Kinder, Hort und Bundesgelder
Laura GansnerZur Vorgeschichte: Noch vor drei Jahren scheiterte eine durch den Berger Gemeinderat initiierte Abstimmung zur Errichtung des «Chinderhuus Cavallino Berg» durch eine Patt-Situation an der Urne. Aufgrund eines Beschlusses des St. Galler Kantonsrats, laut welchem alle Gemeinden im Kanton ab dem 12. August 2024 eine schulergänzende Tagesbetreuung für Kinder vom Kindergarten bis zur 6. Klasse anbieten müssen, stimmte die Berger Bevölkerung im Jahr 2022 erneut über das Vorhaben ab – und sprach sich für die Kombination aus Kindertagesstätte (Kita) und Hort aus.
Warum brauchte es zwei Anläufe inklusive politischem Druck, um die Vorlage durchzubringen?
Bischoff: Das lag an mehreren Faktoren. Die Thematik ist relativ komplex, nur schon die Unterscheidung von Kindertagesstätte (Kita) und Hort ist nicht allen Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern geläufig.
Straub: Das ist auch verständlich, denn die Bezeichnungen sind nicht überall dieselben. Bei uns im «Chinderhuus Cavallino» bezeichnet Kita die Tagestätte für Säuglinge und Kleinkinder bis zum Schuleintritt. Der Hort steht dann für die schulergänzende Betreuung, welche für Kinder vom Kindergarteneintritt bis zur 6. Klasse angeboten wird.
Bischoff: Ausserdem hatten wir als Gemeinde das Problem, dass die erste Abstimmung aufgrund der Restriktionen während der Corona-Pandemie nicht wie für ein Geschäft in diesem Umfang üblich an der Bürgerversammlung behandelt werden konnte. Deshalb kam es zur Abstimmung an der Urne. Natürlich haben wir die Bevölkerung im Voraus schriftlich und ausführlich über das Projekt informiert.
Aber?
Bischoff: Das ist nicht dasselbe wie der mündliche Austausch an einer Versammlung. Das Projekt hätte viel Geld gekostet, was offenbar für viele nicht verständlich oder sinn- voll war. Dass wir beim zweiten Mal eine Bürgerversammlung durchführen konnten, hat uns sicherlich genauso geholfen, wie auch die Einführung des Pflichtangebots einer schulergänzenden Betreuung. Darunter fällt zwar nur der Hort. Wir konnten jedoch an der Bürgerversammlung aufzeigen, dass es für unsere Gemeinde im Verhältnis teurer wäre, nur das Pflichtangebot aufzustellen, als die kombinierte Lösung aus Kita und Hort anzubieten. Das Projekt hat auch bei der zweiten Abstimmung viele Fragen aufgeworfen, doch diesmal hatten wir die Möglichkeit, die nötigen Erklärungen mündlich zu liefern.
Sie haben bereits die Kosten für das Projekt angesprochen, welche auf die Gemeinde zukommen. Diese hängen unter anderem von der Anzahl genutzter Betreuungsplätze ab. Wie viele Plätze sind aktuell belegt und mit welchen konkreten Kosten wird davon ausgehend gerechnet?
Straub: Gestartet sind wir mit rund 30 Kindern in Hort und Kita. Somit sind aktuell noch Plätze frei.
Bischoff: Den betrieblichen Aufwand für das «Chinderhuus Cavallino» zu berechnen war und ist ein wenig wie Glaskugel lesen. Denn der endgültige Betrag ist abhängig von unterschiedlichen Faktoren: Zum einen von den Elternbeiträgen, welche je nach Einkommen und Vermögen sowie den gebuchten Modulen des Betreuungsangebots variieren. Zum anderen kommen Beiträge von Kanton und Bund hinzu, welche zum Beispiel von der Anzahl der Kinder in der Gemeinde oder den belegten Plätzen abhängig sind. Im Budget 2024 haben wir nun den finanziellen Aufwand für das «Chinderhuus» mit 67 420 Franken berechnet. Aktuell sieht es so aus, dass uns noch Kinder fehlen, um auf die Belegung zu kommen, mit welcher wir diese Berechnung aufgestellt haben. Wir müssen dementsprechend mit höheren Betriebsbeiträgen seitens der Gemeinde rechnen.
