Klimaerwärmung wird Wendepunkt
Laura GansnerSabine Heselhaus, welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf unseren Körper?
Das kann man nicht so verallgemeinert beantworten. Fest steht: Der Klimawandel erhöht punktuell die Temperaturen, so dass Hitzewellen entstehen können. Besonders durch Beton-Überbauungen in Städten kann dort die Hitze nicht mehr fliehen. Es kommt zu Hitzestaus. Wir alle, aber besonders vulnerable Gruppen wie vorerkrankte oder ältere Menschen, aber auch Säuglinge sind damit einer erhöhten Gefahr eines Kreislauf-Kollaps ausgesetzt.
Die Hitze ist also unsere grösste Herausforderung.
Die Hitze und deren indirekte Folgen. Zum Beispiel verlängert sich mit den erhöhten Durschnittstemperaturen die Wachstumsperiode von allergenen Pflanzen und damit der Pollenflug, so dass die von Heuschnupfen und Allergien betroffenen Personen immer stärker und länger darunter leiden. Ausserdem bedingt die Erwärmung Umweltkatastrophen wie Erdrutsche, Überschwemmungen, Dürren. Dadurch werden unsere Ressourcen – Grundwasser wie auch Lebensmittelversorgung – knapper. Dies wiederum führt zu mehr Landverbrauch und wir leben als Konsequenz immer näher an Wildtieren, was zu Zoonosen, also durch Tiere übertragene Infektionskrankheiten, führen kann. Spätestens seit der Corona-Pandemie, ist das Ausmass einer solchen Übertragung allen bewusst.
Evolutionstechnisch betrachtet: Verändern die erhöhten Temperaturen denn auch unseren Körper?
Die Frage ist eher: Wie reagieren unsere Körper darauf? Vorweg will ich betonen, dass die Probleme, die ich bereits beschrieben habe, in unserer nördlichen Hemisphäre nicht so einschneidend erlebt werden, da wir grossen Wohlstand geniessen. Wir können in Notsituationen schnell reagieren, beispielsweise einen Raum kühlen, wenn es zu heiss wird. Bei uns sind vor allem die bereits erwähnten vulnerablen Gruppen betroffen. Aber klar, auch nicht-vulnerable Gruppen können Temperaturen über 40 Grad nicht über einen längeren Zeitraum hinweg aushalten.
Daran werden wir uns nicht anpassen können?
Nicht genügend, nein. Es besteht eine erhöhte Gefahr von Thrombosen und Herzinfarkten. Hinzu kommt die Verschlimmerung von Atemwegs- und Lungen-Erkrankungen.
Das hört sich jetzt ziemlich bedrückend an. Kann die Medizin darauf überhaupt reagieren?
Ja, und das tut sie bereits. So sind in vielen Spitälern unterdessen Katastrophenpläne in Anwendung, damit das Personal auf die zusätzliche Belastung durch die klimatischen Veränderungen reagieren kann und die nötigen Räume und Ressourcen zur Verfügung stehen. Zu den zusätzlichen Belastungen zählen zum Beispiel auch die vermehrten Unfälle bei Wanderungen.
Was haben diese mit dem Klimawandel zu tun?
Durch die höheren Temperaturen schmilzt der Permafrost, so dass immer mehr Geröll vorhanden ist. Je mehr Leute dann in den Bergen unterwegs sind, desto schneller kann dies zu Steinlawinen und ähnlichem führen. Die Häufung der so verursachten Unglücke ist auffallend. Sie sehen, Spitäler müssen viele Faktoren miteinberechnen. Prävention ist diesbezüglich ein wichtiger Begriff – aber nicht nur im gesundheitlichen Bereich.
Sondern?
Vorsorge tragen können auch Gemeinden, zum Beispiel in dem sie der Bevölkerung mehr Schattenplätze zur Verfügung stellen, im Optimalfall indem sie mehr Bäume pflanzen. Damit können sie gleich auch für mehr Grünflächen sorgen, so dass die bereits erwähnten Hitzestaus gar nicht erst entstehen können.
Und wie funktioniert die Prävention im gesundheitlichen Bereich?
