Sie teilen sich die Chefetage
Kim Berenice GeserBeni Böhlen sitzt an einem grossen Holztisch im Empfangszimmer der Fennotex AG, das auch als Showroom dient. Neben ihm sein Co-Geschäftsführer Claudio Pasztor. Dieser stiess vor sechs Jahren zu «Fennotex». Seit einem Jahr teilen sich die beiden Männer die Geschäftsleitung des Unternehmens. Für sie ein Entscheid, der organisch gewachsen ist und dem Zeitgeist entspricht. Warum? «Weil es keinen Chef gibt, der alles kann», konstatiert Böhlen, der das Familienunternehmen 2011 übernahm.
Sie ergänzen sich
Dabei begann die Geschichte der geteilten Geschäftsführung mit einer klaren Trennung. Claudio Pasztor übernahm Anfang 2017 die Geschäftsleitung der damals neu gegründeten Tochterfirma Fennostitch. Diese sollte sich auf das Besticken von Kleidern spezialisieren und so auch Wünsche von kleineren Kunden abdecken, während die Fennotex AG sich weiterhin auf grössere Kunden und ihre Kernkompetenz – die Konzeptionierung und Ausarbeitung individueller Arbeits-, Sicherheits- und Teamsportbekleidung – konzentrieren konnte.
Die beiden Freunde kennen sich, seit sie 16 Jahre alt waren und hatten immer wieder darüber diskutiert, gemeinsam Sache zu machen. Da jedoch weder klar war, ob sich der neue Geschäftszweig längerfristig etablieren, noch ob die Zusammenarbeit funktionieren würde, wählten sie die sichere Methode der getrennten Verantwortlichkeiten. Zwei, drei Jahre später stellten sie jedoch fest, dass sich ihre Synergien optimaler nutzen liessen. «Meine Schwächen sind Claudios Stärken und umgekehrt», sagt Böhlen. So interessiere ihn vor allem die Personalführung und die Finanzen, der Verkauf hingegen liege ihm nicht so. Bei Pasztor sei es genau umgekehrt. Er ist der Extrovertierte der beiden und wird von aussen nicht selten auch als Inhaber der Firma wahrgenommen. «Dabei gehört die Firma Beni», stellt Pasztor klar und fügt schmunzelnd an: «Ich bin ein emotionaler Mensch, wenn mein Geld hier drin stecken würde, hätte ich in der Covid-Zeit vermutlich schon zwei Herzinfarkte gehabt.» Böhlen hingegen habe die Firma ruhig und sachlich durch diese Zeit gesteuert.
Ein Modell mit Zukunft
Als die beiden realisierten, dass sie sich in ihren Führungsqualitäten kompletieren und der neue Geschäftszweig funktioniert, entschieden sie sich deshalb, «Fennostitch» in der Firma Fennotex zu integrieren und sich die Geschäftsleitung zu teilen. «Es war ein logischer Schritt», erklärt Böhlen. Denn die beiden hätten bis dahin bereits sechs Jahre lang jedes Einstellungs-, Austritts- und Qualifikationsgespräch gemeinsam geführt und alle Entscheide zusammen gefällt. «Natürlich war das mit uns auch ein Glücksgriff. Das funktioniert nicht ganz so einfach wie es tönt», weiss Pasztor und Böhlen fügt an: «Damit das klappt, braucht es blindes Vertrauen ineinander.» Sprich, einen Partner auf den man sich voll und ganz verlassen kann und mit dem die Chemie stimmt. Trotzdem sind sich die beiden sicher, dass ihr Führungsmodell Zukunft hat. Doch nicht alle sehen das so. «Erzählen wir von unserem Jobsharing, führt das immer wieder zu Diskussionen», sagt Pasztor. Das patriarchale System mit nur einem Chef an der Spitze halte sich hartnäckig in den Köpfen und Böhlen gibt zu, dass er auch erst von der Idee habe überzeugt werden müssen. «Ich bin da eher konservativ.» Inzwischen hat er jedoch sogar sein Arbeitspensum reduziert und machte im letzten Sommer eine neunwöchige Auszeit mit seiner Familie. Die Vorteile überwiegen für sie klar. Familie und Beruf lasse sich besser vereinbaren; die Arbeitsbelastung könne auf zwei Personen aufgeteilt werden; die Abwesenheitsvertretung sei optimal gewährleistet und der Wissensgewinn gross. «Ein Chef, der morgens der erste im Geschäft ist und abends der letzte, imponiert mir nicht», hält Pasztor fest. Viel wichtiger sei die Qualität der Leistung und die Freude an der Arbeit.