Grün, grüner, «Meise»
Laura GansnerMit dem Fahrrad sind Laurenz Winkler und Gertrud Schoop durch das neblige Arbon geradelt, ihnen haftet die kalte Dezemberluft beim Eintreten ins Redaktionsgebäude noch an den Kleidern, doch über diese ungemütlichen Umstände verlieren die beiden kein Wort. Mit einem begeisterten «Hast du das gesehen?» dreht sich Schoop zu Winkler, der mit seinem Kopf Richtung Fenster nickt: «Die Ruderalfläche davor? Ja, fantastisch.» Das Schlagwort «Biodiversität» folgt sofort, und schon dreht sich das Gespräch, bevor es überhaupt richtig begonnen hat, bereits um das Kernanliegen des Vereins Natur- und Vogelschutz (NVS) Meise: die Erhaltung und Förderung der Natur im Siedlungsraum. Für dieses Engagement erhielt die «Meise» vor einem Jahr die Auszeichnung «Arboner des Jahres 2022». Ein Zeichen der Wertschätzung, welches für Laurenz Winkler keine Selbstverständlichkeit darstellt.
Auf Augenhöhe angehoben
«Die Ehrung hat für mich vor allem eine veränderte Wahrnehmung unseres Vereins gekennzeichnet», beginnt Laurenz Winkler zu erzählen. Er ist bereits seit rund zehn Jahren Vorstandsmitglied bei der «Meise» und erinnert sich, dass das Verhältnis zur Stadt nicht immer nur «geschmeidig» war. Zuvor seien sie eher als die Ungeduldigen, Ungestümen wahrgenommen worden. Winkler legt sich seine Hand auf die Brust: «Jetzt fühlt es sich ein wenig so an, als wären wir erwachsen geworden.» Und das nach fast einem Jahrhundert – 2027 feiert der Verein sein 100-jähriges Bestehen. Diese neue Haltung gegenüber dem Verein hat für Winkler und Schoop mit einer in den letzten Jahren gewachsenen Offenheit gegenüber grünen Anliegen im Arboner Stadthaus zu tun. Seit 2019 ist Didi Feuerle, Mitglied der Grünen Arbon, Stadtrat. Des Weiteren beteiligt sich die Stadt seit 2020 am kantonalen Projekt «Vorteil naturnah», mit welchem die Biodiversität in Siedlungsräumen gefördert werden soll. In den aktuellen Legislaturzielen des Stadtrats ist zudem die Initiierung des Labelprozesses «Grünstadt Schweiz» – eine Zertifizierung für nachhaltiges Stadtgrün – niedergeschrieben. Diese Entwicklung, aber vor allem die Auszeichnung ihrer eigenen Arbeit, gebe ihnen eine grosse Portion Schwung für die Vereinstätigkeiten, so Gertrud Schoop, Aktuarin bei der «Meise». Sie war diejenige, die vor einem Jahr den offiziellen Anruf der Stadt erhielt, um die frohe Botschaft mitzuteilen. Denn an eine Präsidentin oder einen Präsidenten des Vereins kann man sich zur Zeit nicht wenden.
Ein Verein mit vielen Köpfen
An der Hauptversammlung im Jahr 2021 legte Erica Willi das «Meise»-Präsidium ab, seither ist das Amt unbesetzt. Die anfallende Arbeit verteile sich auf den Schultern der sieben Vorstandsmitgliedern, führt Gertrud Schoop aus. Es sei nicht so, als würden sie nicht nach einer Nachfolgelösung suchen – «Wir haben eine ganze Liste und noch keine konkrete Absage» – aber der Fundus an Personen, die auf dem Platz Arbon den Naturschutz zu ihrem persönlichen Fokus gemacht haben, sei begrenzt. Doch davon lassen sich Winkler und Schoop nicht beirren. Denn während zwar das Präsidium frei bleibt, wächst die Anzahl der Mitglieder stetig. Aktuell zählt der NSV Meise 280 Mitglieder. Allein in diesem Jahr kamen 16 hinzu. «Das sind gut doppelt so viele wie in den Jahren zuvor», kommentiert Laurenz Winkler. Diesen Zuwachs schreiben die zwei Vorstandsmitglieder dem Gütesiegel durch die Stadt zu. Zur Ehrung erhielt der Verein vor einem Jahr ausserdem einen Betrag von 1000 Franken. Bisher blieb dieser unberührt. «Wir wollen diesen bewusst für ein spezifisches Projekt einsetzen», begründet Gertrud Schoop. Vielleicht für neue Nistkästen – der Verein hat über 900 in der Region verteilt aufgestellt –, vielleicht für Baumpflanzungen, vielleicht für Ruderalflächen zwischen Betonriesen.