Felchen-Rettung in letzter Minute
Laura GansnerEs dürfen keine Felchen mehr aus dem Bodensee gezogen werden, drei Jahre lang. Dieses Fangverbot gilt ab dem 1. Januar 2024 als Teil eines Massnahmenpakets, welches die Internationale Bevollmächtigungskonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) im Juni beschlossen hat. Grund dafür sind die 21 Tonnen Felchen, die im Jahr 2022 von den 64 Berufsfischerinnen und -fischer des Bodensees gefangen wurden. Für Fischerei-Laien mag sich das nach viel anhören, doch stellt die Zahl einen Einbruch um über 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr dar. Die IBKF stellt in einer Medienmitteilung klar, dass es sich dabei keinesfalls um ein neues Phänomen handelt: «Die Felchenfänge lagen 2022 89 Prozent unter dem Mittel der letzten zehn Jahre.» Um den Bestand der Felchen wieder hochzuschrauben, soll die «fischereiliche Schonung durch Berufs- und Angelfischerei», wie die IBKF schreibt, durch einen verlängerten Aufenthalt der Felchen in ihrer künstlichen Kinderstube gewährleistet werden.
Ein Gehörstein als Erfolgszeichen
In Steinach liegt eines von sechs Fischereizentren, die für den Bodensee zuständig sind. Um die Massnahmen des IBKF umsetzen zu können, wird der Betrieb in den Zentren, Nonnenhorn, Hard, Langenargen, Romanshorn und Ermatingen für die Aufzucht der Felchen hochgefahren. Steinach fällt dabei eine andere Aufgabe zu: die Markierung des Fischlaichs. «Hier wird dies bereits seit rund 20 Jahren gemacht», erklärt Michael Kugler, Fachmitarbeiter der Abteilung Fischerei in St. Gallen. Das nötige Know-how sowie die Infrastruktur sei vorhanden, um den Fischlaich rot einzufärben. Wer sich jetzt den ansonsten blau-grauen Felchen in einem roten Schuppenkleid vorstellt, kann beruhigt werden – die Markierung ist unbedenklich und ändert nichts an der Optik des Fisches, so Kugler: «Der Farbstoff lagert sich im Knochengerüst der Felchen ab.» Um ganz genau zu sein im Otolithen, einem nur Millimeter grossen Gehörsteinchen des Felchens. Ob die Massnahmen des IBKF gegriffen haben, wird sich dementsprechend erst in drei Jahren unter dem Metzgermesser offenbaren. Die Markierung dient damit der Prüfung, wie die Massnahmen die Felchen-Population im Bodensee in den drei Jahren gefördert haben. Bis dahin wird jährlich markiert, «wobei wir um ein paar Nachtschichten nicht herumkommen werden», erzählt Kugler. Doch der Aufwand sei mit dem bestehenden Team zu bewältigen. Schliesslich sei bekannt, in welchem Zeitrahmen der Fischlaich im Fischereizentrum sein wird. Danach geht die Reise für die Felchenlarven weiter in eines der anderen Fischereizentren, wo sie ihren neuen Feinden im Bodensee entwachsen sollen.
Stichling räubert im Bodensee
«Bisher hat man die Felchen direkt nach ihrem Schlupf zwischen Februar und März im Bodensee ausgesetzt», berichtet Michael Kugler. Bisher heisst in diesem Fall seit rund 80 Jahren, seit die ersten Fischereizentren die Felchenzucht im Bodensee aufnahmen. Nun werde die Schonzeit der Felchen um einige Wochen verlängert, damit sie auf rund 3 Zentimeter heranwachsen können. Dies hat einen bestimmten Grund: den Stichling. Die invasive und gebietsfremde Fischart lässt den Felchen in freier Wildbahn kaum die Chance, gross zu werden, da er sich den Felchenlaich kurzerhand zur Mahlzeit macht. Die Hoffnung des IBKF ist es also, den Felchen in behüteter Umgebung so gross werden zu lassen, dass er nicht mehr dem Raubdruck durch den Stichling ausgesetzt ist. Doch sind die Felchen diesem Problem entwachsen, warten bereits die nächsten Herausforderungen auf den Fisch.
