«Kontroversen sind halt spannender»
Andrea Vonlanthen
«Bad news are good news», sagt uns die Medienpsychologie, weil schlechte Nachrichten die Aufmerksamkeit des Publikums steigern. Berichten Sie darum auch über Arbon vor allem Negatives?
Sascha Zürcher: Das ist eine Behauptung! Wir berichten natürlich auch über Positives. Wir berichten halt in erster Linie über Ereignisse, die nicht nur von lokaler, sondern auch von regionaler Relevanz sind und auch einen Glarner oder eine St. Gallerin interessieren.
Wann haben Sie zuletzt positiv über Arbon berichtet?
Die Ausstellung im Historischen Museum über die ehemaligen Saurer-Lehrlinge war zum Beispiel ein Thema für uns. Wir haben auch mit 60- und 70-jährigen ehemaligen Lehrlingen gesprochen. Die sind immer noch stolz auf Saurer. Eine schöne und eindrückliche Geschichte.
Wie kommen Sie überhaupt zu den Themen für das Regionaljournal?
Wir haben immer am Morgen unsere Sitzung mit dem ganzen Team. Das sitzt zum Teil im Studio in St. Gallen oder wird per Video zugeschaltet. Da schauen wir, was die Agenturen bringen, was in den Zeitungen steht oder was uns sonst von Informationsstellen gemeldet wurde. Auch Beobachtungen von Kolleginnen und Kollegen führen zu Geschichten für unsere fünf täglichen Sendungen.
Geben Ihnen auch Ihre Söhne Livio, Miro und Jano oder Ihre Frau Katharina Tipps zu spannenden Themen?
Absolut. Meine Frau zeigte mir kürzlich ein Video über das St. Galler Kinderfest und den neuen Kinderfest-Song. Dieses Lied hatten wir noch nicht auf dem Radar. Darüber haben wir dann einen bunten Beitrag gemacht. Auch von meinen Söhnen gibt es hin und wieder Tipps, wobei ich die meist nicht umsetzen kann, weil sie sich vor allem für den FC St. Gallen und für Handball interessieren. Sie spielen alle in Jugendmannschaften beim HC Arbon.
Ihre Jungs sind 12, 11 und 8 Jahre alt. Hören sie überhaupt Radio?
Ja, durchaus. Da gibt es eine elterliche Vorbelastung. Meine Eltern hörten häufig Radio. Auch bei uns daheim läuft den ganzen Tag das Radio, meist SRF 1. Ab und zu muss ich für die Kinder aber den Sender wegen der Musik umstellen, da läuft dann halt FM 1 oder so. Läuft das Regionaljournal, rufen sie manchmal: «Papi, bist nicht du das?»
Wenn Sie die Wahl haben zwischen einem Knatsch im Stadthaus und der eisernen Hochzeit eines bekannten Politikers: Was ziehen Sie vor?
Den Knatsch im Stadthaus, ganz klar! (lacht) Das gibt einfach mehr her. Kontroversen sind halt spannender. Aber man muss dann natürlich beide Seiten einholen.
Wie transparent wird im Arboner Stadthaus informiert?
Mit dem Stadtrat in der neuen Formation hatte ich noch nicht viel zu tun. Früher war das häufiger der Fall. Super war es mit Stadtpräsident Dominik Diezi. Zu ihm hatte ich einen sehr schnellen Draht. Bei seinem Vorgänger war es noch anders. Da wurde manchmal etwas gemauert. In letzter Zeit gab es eigentlich keine Probleme.
Lag das Mauern an den Personen oder an den Themen?
Vor allem an den Themen. Lange war die Informationspolitik etwas unbefriedigend, zum Beispiel bei Strassenprojekten und vor allem bei «Riva». Bei «Riva» wurde man manchmal abgeblockt. Man verwies gerne auf HRS oder auf die Vorgänger. Da hätte die Stadt offensiver informieren können.
Wären Sie städtischer Marketingchef: Wie würden Sie Arbon noch besser verkaufen?
Arbon hat viel zu bieten. Ich denke, dass Arbon touristisch stiefmütterlich unterwegs ist. Man könnte die Leute noch mehr an den See locken. Schwierig finde ich die Entwicklung im Städtli. Jetzt gibt es zwar die neue Holz-Veranda auf dem Marktplatz, die eine Piazza sein soll. Das wirkt auf mich einfach nur komisch. Und es gibt nun plötzlich zwei Gelaterias auf engstem Raum. Da fehlt mir eine klare Strategie für die Zukunft. Manches wirkt auf mich sehr zufällig.
Was fällt Ihnen besonders auf an der Entwicklung von Arbon?
Ich frage mich, wo alle die Leute herkommen sollen in die vielen neuen Wohnungen. Überall wird in Arbon gebaut. Jede Wiese wird zugepflastert. Vielleicht müsste man da auch einmal sagen: Jetzt reichts!
In Arbon gab es einst drei Tageszeitungen, die sich gegenseitig zu Höchstleistungen angetrieben haben. Fühlen Sie sich heute als Arboner ausreichend informiert?
Die heutige Monopolsituation wirkt sich negativ aus. Früher gab es einfach von allen Seiten mehr Informationen. Man war besser informiert. Es gab auch eine kritischere Presse. Ich fühle mich heute in Arbon nicht immer gut informiert. Man schreibt zehn Mal über den Streit über die Pergola vom «Roten Kreuz» und vernachlässigt dafür andere, wichtigere Themen.
Wie kamen Sie überhaupt zum Radio?
