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«Es würde auch ohne Laienrichter gehen»

Im Hinblick auf die anstehenden Gesamterneuerungswahlen am Bezirksgericht Arbon ordnen ein abtretender Laienrichter und ein Rechtsexperte Sinn und Sinnlosigkeit des Laienrichteramts ein.

Laura Gansner

Ralph Brunner (SVP) hat in seiner beruflichen Laufbahn schon verschiedenste Aufgaben übernommen: vom Personalberater über Geschäftsführer und Selbstständigerwerber bis hin zum Amriswiler Stadtrat ist alles mit dabei. Seit 2012 ist er zudem als nebenamtliches Mitglied – auch bekannt als Laienrichter – am Bezirksgericht Arbon angestellt, die ersten vier Jahre noch als Ersatzmitglied. Für die Gesamterneuerungswahlen am 3. März hat er sich aufgrund seiner anstehenden Pensionierung nicht mehr aufstellen lassen, «auch wenn das definitiv der spannendste Job ist, den ich je hatte», so Brunner. Einen Job, für den er wegen seines Schweizer Stimm- und Wahlrechts sowie seines Wohnsitzes im Bezirk Arbon qualifiziert ist. Eine juristische Ausbildung braucht er dafür hingegen nicht und ist dennoch einem juristisch ausgebildeten Berufsrichter gleichgestellt.

Laien urteilen mit

Brunner fällt – wie die weiteren drei Laienrichterinnen und -richter – am Bezirksgericht Arbon völlig gleichberechtigt mit den amtierenden Berufsrichterinnen und -richtern sein Urteil über 30 bis 60 Fälle pro Jahr. Zur Einordnung: Das Bezirksgericht Arbon erledigte im Jahr 2023 1157 Fälle in erster Instanz. Bei Straffällen oder einer Streitsumme von 30 000 Franken sowie bei streitigen Familienverfahren kommen Laienrichterinnen und Laienrichter zum Einsatz. Im letzten Jahr traf dies auf rund 10 Prozent der verhandelten Fälle zu. Ein Sachbestand, der für Brunner vor allem aus einem Grund Sinn macht.

Fachwissen als grosses Plus

Die unterschiedlichen beruflichen Hintergründe der Laienrichterinnen und Laienrichter können für die Bewertung eines Falles hilfreich sein, so Ralph Brunner. Denn Juristinnen und Juristen hätten oftmals denselben Werdegang, während Laienrichterinnen und Laienrichter Erfahrungen und Fachwissen aus den unterschiedlichsten Berufen mitbringen. Er argumentiert: «Damit ist ein Urteil breiter abgestützt.» Benjamin Schindler, Professor für öffentliches Recht an der Universität St. Gallen, stimmt der Aussage Brunners im Grundsatz zu: «Nicht juristisch geschulte Mitglieder von Gerichten können dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn sie über spezifische andere Fachkenntnisse verfügen.» Damit seien Gerichte weniger abhängig von externen Fachgutachten. Schindler führt einen weiteren «positiven Effekt» an, welcher durch die Beteiligung von Laienrichterinnen und Laienrichtern an gerichtlichen Prozessen entsteht. Denn dies würde Juristinnen und Juristen dazu zwingen, sich allgemeinverständlich auszudrücken und keinen unnötigen Fachjargon zu pflegen. Trotzdem hält er fest: «Dieser Vorteil wiegt meiner Meinung nach nicht die Nachteile auf.»

Symbolbild Gerichtssaal: Im Bezirksgericht Arbon wird das Laienrichteramt nach wie vor ausgeübt.
Symbolbild Gerichtssaal: Im Bezirksgericht Arbon wird das Laienrichteramt nach wie vor ausgeübt.
© Unsplash

Nicht auf Augenhöhe

Das Fällen eines Gerichtsurteils setze nicht nur Gesetzeskenntnisse voraus, sondern auch die Kenntnis der aktuellen Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur, zählt Benjamin Schindler die Anforderungen an Richterinnen und Richter auf. «Laienrichterinnen und -richter können daher in einer Urteilsberatung argumentativ den Juristinnen und Juristen kaum das Wasser reichen.» Faktisch seien es daher meist die juristisch geschulten Gerichtsvorsitzenden oder die Gerichtsschreiberinnen und -schreiber, die das Urteil fällen. Theoretisch liegt es jedoch in der Macht der Laienrichterinnen und -richter, die Bezirksrichterinnen und -richter in ihrem Urteil zu überstimmen.

Die Macht des Laienrichteramts

Nebenamtliche Mitglieder des Bezirksgerichts Arbon kommen jeweils in Dreier- oder Fünferbesetzungen zum Einsatz. Dabei sind die Laienrichterinnen und -richter stets in Überzahl zu den Berufsrichterinnen und -richtern vertreten. Dass man sich tatsächlich gegen ein Urteil eines Berufsrichters oder einer Berufsrichterin stelle, habe er jedoch in seinen bald zwölf Jahren als Laienrichter genau einmal erlebt, «und das auch nur in einem Teilurteil», betont Ralph Brunner. In der Regel komme man am Ende aber zum selben Ergebnis. Seinem Empfinden nach werde die Arbeit der nebenamtlichen Mitglieder am Bezirksgericht Arbon von den Berufsrichterinnen und -richtern sehr geschätzt. Doch er sei sich auch bewusst, dass das Festhalten am Laienrichteramt im Kanton Thurgau nicht selbstverständlich ist.

Langsamer Rückgang

Der Entscheid für oder gegen das Laienrichteramt an Bezirksgerichten sei ein politischer, erklärt Ralph Brunner: «Es würde auch ohne uns gehen.» Dieser Meinung war auch die Zürcher Stimmbevölkerung, als sie im Jahr 2016 mit knapp 66 Prozent beschloss, das Laienrichteramt an den Bezirksgerichten abzuschaffen. Der Grundtenor lautete: Für die Ausübung des Richteramts braucht es eine juristische Ausbildung. «In vielen anderen Kantonen erfolgt der Prozess der Zurückdrängung eher schleichend, indem weniger Laien in die Gerichte gewählt werden», weiss Professor Benjamin Schindler. In Kampfwahlen würden juristisch gebildete Personen den Laien vorgezogen werden. Dies spielt vorerst für die Gesamterneuerungswahlen am Bezirksgericht Arbon keine Rolle, da weder eine Kampfwahl ansteht, noch sich ein Jurist oder eine Juristin als nebenamtliches Mitglied zur Wahl hat aufstellen lassen.

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