Seit 2003 ist das Bundesgesetz für Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung in Kraft, mit welchem zusätzliche Plätze für die Tagesbetreuung von Kindern geschaffen werden sollen. Wie sieht diese finanzielle Starthilfe für das «Chinderhuus Cavallino Berg» aus?
Straub: Die Bundesgelder können beantragt werden, wenn eine Institution zehn Plätze oder mehr zur Verfügung stellt. Deshalb haben wir uns für zwölf Kita- und zehn Hort- Plätze im «Chinderhuus Cavallino Berg» entschieden. Die Anstossfinanzierung wird dann bei entsprechendem Antrag für die Kita während drei Jahren, für den Hort während zwei Jahren vom Bund zur Verfügung gestellt.
Bischoff: Die Finanzierung nimmt pro Jahr prozentual ab. Im Budget rechnen wir für die Kita bis 2026 abnehmend mit 30 000 bis 15 000 Franken pro Jahr, für den Hort bis 2027 von 16 000 bis 3500 Franken pro Jahr. Dies mit der Annahme einer Auslastung von 50 Prozent und einer ausgeglichenen Verteilung der von den Eltern beanspruchten Zeitfenstern.
Eine Studie des Kinderhilfswerks UNICEF aus dem Jahr 2021 nimmt den Stand der Kinderfürsorge in 41 der reichsten Länder weltweit unter die Lupe. Dabei schneidet die Schweiz als eines jener Länder ab, in welchem der Mittelstand die höchsten Kosten für familienergänzende Kinderbetreuung trägt. Unter anderem aus diesem Grund wird aktuell auf Bundesebene darüber diskutiert, dass die Finanzhilfe für familienergänzende Kinderbetreuung in eine langfristige Lösung überführt werden soll (Kasten). Wie zielführend ist dieses Vorhaben?
Straub: Finanzielle Unterstützung vom Bund hilft auf jeden Fall. Es ist aktuell sicher so, dass eher eine Mittel- bis Oberschicht sich die externe Betreuung leisten kann. Wobei ich bei uns im «Chinderhuus Cavallino» in Wittenbach auch die Variante sehe, dass beispielsweise bei ökonomisch schwächeren Familien das Sozialamt finanzielle Unterstützung leistet.
Bischoff: Ich beobachte bei den jungen Personen in meinem Umfeld ganz klar, dass die Finanzierungsfrage schwer ins Gewicht fällt, wenn es darum geht, wer wie viel nach der Geburt eines Kindes weiterarbeitet, damit ein externes Betreuungsangebot genutzt werden kann. Man will ja am Ende nicht einfach arbeiten gehen, um sich gerade so die Betreuung finanzieren zu können. Da gibt es dann einen Unterschied zwischen jenen Personen, die sich eine externe Betreuung aus eigener Tasche schlichtweg nicht leisten können und jenen, die es sich nicht leisten wollen, weil sie andere Prioritäten setzen. Da ist dann die Frage, auf was man bereit ist zu verzichten, um das Kind extern betreuen zu lassen.
Nach all diesen finanziellen Aspekten der Kinderbetreuung stellt sich abschliessend die Frage: Ist das kantonale Gesetz einer schulergänzenden Tagesbetreuung für die St. Galler Gemeinden sinnvoll, gerade auch für so eine kleine Gemeinde wie Berg?
Straub: Ja, denn es macht die externe Kinderbetreuung viel zugänglicher. Eltern müssen dann keine organisatorischen Verbiegungen mehr machen, um ihre Kinder professionell betreuen zu lassen; egal, ob sie in einer Stadt oder auf dem Land wohnen. Ganz grundsätzlich gibt es Eltern ausserdem die Möglichkeit in einem Arbeitsprozess zu bleiben oder wieder einzusteigen.
