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Hoffen auf das Kap der Guten Hoffnung

Mit der Serie «Lebenslinien» begibt sich unsere Reporterin auf Zeitreise zu früheren Generationen, die aus ihrem Erfahrungsschatz berichten. Heute machen wir einen Abstecher nach Südafrika.

Alice Hofer

«Es ist mein grosser Wunsch, noch einmal nach Kapstadt zu reisen», sagt Erica Muheim, geborene Peters, mit hoffnungsvollem Lächeln. Man kann ihr die 90 Lebensjahre fast nicht glauben, die sie bereits auf der Erde und noch dazu auf abenteuerliche Weise verbracht hat. Sie sieht fantastisch aus, voller Schönheit und Elan, gelassen in sich selbst ruhend. Nichts scheint ihre innere Harmonie zu stören. Sie sei hier im Seniorenheim seit rund sechs Jahren sehr gut aufgehoben, lobt sie, «und doch brennt in meinem Herzen das Heimweh nach Südafrika». Ihre Kindheit verbrachte sie in Kapstadt. Erica Peters’ Vorfahren lassen sich zurückverfolgen bis zu Baron Pieter van Rheede van Oudtshoorn, lebhaft gewesen Juli 1714 bis Januar 1773. Er war in Utrecht geboren und 1772 zum Gouverneur der Kap-Kolonie ernannt worden. Bedauerlicherweise konnte er seinen Posten dann doch nicht antreten, weil er unterwegs dorthin auf hoher See unverhofft das Zeitliche segnete. Posthum nach ihm benannt sind eine Strasse, ein Gasthaus und eine Schule in Kapstadt. Gerne erwähnt Erika Muheim auch die Zusammenhänge mit anderen Persönlichkeiten aus Südafrika. Einer ihrer Söhne wohnt noch in Benoni, einer Kleinstadt östlich von Johannesburg, wo unter anderem auch die kleine Charlize Theron aufwuchs – heute Hollywood-Star, ebenso wie die junge Charlène Wittstock – heute Fürstin von Monaco – und Lynette Duran, die Mutter von Roger Federer. Jedoch hat man Muheim davon abgeraten, zum Ruhestand nach Südafrika zurückzukommen: «Es ist zu gefährlich geworden. Die Kriminalität ist enorm und überall. Seit der Beendigung der Apartheid haben lediglich die Vorzeichen geändert, sonst nichts. Auch für die Bauern ist das Leben unsicher, obwohl auf den Feldern wirklich alle am selben Strick ziehen müssen, egal welcher Farbe und Herkunft.»

Vom Tafelberg zum Uetliberg

In jungen Jahren arbeitete Muheim als Zahnarzt-Assistentin in Kapstadt, wo sie auch ihren ersten Ehemann kennengelernt hatte. Sie wohnten an der Küste mit Blick auf den indischen und den atlantischen Ozean, die dort aufeinandertreffen. In den höchsten Tönen schwärmt sie von den aufregenden Geländestrassen, von Constantia und den endlosen Reben, von der Waterfront-Flaniermeile in Kapstadt. «Der typische Morgennebel hat dem Tafelberg seinen Namen gegeben», erzählt sie, «weil er sich jeweils wie ein Tischtuch darüberlegt». Auch gefallen ihr die Städte Fish Hoek und Simon’s Town im Westen, die überwältigende Natur, die Straussenfarmen, das deutsch-inspirierte Städtchen Heidelberg, die Austernzucht in Knysna, und natürlich die gesamte Garden-Route bis hinauf nach Durban. Muheim war 59-jährig, als sie in die Schweiz kam, auf Einladung ihrer ältesten Tochter, welche einen Schweizer geheiratet hatte und bereits seit Jahren hier lebte.

Sie lebt seit über 30 Jahren in der Schweiz, doch Erica Muheims Herz sehnt sich noch immer nach ihrer Heimat Südafrika.
Sie lebt seit über 30 Jahren in der Schweiz, doch Erica Muheims Herz sehnt sich noch immer nach ihrer Heimat Südafrika.
© Alice Hofer

Die Tochter machte die Mutter mit dem Ingenieur Paul Muheim bekannt, einem Enkel des Anton Muheim, Alt-Nationalrat. Die beiden zögerten nicht lange, sondern begaben sich gemeinsam auf den weiteren Lebensweg. «Nach der Heirat mit Paul lernte ich die Schweiz richtig kennen, auch weil er einfach alles darüber wusste: Geographie, Politik, man konnte ihn fragen, er kannte jeden Berg, jeden Fluss, jeden Wald, jeden Namen. Wir pilgerten gemeinsam jeden Sonntag auf den Uetliberg zum Brunch, es wurde zu unserem Lieblings-Ausflug.» Man lebte zunächst in Urdorf, während Sie nur darauf wartete, ihrem neuen Gatten ihre alte Heimat schmackhaft zu machen, was keineswegs schwierig war. «Er verliebte sich sofort in Kapstadt», sagt sie. Das Paar verbrachte fortan jeweils abwechslungsweise sechs Monate hier, sechs Monate dort, wo er dann eines Tages auch verstarb. Sie musste allein in die Schweiz zurückkommen, wo sie wenigstens von vielen schönen Erinnerungen und der Unterstützung ihrer Tochter umgeben war.

Der Weg ist das Ziel

Und was möchte Erica Muheim der jungen Generation ganz allgemein sagen? «Geht auf Reisen!» sagt sie sogleich, «geht und seht so viel wie möglich von der Welt, so lange ihr könnt. Die Beweglichkeit nimmt im Alter ab, da wird die Mobilität stark eingeschränkt». Sie weiss, wovon sie spricht, seit sie vor einiger Zeit den Rollator zu ihrem ständigen Begleiter erklärte. Ohne ihn geht sie nirgendwo hin, was sie allerdings nicht davon abhält, ihren letzten unerfüllten Traum noch anzupeilen: «Ich will unbedingt nach Kapstadt im Frühling, das ist mein grösster Wunsch, und sei es auch die letzte Reise.» Dann will sie noch mit dem berühmten Blue Train fahren, einer Luxus-Eisenbahn im original-viktorianischen Stil, die von Kapstadt bis nach Dar Es Salaam fährt. «Und egal, wo ich dereinst sterben werde, in jedem Fall muss man meine Asche vom Tafelberg wehen lassen. Das ist mein definitiv letzter Wille!»

Menschen erzählen ihre Geschichten

In der Serie «Lebenslinien« lädt »felix. die zeitung.« die ältere Leserschaft (ab 65 Jahren) zum Gespräch ein. Erzählen Sie uns Ihre Erlebnisse, Einsichten und Weisheiten. «felix.»-Reporterin Alice Hofer besucht Sie gerne in Ihrem Daheim. Die Porträts erscheinen in lockerer Reihenfolge in der Zeitung. Wenn auch Sie etwas aus Ihrem Nähkästchen plaudern wollen, melden Sie sich bei uns per Mail an hofer@mediarbon.ch oder telefonisch unter 071 440 18 30.

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