Stellenausschreibung ohne Bewerber
Kim Berenice GeserLehrermangel – eine Schlagzeile jagt derzeit die andere. St. Galler Schulen sind von einer Kündigungswelle betroffen. Appenzell Innerrhoden lässt nun auch Studierende noch vor dem Abschluss als Lehrpersonen zu, um fehlendes Personal zu kompensieren. Und in Arbon ist derweil die Diskussion um fehlenden Schulraum in vollem Gange. Will heissen, die Schülerzahlen steigen weiter an, womit sich auch der Bedarf an Lehrpersonen erhöht. Da drängt sich die Frage auf, ob auch Arbon und Umgebung vom akuten Fachkräftemangel in der Bildungsbranche betroffen sind. Eine Umfrage bei den Thurgauer Schulgemeinden im Einzugsgebiet des «felix.» sowie den Primarschulen in Steinach und Berg ergibt: Der Druck auf die einzelnen Institutionen ist unterschiedlich hoch. Von acht befragten Behörden geben nur zwei an, dass ihnen auf den Beginn des Schuljahres 2023/24 Lehrpersonen fehlen. Einer davon dafür gleich mehrere.
Werden Notlösungen die Norm?
Während an der Primarschule Berg derzeit bei insgesamt neun Lehrpersonen auf den kommenden Schuljahresbeginn «nur» eine Lehrperson Schulische Heilpädagogik (SHP) fehlt, sind bei der Primarschulgemeinde Arbon ganze 300 Stellenprozente unbefristet sowie eine 100 Prozent Stellvertretung offen. Dies vor allem auf der Mittelstufe und im Bereich SHP. Dabei sah es im August 2022 noch ganz anders aus. Schulpräsidentin Regina Hiller sagte damals im Gespräch mit «felix.» (Ausgabe vom 12. August 2022): «Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir rechtzeitig alle Stellen mit ausgebildetem Personal besetzen konnten. Wir hatten auch keine übermässig grosse Fluktuation.» Inzwischen hat sich das Blatt jedoch gewendet. Der ausgetrocknete Stellenmarkt habe sich bereits im Verlauf der Pandemie bei unterjährigen, nicht planbaren Stellvertretungen bemerkbar gemacht, so Hiller heute.
Während man im letzten Sommer noch Glück hatte, sehen die Prognosen für das kommende Schuljahr nicht mehr so rosig aus. «Dieses Jahr befürchten wir, trotz frühzeitiger Planung und Ausschreibung, dass Notlösungen getroffen werden müssen.» Notlösungen, das sind beispielsweise PH-Studierende, die sich noch in Ausbildung befinden oder stufenfremde Lehrpersonen. «Aktuell werden Gespräche mit nicht- und noch nichtausgebildeten Personen geführt», sagt Hiller und fügt an: «Im Bereich SHP wird eine ausgebildete Primarlehrperson eingestellt, die diese Fachausbildung nicht abgeschlossen hat.» Auf der Kindergartenstufe sei in diesem Bereich schon seit einigen Jahren eine Lehrperson ohne SHP-Diplom tätig. Wenn sich keine ausgebildeten Lehrpersonen finden liessen, bleibe der PSG Arbon schlicht nichts anderes übrig, als PH-Studenten die Chance zu geben, die Ausbildung berufsbegleitend im Jobsharing abzuschliessen oder andere, «pädagogisch geeignete» Personen befristet anzustellen, resümiert die Schulpräsidentin. Auch die Sekundarschulgemeinde Arbon sowie die PSG Frasnacht, die Volksschulgemeinde Horn und die Primarschule Berg geben an, sich ein solches Vorgehen vorstellen zu können, um einem künftigen Fachkräftemangel zu begegnen. Die Primarschulgemeinde Roggwil beschäftigt indes bereits seit Sommer 2022 PH-Studierende. Grund: Für den gesuchten Pensenumfang liessen sich keine ausgebildeten Lehrpersonen finden.
Immer weniger Bewerbungen
Auch wenn sechs der acht befragten Behörden derzeit keine Vakanzen ausweisen, so ist doch bei allen der Fachkräftemangel seit durchschnittlich drei Jahren spürbar. Auf die ausgeschriebenen Stellen gehen immer weniger Bewerbungen ein. Waren es früher noch bis zu 20 oder mehr, bewegt sich die Zahl heute im einstelligen Bereich. Die Gründe dafür sind vielfältig. Immer wieder genannt wird die Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge, der sogenannten Baby-Boomer. Davon ist auch die PSG Arbon betroffen. Hier gehen diesen Sommer fünf (von insgesamt rund hundert Lehrkräften) in Pension. Auch der Wunsch nach Teilzeitpensen sei merklich gestiegen, so die Befragten. Während das für Regina Hiller und Robert Schwarzer, Präsident der SSG Arbon, unter anderem mit der steigenden Frauenquote zusammenhängt, bringt Cornelia Letti, Schulpräsidentin in Steinach, den Teilzeit-Wunsch auch mit der zunehmenden Belastung der Lehrpersonen in Verbindung. Ein Grund, der überdies häufig aufgeführt wird und mit einer vermehrten Bürokratisierung des Berufs und erhöhten Anforderungen an das Lehrpersonal in Verbindung gebracht wird. Dem pflichtet auch Regina Slongo, Schulleiterin in Frasnacht, bei. Ihres Erachtens sind die Ursachen für den Fachkräftemangel weder im Lehrplan 21 noch in den Löhnen zu suchen. «Herausfordernde Schülerinnen und Schüler und fordernde Eltern belasten die Lehrpersonen stärker als früher», führt sie aus. Zudem habe das Image des Lehrberufs stark eingebüsst. Sie beobachtet auch einen gesellschaftlichen Wandel, der nicht nur die Schule betrifft: «Immer mehr junge Menschen möchten sich nicht festlegen, sich alle Optionen offenhalten und nicht allzu viel arbeiten.» Werde es streng, suche man sich etwas Neues. «Durchhalten ist nicht mehr ‹angesagt›.» Um dem entgegenzuwirken, beziehungsweise als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, fördern die Schulbehörden vermehrt die Teamarbeit und setzen auf moderne Infrastrukturen und die gezielte Entlastung der Klassenlehrpersonen, beispielsweise durch den Einsatz von Unterrichtsassistenzen.