In den Wehen posiert keine
Laura GansnerCelina Morel wusste schon als Kind: Sie will einmal Hebamme oder Kindergärtnerin werden. Entschieden hat sich die gebürtige Arbonerin für den zweiten Berufsweg. «Die Faszination Geburt ist geblieben», erzählt Morel. Dass sie sich dieser einst über das Fotografieren annähern würde, hatte sie nicht kommen sehen. Als sie zu Beginn in ihrer Freizeit immer mehr die Kamera zur Hand nahm, hatte sie schlichtweg ganz grundsätzlich Freude am Fotografieren. «Das war wirklich nur ein Hobby». Bis sie online über die Geburtsfotografie stolperte. Dieser Begriff bezeichnet die fotografische Dokumentation des Geburtsprozesses. Ein Stil, der bisher vor allem in den USA Anklang findet. «Unterdessen kommt diese Art der Fotografie aber auch immer mehr in Deutschland, Österreich und der Schweiz an», berichtet Morel, die von ihrer Entdeckung sofort begeistert war. Und sie lieber früher als später selbst ausprobieren wollte.
Erinnerungen wiedergebären
Kurzerhand fragte Celina Morel eine Bekannte, ob sie deren Geburt ihres Kindes fotografisch festhalten dürfe. Jene willigte ein und so konnte Morel vor vier Jahren ihre erste Erfahrung als Geburtsfotografin machen. Ihr anfänglicher Enthusiasmus verfestigte sich mit diesem Erlebnis. «Mit der Geburtsfotografie werden keine Inszenierungen, sondern Menschen in ihren ungefiltertsten Momenten festgehalten», erklärt sie ihre Begeisterung. Denn anders als bei klassischen Baby-Shootings, bei welchen die Neugeborenen in pastelligen Farben als Blümchen oder Tiere abgelichtet werden, kann sie als Geburtsfotografin nur das ablichten, was die Situation hergibt – schlechte Lichtverhältnisse und ungünstige Raumverhältnisse inklusive.
Und «Fotomodels», die sich für Morel in keine Posen schmeissen, mehr noch: Die Fotografin wird von den Gebärenden mehrheitlich kaum noch wahrgenommen, weil diese so von ihrer körperlichen Erfahrung eingenommen ist. Was ihrer Aufgabe umso mehr Gewicht verleiht, sagt Morel: «Gerade weil die Frau während der Geburt kaum noch etwas wahrnimmt von dem, was da eigentlich gerade geschieht, ist die Geburtsfotografie eine Möglichkeit, ihr diese Erinnerung ein Stück weit zurück zu geben». Zum Beispiel an Momente, in denen ein Partner oder eine Partnerin die Hand der Gebärenden hält, ihr über den Rücken streicht, an ihrer Seite ist. «Daran können sich viele nach der Geburt gar nicht mehr erinnern.» Doch nicht nur der Beistand, auch und besonders die Eigenleistung will Morel mit ihrer Fotografie festhalten: «Es ist unglaublich, was der Körper während einer Geburt leistet. Einer Frau durch meine Fotos ihre eigene Kraft zeigen zu können ist für mich ein grosses Privileg.» Und ein wahrer Vertrauensakt.
Auf Abruf bereit
«Bevor mich eine Frau als Geburtsfotografin bucht, treffen wir uns jeweils zuvor auf einen Kaffee für ein erstes gegenseitiges ’Beschnuppern’», erzählt Morel. Ihr ist klar, dass es grosses Vertrauen und viel Feingefühl ihrerseits braucht, damit sich eine Person wohl genug fühlt, sie an diesem intimen Moment teilhaben zu lassen. Sind sich beide Seiten einig, dass es nicht nur auf professioneller, sondern auch auf zwischenmenschlicher Ebene passt, werden die Details besprochen: Welche Aufnahmen wünscht sich die Kundin? Wo sind ihre Grenzen? Ist die fotografische Dokumentation auf den Moment der Geburt beschränkt oder soll Morel die Frau und ihre Familie auch in der anschliessenden Wochenbett-Zeit begleiten? Sind diese Fragen geklärt, ist Morel spätestens eine Woche vor Geburtstermin abrufbereit: «Ab diesem Zeitpunkt ist immer eine Tasche mit dem Nötigsten gepackt, das Auto getankt und für die allfällige Betreuung meiner zwei Kinder gesorgt.» Auch eine Notfall-Fotografin ist als Plan B organisiert. Denn kreuzt sich ein Geburtstermin mit ihrer Tätigkeit als Kindergärtnerin, kann sie an ihrem Arbeitsort nicht alles stehen und liegen lassen. Deshalb ist es ihr langfristiges Ziel, einst von der Geburtsfotografie leben zu können: «So gerne ich auch Kindergärtnerin bin, so sehr begeistert es mich, den lebensverändernden Moment einer Geburt für andere festzuhalten.»