Bischoff:(nickt) Wenn wir auf dem Arbeitsmarkt auf all die jungen Frauen verzichten müssten, welche Mütter werden, dann würde das höllisch schmerzen.
Tiefere Elternbeiträge in Verhandlung
Das «Chinderhuus Cavallino Berg» profitiert vom Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung. Diese Anstossfinanzierungen laufen im Jahr 2026 aus, weshalb auf Bundesebene über eine langfristige Lösung zur Senkung der Elternbeiträge diskutiert wird.
Die Anstossfinanzierungen des Bundes befinden sich bereits in der fünften und voraussichtlich letzten Verlängerung. Stand Ende 2023 hat der Bund mit seinen Finanzhilfen zur Schaffung von rund 76 000 neuen Betreuungspläzen beigetragen, wie es in einer Medienmitteilung des Bundes heisst. Damit diese Unterstützung mit dem Auslaufen der Finanzhilfen nicht wegfällt, hat sich die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates bereits vor drei Jahren der Überführung der Anstossfinanzierung in eine langfristige Lösung gewidmet. Die parlamentarische Initiative fordert einen Bundesbeitrag von 20 Prozent an die externen Betreuungskosten, so dass Eltern finanziell entlastet werden. Der Bundesrat lehnt den Vorschlag eines Bundesbeitrags ab. «Zum einen ist die familienergänzende Kinderbetreuung in der Kompetenz der Kantone und auch in der Verantwortlichkeit der Arbeitgeber, zum anderen erlaubt die angespannte finanzielle Situation des Bundes kein weiteres Engagement», heisst es in einer Medienmitteilung des Bundes. Nachdem sich der Nationalrat dennoch mehrheitlich gegen den Antrag des Bundesrates und damit für eine Einführung eines Bundesbeitrags aussprach, befindet sich die Initiative nun in Vernehmlassung. Sowohl der Kanton Thurgau als auch der Kanton St. Gallen sprechen sich in ihren Stellungnahmen gegen Bundesbeiträge für die externe Kinderbetreuung aus. Während der Regierungsrat des Kantons Thurgau an der verfassungsmässigen Grundlage der Vorlage zweifelt, verweist der Regierungsrat des Kantons St. Gallen darauf, dass insbesondere die politischen Gemeinden – mit Unterstützung des Kantons – mit der Förderung der institutionellen Kinderbetreuung beauftragt seien. Nach Ende der Vernehmlassung beraten die Räte erneut über die Vorlage.
Über den Verein Chinderhuus Cavallino
Das «Chinderhuus Cavallino Berg» gehört dem Verein Chinderhuus Cavallino an, welcher bereits seit 22 Jahren familien- und schulergänzende Betreuung in Wittenbach anbietet. Die Gemeinde nahm sich im Jahr 2001 als eine der ersten in der Ostschweiz dem Thema der externen Kinderbetreuung an, indem sie die Gemeinderätin Marlies Lorenz mit der Organisation eines entsprechenden Angebots beauftragte. Mit Lorenz als Vereinspräsidentin startete das «Chinderhuus Cavallino Wittenbach» ein Jahr später mit einem ersten Standort und fünf Mitarbeitenden. Lorenz übergab ihr Amt vergangenes Jahr an Diana Straub, die unterdessen vier Standorte in Wittenbach und insgesamt 35 Mitarbeitende verantwortet. Hinzu kommt der neue Ableger «Chinderhuus Cavallino Berg», welcher diese Woche mit zwei Mitarbeiterinnen offiziell eröffnet wurde. Die Nähe zu Wittenbach, die Vereinsphilosophie sowie die pädagogische Erfahrung seien für die Gemeinde Berg ausschlaggebend gewesen für eine Zusammenarbeit mit dem Verein, erklärt Gemeinderat Christian Bischoff. Aktuell hat das «Chinderhuus Cavallino Berg» noch Kapazität für weitere Kinder. Interessierte können sich unter chinderhuus-cavallino.ch einen Überblick über Betreuungstarife und weitere Informationen verschaffen.