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Niemand soll alleine gehen müssen

Sterben ist noch immer eines der grossen Tabu-Themen unserer Gesellschaft. Sandra Culjaga und Maya Tavernier von der Hospizgruppe Goldach wollen damit brechen.

Kim Berenice Geser

Es ist Freitagnachmittag. Kurz nach zwei Uhr betreten die Steinacherin Sandra Culjaga und die Goldacherin Maya Tavernier das Mediencafé des «felix.» und setzen sich an einen der alten, furchigen Holztische. Sie sind hier, um über ihre Tätigkeit bei der Hospizgruppe Goldach zu sprechen. Die Mitglieder des ehrenamtlichen Vereins, der überkonfessionell und politisch neutral arbeitet, begleiten seit 20 Jahren Sterbende in den Gemeinden Steinach, Tübach, Goldach, Mörschwil und Untereggen auf ihrem allerletzten Lebensabschnitt. Allein in diesem Jahr leisteten die 12 Freiwilligen, zu denen auch Sandra Culjaga und Maya Tavernier gehören, bisher über 300 Stunden an den Betten sterbender Menschen. Was bewegt die beiden Frauen zu diesem Engagement? «Ich will der Gesellschaft etwas zurückgeben», sagt Culjaga und fährt fort: «Wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der wir viel mehr nehmen als wir geben. Das Gleichgewicht stimmt nicht mehr.» Tavernier nickt: «Es ist wichtig, dass wir unserem Nebenan auch wieder etwas zurückgeben.» Für sie steht es aus diesem Grund auch nicht zur Diskussion, Geld für ihre Tätigkeit anzunehmen. «Dann würde es zum Job. Damit hätte ich Mühe», erklärt sie.

Entlasten und unterstützen

Die unentgeltlichen Einsätze der Hospizgruppe Goldach finden im Auftrag von Angehörigen und Pflegeeinrichtungen statt. «Gerade für die Angehörigen ist die Betreuung eines kranken Menschen am Lebensende belastend», erklärt Culjaga. Und dem Pflegepersonal in Heimen und Spitälern fehle oft die Kapazität, um eine ganze Nacht am Bett eines Sterbenden zu sitzen. «Hier kommen wir ins Spiel. Wir entlasten und unterstützen, in dem wir diesen Menschen unsere Zeit schenken.» Dabei gleicht kein Einsatz dem andern. Die meisten sind spontan, sie werden dann nötig, wenn der Tod unmittelbar vor der Tür steht. Bei unheilbar Kranken kann es aber auch vorkommen, dass die Hospiz-Freiwilligen jemanden über einen längeren Zeitraum hinweg begleiten. «Diese Einsätze gehen mir oft nahe, weil ich die Menschen kennenlernen darf und eine Bindung aufbaue», sagt Tavernier. In diesen Fällen gehe sie auch privat an die Beerdigung. Auch Culjaga handhabt dies so. «Nach einer Langzeitbetreuung ist es wichtig, dass auch wir Abschied nehmen und einen Trauerprozess durchlaufen können.»

Sandra Culjaga (r.) und ihrer Vereinskollegin Maya Tavernier begleiten seit vielen Jahren Menschen auf dem Sterbebett.
Sandra Culjaga (r.) und ihrer Vereinskollegin Maya Tavernier begleiten seit vielen Jahren Menschen auf dem Sterbebett.
© Kim Berenice Geser

Sterbebegleitung – ein Privileg

So unterschiedlich wie im Leben seien die Menschen auch im Sterben, erzählen die beiden Frauen. Was jemand brauche, entscheide diese Person selbst, sofern sie dazu noch in der Lage sei. Ansonsten verlassen sich die beiden auf ihr Bauchgefühl. «Du merkst schnell, ob jemand will, dass du seine Hand hältst oder nicht.» Manchmal lesen sie vor, manchmal plaudern sie und manchmal leisten sie nur still Gesellschaft. «Es gibt Menschen, die nutzen ihre letzten Stunden noch für ein Geständnis», weiss Tavernier aus Erfahrung. Dieses bleibt dann unter den beiden – die Mitarbeitenden der Hospizgruppe unterstehen der Schweigepflicht. Immer wieder gibt es auch Fälle, in denen sich Sterbende mit ihren tiefsten Ängsten konfrontiert sehen. Culjaga erinnert sich: «Als wir in einem Interview im Tagblatt erzählten, dass es auch Menschen gibt, die im Sterben schreien, sahen wir uns mit einem regelrechten ‹Shitstorm› konfrontiert.» Ärzte hätten angeprangert, dass heute niemand mehr im Schmerz sterben müsse. Dabei ginge es hier oft gar nicht um die Schmerzen, sondern um die Angst vor dem Tod. «Ich beobachte das häufig bei Menschen, die noch unverarbeitete Dinge auf dem Herzen haben, solchen, die nicht loslassen können oder noch auf jemanden warten», schildert Tavernier. Der Tod ist die grosse Unbekannte für den Menschen. Dass das Angst machen kann, verstehen beide. Umso wichtiger sei es deshalb, im Tod nicht allein zu sein. Beiden ist es noch nie passiert, dass sie einen Sterbenden in seiner Angst nicht beruhigen konnten. – Ein Blick auf die Uhr verrät: Der Nachmittag ist schon weit fortgeschritten. Die Zeit ist während des Gespräches wie im Nu verflogen. Eine letzte Frage also: Was braucht es, wenn man als Freiwillige bei der Hospizgruppe arbeiten möchte? Maya Tavernier klopft sich energisch auf die Brust: «Herz, es braucht Herz.» – «Empathie und Offenheit», fügt Sandra Culjaga an. Obwohl die Arbeit für die Hospizgruppe durchaus fordernd sein kann, empfinden es beide als Privileg, Menschen in ihren letzten Stunden begleiten zu können. «Wir kommen ja auch nicht alleine auf die Welt. Warum sollen wir also alleine gehen?», fragt Culjaga.

20 Jahre Hospizgruppe Goldach

Die Hospizgruppe Goldach will mehr Energie in die Öffentlichkeitsarbeit stecken. Den Startschuss hierfür macht das Jubiläumsfest von Samstag, 11. November. Anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums lädt die Hospizgruppe in die Wartegghalle in Goldach ein. Dort informiert der ehrenamtliche Verein über seine Arbeit, begleitet von einem geselligen Beisammensein mit Nachtessen. Durch das Abendprogramm führt Schauspieler Philipp Langenegger. Der Anlass dauert von 17 bis 22 Uhr und der Eintritt ist kostenlos. Ein weiteres Projekt sind Vorträge rund um das Thema Tod und die Arbeit der Hospizgruppe. Diese sollen zwei- bis dreimal pro Jahr in Steinach stattfinden.

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