Durch die Stärkung der Resilienz. Lassen sie mich kurz ausholen: Wir werden zwar immer älter, weil wir grundsätzlich ein gutes Gesundheitssystem haben. Aber aufgrund von Zivilsationskrankheiten wie Diabetes oder Herz- und Gefässkrankheiten sind immer mehr Menschen krank und benötigen medizinische Hilfe. Leben die Leute gesünder und damit resilienter, sprich widerstandsfähiger, wird das Gesundheitssystem entlastet, was ja dringend nötig ist.
Sie sprechen das mangelnde Fachpersonal im Gesundheitswesen an.
Genau. Das Gesundheitssystem ist zur Zeit ja nicht nur an Hitzetagen überlastet, sondern leidet unter einem akuten Fachkräftemangel. Um dagegen anzukommen, muss jeder und jede Einzelne mehr Verantwortung übernehmen. Heisst, alles dafür tun, gar nicht erst krank zu werden.
Wie soll das gelingen?
Durch genügend Bewegung und eine gesunde Ernährung. Es ist wichtig, dass wir wieder ein Gespür für die Bedeutung unserer Ernährung entwickeln – nicht nur zu unserem Nutzen, sondern für das grosse Ganze.
Wenn ich mir also gesündere Verhaltensweisen aneigne, verbessere ich damit gleich ein wenig die Welt mit?
So in etwa. Aktuell geben wir in der Schweiz durchschnittlich nur etwas mehr als sechs Prozent unseres Einkommens für Nahrungsmittel aus. In anderen Ländern liegt diese Ziffer deutlich höher, im zweistelligen Bereich. Dass wir weniger für Lebensmittel ausgeben hat zur Folge, dass diese an Wert verlieren und günstiger produziert werden müssen. Dies führt unter anderem zu einem übermässigen Einsatz von Herbiziden und Pestiziden, sowie dem Verlust an Biodiversität, wodurch das Klima strapaziert wird. Ernähren wir uns gesund, möglichst biologisch, regional und saisonal, so tun wir im Endeffekt nicht nur etwas für unsere Gesundheit, sondern auch für jene der Erde. Sie sehen, am Ende ist alles miteinander vernetzt. Deshalb sollte auch in der Medizin ein ganzheitliches Denken gefördert werden.
Ihrer Argumentation kann man entgegnen, dass nicht für alle Menschen eine gesunde Ernährung und viel Bewegung möglich ist – sei diese finanziell oder zeitlich bedingt. Wie kann dafür gesorgt werden, dass auch diese Personen gesünder leben können?
Durch sogenannte Multiplikatoren. Um an einem Beispiel aufzuzeigen, was ich damit meine: In grösseren Betrieben gibt es vermehrt sogenannte Nachhaltigkeits-Verantwortliche. Diese sind dafür zuständig, Möglichkeiten zu finden, um nachhaltige Veränderungen im Betrieb anzustreben. Dies kann bedeuten, den Mitarbeitenden ein finanzieller Anreiz zu verschaffen, wenn sie das Velo oder öffentliche Verkehrsmittel anstelle eines Autos verwenden. Oder sie sorgen dafür, dass in der Kantine mindestens ein gesundes, möglichst vegetarisches Menü zur Verfügung steht. Wird auf diesem Weg jemand für ein neues Gericht begeistert und kocht dieses sogar zuhause, hat sich die im Betrieb angestupste Veränderung multipliziert.
Vorhin haben Sie ein ganzheitliches Denken in der Medizin angesprochen. Weshalb ist dies wichtig?
Der Fokus liegt aktuell stark auf apparativer Medizin, sprich auf der Diagnose von Krankheiten. Präventive Massnahmen werden kaum vergütet, weshalb man als Ärztin oder Arzt fast gezwungen ist, mit dem Strom mitzuschwimmen. Die Bevölkerung hat verinnerlicht, dass die Medizin einfach Lösungen bietet: Nehmen sie diese Pille und sie erhalten das gewünschte Resultat, fertig. Doch so einfach ist es eben nicht. Alles hängt miteinander zusammen, wie ich am Beispiel der Ernährung aufgezeigt habe. Dies ist auch der Grundgedanke von «Planetary Health», zu deutsch: planetare Gesundheit.
