joya» also nicht demnächst auf den T-Shirts einer arabischen Fussballmannschaft sehen?
Müller: Ein solches Engagement müsste man individuell prüfen. Wenn ein arabischer Club unsere Produkte nutzt und davon begeistert ist, warum nicht? Wichtig ist es, dass die Menschen hinter dem Sponsoring für unsere Werte einstehen.
Apropos Schweizer Werte: Wegen des Schweizer Kreuzes auf den «Joya»-Schuhen standen Sie dieses Jahr in der Kritik, weil die Schuhe in Korea und nicht in der Schweiz gefertigt werden, wie die Marken kybun und Kandahar. Sie sagten damals, dass Sie dennoch am Emblem festhalten wollen, denn die Technologie sei «Swiss made». Fand dieses Argument beim Institut für Geistiges Eigentum Gehör?
Minder: Grundsätzlich gilt: In diesem Schuh steckt weiterhin Schweizer Technologie. Wir haben aber nie behauptet, dass er «Swiss made» ist. Mit dem Institut für Geistiges Eigentum haben wir deshalb eine einfache Lösung gefunden. Auf den «Joya»-Schuhen wird es künftig kein Schweizer Kreuz mehr haben.
Müller: Wir gehen also auch nicht den Weg anderer Marken, die das Kreuz im Ausland auf die Schuhe packen und im Inland nicht.
Die Produktion komplett in die Schweiz zu verlegen, ist keine Option?
Müller: Nein. Dagegen sprechen zum heutigen Zeitpunkt zu viele Faktoren.
Minder: Aber unser Ziel ist es, die «Swissness» beizubehalten. Bei Kandahar zu hundert Prozent, bei «kybun», so weit als möglich – hier produzieren wir ja teilweise auch in Italien – und bei «Joya» suchen wir nach Möglichkeiten. Wir wollen auf jeden Fall weiter in den Standort Schweiz investieren.
Und wohin soll die Reise nach dem hundertsten Shop gehen?
Müller: Dann machen wir 500 daraus (lacht).
Minder: Ziel ist es, in jeder grösseren Stadt einen «kybun Joya» -Shop zu haben.
Müller: Vor allem aber wollen wir Spass haben, an dem, was wir machen. Wachstum allein ist nicht alles.