Über ein Volontariat damals bei Radio Wil während des Germanistik-Studiums. Ich wollte immer zum Radio. Nach dem Volontariat gabs ein einjähriges Praktikum, praktisch ohne Lohn, bei dem ich aber viel gelernt habe. Die Unmittelbarkeit, die Schnelligkeit des Radios hat mich immer fasziniert.
Wie soll man sich Ihren durchschnittlichen Arbeitstag vorstellen?
Den gibts eben nicht. Man weiss nie, was auf einen zukommt. Es kann die Olma-Halle brennen, dann steht man morgens um vier schon dort. Es kann in Arbon eine Saurer-Halle im Vollbrand stehen. Und schon ist die ganze Planung über den Haufen geworfen. Doch im Normalfall haben wir eben am Morgen unsere Sitzung. Bin ich Produzent, dann leite ich im Studio in St. Gallen die Sitzungen und verteile die Themen. Dann machen wir uns daran, die Sendungen von zwölf Uhr und von halb sechs Uhr vorzubereiten. Wir müssen aber auch schon die Morgensendungen des nächsten Tages im Kopf haben.
Womit haben Sie in den letzten Jahren am meisten Aufsehen erregt?
Das waren Beiträge mit ganz menschlichen Themen. Es ist nicht der Finanzausgleich des Kantons oder die Revision der Gemeindeordnung, welche am besten ankommen. Es sind menschliche Themen und Schicksale, die den Leuten besonders nahe gehen. Der Brand der Saurer-Halle im WerkZwei hat die Leute besonders stark bewegt.
Sie haben auch spezielle Medienpreise gewonnen.
Ich habe zwei Mal den Ostschweizer Medienpreis gewonnen. Einmal war ich mit Schlittenhunden auf Reportage im Toggenburg, das andere Mal wurde ich für einen Radiobeitrag über ein Altersheim für Kühe ausgezeichnet. Und beim Schweizer Medienpreis für den besten deutschsprachigen Radiobeitrag ging es um Heidi. Die St. Galler wollten den Bündnern in Flumserberg das Heidi wegnehmen. Das ergab einen witzigen Beitrag.
Journalisten beim «Tagblatt» werden heute an ihren generierten Internet-Klicks und nicht unbedingt an der Qualität der Beiträge gemessen. Eine gesunde Entwicklung?
Das finde ich gar nicht gut. Das ist wie die Quote beim Fernsehen. Das führt dann nur dazu, dass man zehn Mal über das «Rote Kreuz» berichtet. Die wirklich relevanten Themen fallen unter den Tisch.
Woran werden Sie beim SRF-Regionaljournal beurteilt?
An der Qualität, der Ausgewogenheit, der fundierten Recherche. Es muss auch wirklich stimmen, was wir sagen. Wir haben eine Programmkommission, die uns regelmässig ein Feedback gibt. Und wir haben auch kritische Hörer, die sich per Mail oder am Telefon melden.
Was bemängelt die Programmkommission gerne?
Da geht es mitunter auch um die Regionalität. Ein Glarner findet, das Glarnerland komme zu kurz, oder ein Thurgauer meint, wir hätten in Frauenfeld eine wichtige Medienkonferenz verpasst. Unsere personellen Möglichkeiten sind halt begrenzt, obwohl wir 20 Leute beschäftigen, viele aber Teilzeit. Fünf sitzen im Churer Studio.
Was ist für Sie guter Journalismus?
Guter Journalismus ist fair, qualifiziert, checkt die Faktenlage genau, hat Hand und Fuss. Er ist nicht zuerst auf Klicks ausgerichtet.
Sie sind beim Regionaljournal auch Sportchef. Was tun Sie, damit nicht nur vom FC St. Gallen gesprochen wird?
Da sprechen wir auch im Team oft darüber. Wir wollen auch die Frauen berücksichtigen, zum Beispiel beim Handball. Ich war letzthin auch beim Unihockey und bei Floorball Thurgau. Kürzlich war Badminton dran. Oder Wasserball, der Schwimmclub Kreuzlingen ist ja auch top. Aber logisch kommt der FC St. Gallen mehr vor, weil er viele, viele Fans interessiert.
Der «felix.» feiert dieses Jahr sein 25-Jahr-Jubiläum. Was würden Sie anders machen, wenn Sie für den «felix.» verantwortlich wären?
Hu, gute Frage! Ich lese den «felix.» gerne. Er ist informativ, spannend, manchmal auch überraschend. Er kann auch für das Regionaljournal einmal eine Fundgrube sein. Vielleicht würde ich das Menschliche noch etwas mehr hervorheben, dem normalen Fussvolk etwas mehr Aufmerksamkeit schenken, nicht nur den Politikern und der Wirtschaft. Eine Art Stammtisch einführen zum Beispiel.
Welches wäre Ihre persönliche Traumreportage für den «felix.»?
Da würde ich gerne über die Fischer rund um den Bodensee und speziell auch aus der Region berichten. Ich würde am Morgen mit einem Fischer rausfahren und schauen, was da alles läuft. Und aufzeigen, dass Berufsfischer meist nicht mehr vom Fischen leben können. Diese Problematik interessiert mich.
Im August werden Sie 50 Jahre alt. Was macht der 50-jährige Journalist Sascha Zürcher anders als der 25-jährige?
Er ist ruhiger geworden und schiesst nicht mehr so schnell drein wie früher, als einem die alten Kollegen dann sagten: «Jetzt prüfe mal, ob das wirklich stimmt.» Ich muss nicht mehr der Schnellste sein, aber ich will der Genaueste sein. Die Leidenschaft für den Journalismus aber ist auf jeden Fall geblieben. Die spannendsten Menschen sind für mich immer noch die, die selber Leidenschaft haben und für das brennen, was sie tun.