«Planetary Health» – was ist damit gemeint?
Das ist eine noch recht junge Fachrichtung der Medizin, in der es im Kern um die Vernetzung des Menschen mit seiner Umgebung geht. Zuvor hat man sich in der Medizin vor allem mit «Public Health», der öffentlichen Gesundheit, beschäftigt. Dabei wurde die sozioökonomische Umgebung als Faktor für die Gesundheit miteinberechnet. Bei «Planetary Health» wird nun zusätzlich die Natur mit ins Spiel gebracht. Die Interaktion zwischen Mensch und Natur steht dabei im Fokus, egal ob diese nun positiv oder negativ ist. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass immer mehr von einer Chance des Klimawandels gesprochen wird.
Der Klimawandel ist also nicht zwingend unser Untergang, sondern vielleicht sogar unsere Rettung?
Diese Sichtweise hat sich erst in den letzten zehn Jahren entwickelt. Während es aus medizinischer Perspektive zuvor noch hiess, dass der Klimawandel die grösste Bedrohung für unsere Gesundheit sei, betrachtet man diesen jetzt als grösste Chance für die Menschheit. Denn er verlangt eine Verhaltensänderung und diese könnte uns allen ein besseres und gesünderes Leben ermöglichen. Es wird in dem Zusammenhang deshalb auch nicht länger nur vom ökologischen Fuss- sondern auch Handabdruck gesprochen.
Was versteht man unter dem ökologischen Handabdruck?
Während sich der Fussabdruck auf die negativen Konsequenzen unserer Lebensweisen bezieht, wird mit dem Handabdruck genau das Gegenteil betrachtet. Er beschreibt, was wir tun und wo wir aktiv unser eigenes Verhalten so ändern können, damit die Welt und wir gesünder werden. Weitere Personen mit diesem Verhalten anzustecken, die Veränderungen in Institutionen umzusetzen und in die Bildung einfliessen zu lassen – all dies zählt ebenfalls zum ökologischen Handabdruck.
Zum Schluss ein kleiner Exkurs: Aktuell erfreut sich eine Serie eines bekannten Streaming-Anbieters grosser Beliebtheit, in welcher sich aufgrund der Temperaturerhöhungen ein bösartiger Pilz in den Menschen ansiedeln kann und diese zu steuern beginnt. Bis zu welchem Punkt ist ein solches Szenario im Zuge der Klimaerwärmung realistisch?
Unser Körper ist bereits jetzt voll von Mikroorganismen, das ist also nichts Neues. Wir leben in Symbiose mit vielen verschiedenen Systemen, wie zum Beispiel den Darmbakterien, welche die Funktion des Darms überhaupt erst reibungslos ermöglichen. Sie sind also unsere Helfer. Eine Störung des Systems – dazu kann auch die Klimaerwärmung führen – kann dieses ins Wanken bringen und dann wird es für uns Menschen gefährlich. Um das Beispiel eines Pilzes aufzugreifen: Pilze können häufig auf der Haut oder den Schleimhäuten nachgewiesen werden. Doch nicht bei allen, die einen solchen Erreger in sich tragen, bricht er auch tatsächlich aus. Weshalb? Weil diese Personen gesund und resilient sind.
Über die Person
Dr. med Sabine Heselhaus ist Fachärztin für Chirurgie und kandidiert zur Zeit für die Grünen für den Kantonsrat in Luzern. Ausserdem ist sie Dozentin für «Planetary Health» an den Universitäten Luzern und Basel sowie der Fachhochschule Nordostschweiz und führt ihre eigene Praxis für komplexe Wunden in Adligenswil. Am Dienstag, 7. März, spricht sie bei einem Vortrag der Engero (Energiegenossenschaft Region Ostschweiz) über den Zusammenhang von Klimaerwärmung und Körper. Der Vortrag beginnt um 19.30 Uhr in den Räumlichkeiten der Haustechnik Eugster im Pünt 1 in Arbon. Der Eintritt ist kostenlos.