Muscheln machen Plankton streitig
Soll der Felchen überleben, muss der Fisch genügend Nahrung kriegen. So einfach das klingt, so herausfordernd ist dies in dem sich wandelnden Ökosystem des Bodensees, nicht nur durch die Auswirkungen des Klimawandels oder den geringen Phosphorgehalts des Gewässers. Noch einmal funkt der Stichling dazwischen, da sich dieser wie der Felchen von Plankton ernährt, was die Fischarten zu Nahrungskonkurrenten macht. Hinzu kommt eine weitere Neozoa – eine durch die Hilfe des Menschen eingeschleppte Tierart – welche sich ebenfalls am Bodensee-Plankton bedient: die Quagga-Muschel. Jede einzelne Muschel filtert Wasser und zieht dabei Plankton heraus, so dass ein immer grösserer Anteil der Biomasse des Bodensees von dieser Art gebraucht wird. Zum ersten Mal wurde die gebietsfremde Muschel 2016 im Bodensee entdeckt, wonach es laut IBKF zu einer massiven Ausbreitung kam, die laut den aktuellsten Daten anhält. Um die Verbreitung weiterer Neozoen zu verhindern, haben die Gemeinden am Bodensee unterschiedliche Massnahmen zur Aufklärung der Bevölkerung ergriffen (siehe Kasten unten). Der Arboner Berufsfischer Hans Schuhwerk lenkt das Augenmerk auf einen weiteren tierischen Feind des Felchens, gegen den keine Bemühungen seitens der Bevölkerung ankommen.
Gefahr aus der Luft
«Das eigentliche Problem ist die Ausbreitung des Kormorans», betont Hans Schuhwerk in Bezug auf den Felchen-Schwund im Bodensee. Das Problem sei bereits seit zehn Jahren bekannt, doch gemacht wurde nie etwas. Die Zahl der Kormorane am Bodensee gehe in die Tausende, ordnet Michael Kugler vom Amt für Natur, Jagd und Fischerei St. Gallen ein: «Die Vögel haben einen Nahrungsbedarf von 200 bis 300 Tonnen Fisch pro Jahr, welche am Ende den Fischern fehlen». Die IBKF scheint das Problem zwar erkannt zu haben, wie die Studie «Der Kormoran am Bodensee» aus dem Jahr 2017 schliessen lässt. Darin wurden bereits Massnahmevorschläge für das sogenannte Kormoranmanagement ausgearbeitet. Nun wurde im Zuge der Schutzmassnahmen jedoch ein internationales Kormoranmanagement ausgerufen – die bisherigen Ansätze scheinen nicht genügend gegriffen zu haben. Ein erster Austausch zwischen Beteiligten aus den Anrainer-Staaten habe bereits stattgefunden, berichtet Roman Kistler, Amtsleiter Jagd- und Fischereiverwaltung Thurgau. Dabei wurden erste Möglichkeiten abgewogen. «Die Frage ist noch offen, wie sich die Schweiz aus rechtlicher Sicht an potentiellen Massnahmen beteiligen kann». Klar ist, dass etwas gemacht werden muss – bevor der Felchen in seinem seit über 10 000 Jahren bewohnten Gewässer verschwindet.
Massnahmen in den Häfen von Arbon, Steinach und Horn gegen die Verbreitung von Neozoen
In Arbon, Steinach und Horn werden verschiedene Massnahmen getroffen, um die Bevölkerung über die Problematik invasiver Arten aufzuklären.
«Um die Ausbreitung von Neozoen zu verhindern, muss man vorsorgliche Massnahmen treffen», weiss Michael Kugler vom Amt für Natur, Jagd und Fischerei St. Gallen. Tausende von privaten Booten und Segelschiffen seien im Sommer täglich auf dem Bodensee unterwegs, «und am nächsten Wochenende geht es auf den nächsten See». Dabei hat jeder sein eigenes Ökosystem; die Gefahr, Neozoen von einem Gewässer ins nächste zu schleppen, ist gross. «Die Leute müssen sich ihrer Eigenverantwortung bewusst werden», so Kugler. Damit dies gelingt, haben Arbon, Horn und Steinach Massnahmen ergriffen.
Steinach
«Aufgrund der Gesetzgebungskompetenz des Bundes obliegt es diesem, Vorschriften bezüglich der Schifffahrt zu erlassen», erklärt die Steinacher Gemeinderätin Janine Eberle. Steinach nehme eine aufklärende Rolle ein: In einem Newsletter werden die Hafennutzerinnen und -nutzer für aktuelle Themen sensibilisiert.
Arbon
«Im Arboner Hafen gibt es an den relevanten Stellen Hinweistafeln über welche die Schiffsbesitzerinnen und -besitzer sensibilisiert werden», erklärt Stadtrat Daniel Bachofen. Ausserdem gelte die Regel, dass bei jeder Auswasserung sowie Einwasserung das Unterwasserschiff auf der Hochdruckanlage im Hafen Arbon sauber gereinigt werden muss.
Horn
«Wir haben im Horner Mitteilungsblatt einen Flyer zur Aufklärung gedruckt», berichtet die Horner Gemeindeschreiberin Isabell Tanner. Dieser sei ausserdem in den Anschlagkästen der Häfen angebracht.