«Sprache ist der Schlüssel»
Kim Berenice GeserDie Antwort auf diese Frage liegt bei Anja Neuhaus. Sie ist die Cousine der Arboner Geigenlehrerin Rahel Zellweger. Gemeinsam mit ihrem Mann Simon zog sie vor zwölf Jahren los, die Welt zu entdecken. Gesucht haben sie ein Abenteuer. Gefunden haben sie weit mehr als das. Auf ihrer Reise verschlug es das junge Paar in den Tschad. «Das Land war und ist touristisch kaum erschlossen», erzählen die beiden bei einem Treffen im Klassenzimmer von Zellweger in der Arboner Musikschule. Alles galt es selbst zu organisieren und herauszufinden. Auf der Suche nach einem Guide in die Wüste, lernten sie einen Amerikaner kennen, der seit vielen Jahren im Land lebte. Er erklärte sich bereit, die beiden zu führen. Jedoch nicht ohne Gegenleistung. «Er erzählte uns, dass er in einer Oase in der Wüste ein Kulturzentrum aufbauen wolle und hierfür unsere Hilfe benötigte», berichtet Simon Neuhaus. Das erklärte Ziel: die Förderung der Muttersprache des einheimischen Nomadenvolkes der Tubus.
Wort ohne Inhalt
Das junge Paar war angetan von der Idee. Sie ist Lehrerin, er hat Linguistik und Ethnologie studiert. Beide interessieren sich seit jeher für andere Kulturen, Menschen und natürlich Sprache. Doch das Unterfangen stellte sie vor grosse Herausforderungen. «Schnell haben wir die grosse Misere des Bildungsstandes im Tschad gesehen», so Anja Neuhaus. 80 Prozent der Schüler sind nicht in der Lage, dem Unterricht zu folgen. Und nach Ende der 6-jährigen Schulzeit sind ebenfalls 80 Prozent der Kinder nicht fähig zu rechnen und zu lesen.
Der Ursprung liegt in der Kolonialgeschichte des Landes. Früher unter der Herrschaft Frankreichs ist Französisch noch heute die Amts- und Unterrichtssprache. Für die Tubu-Kinder bedeutet dies, dass sie ihre gesamte Schulbildung in einer Fremdsprache erhalten, zu der sie keinen Zugang haben. «Sie lernen zwar ganze Texte auswendig, deren Inhalt verstehen sie aber nicht», führt Simon Neuhaus aus. Worte seien wie leere Hüllen. «Es hat fast ein Jahr gedauert, bis wir das erlickt haben», erinnert sich Anja Neuhaus. Danach war klar, dass sich etwas ändern muss.
Sprache ist Identität
Seither setzen sie sich für die Alphabetisierung und Förderung der Tubu-Sprache ein. Sie sind Teil eines internationalen Teams und arbeiten für den tschadischen Verein Association pour le Développement et la Paix, der durch Spenden finanziert wird. Gemeinsam erarbeiten sie Bücher, Apps, Videos und Unterrichtsmaterial; organisieren Kurse und Anlässe. Für die indigenen Völker stelle die sprachliche Hürde einen grossen Nachteil dar, erklären die beiden «Der Zugang zu Bildung, Wirtschaft, dem Gesundheitswesen, alles geht über eine Fremdsprache», sagt Simon Neuhaus und fügt an: «Die Tubus sind bereit, ihre Muttersprache und Kultur aufzugeben, um weiterzukommen.» Kein Wunder, werde ihnen doch von klein auf vermittelt, ihre Sprache sei eine Sackgasse. Dabei sei genau das Gegenteil der Fall: «Ihre Sprache ist der Schlüssel.» Doch die Aufbauarbeit braucht viel Zeit. «Es wird noch Jahre dauern, bis sich der Bildungsstand im Tschad verbessert», ist sich Anja Neuhaus sicher. Aber: «Wenn wir nichts machen, tut sich auch nichts.»
Konzert diesen Sonntag
Das sieht auch Rahel Zellweger so. «Ich möchte meine Musik in den Dienst von etwas stellen», sagt die Arboner Geigenlehrerin. Und so rief sie gemeinsam mit ihrer Cousine das Benefizkonzert vom Sonntag, 14. Mai, ins Leben. Gespielt und gesammelt wird unter dem Motto «Schulbildung in der Muttersprache – Förderung von indigenen Sprachen in der Sahara». Finanziert werden damit Lehrmittel und Lehrerausbildungen. Seit sechs Monaten probt das Ensemble von 20 Kindern und Erwachsenen für diesen Auftritt. Konzertstart ist um 17 Uhr in der evangelischen Kirche Arbon. Um 16 Uhr wird bereits zur Kafi Oase eingeladen mit Spezialitäten aus dem Tschad und diversen Spielen. Zwischen den musikalischen Sets erzählt das Ehepaar Neuhaus von ihrer Arbeit und den laufenden Projekten.