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«Strategische Papiere zu zelebrieren, bringen dich als Region nicht weiter»

Die «Region Oberthurgau» geht in die Offensive. Mit diversen Projekten will sie den Wirtschaftsstandort Oberthurgau vorantreiben und nach aussen hin sichtbar machen. Das Problem dabei: In der öffentlichen Wahrnehmung ist sie bisher so gut wie nicht präsent. Geschäftsstellenleiter Gilbert Piaser über die Gründe und konkrete Lösungsansätze.

Kim Berenice Geser

Gilbert Piaser, die Regionalplanungsgruppe Oberthurgau gibt es bereits seit 50 Jahren. Dennoch wird sie in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Warum fehlt ihr die Strahlkraft?

Tatsächlich ist die Wahrnehmung der «Region Oberthurgau» in der Bevölkerung kaum bis gar nicht vorhanden. Das mag unter anderem daran liegen, dass viele Projekte, welche die «Region Oberthurgau» angestossen hat, ihr nicht zugeordnet werden.

Zum Beispiel?

Der Kulturpool Oberthurgau wurde ursprünglich von der «Region» initiiert. Auch das «Winterwasser» und das Eissportzentrum gäbe es ohne die Arbeit der Regionalplanungsgruppe heute in dieser Form nicht oder nicht mehr. Ihr jüngstes Projekt ist der «ZIKpunkt». Unser Problem mit der Öffentlichkeitswirkung der «Region Oberthurgau» ist der Zeithorizont, in dem wir arbeiten.

Das heisst?

Wir planen in Dekaden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: An einem Hallenbad im Oberthurgau arbeiten wir seit 30 Jahren. Bei der Bodensee-Thurtalstrasse (BTS), wo wir stark involviert sind, sprechen wir von 20 bis 25 Jahren. Wir sind bei diversen Projekten in unterschiedlichen Funktionen tätig, als Treiber, Unterstützer. Aber mit unseren Planungshorizonten ist es schwierig, konstant präsent zu sein.

In den kommenden Jahren will die «Region Oberthurgau» allerdings stark in die Standortförderung investieren. Als Startschuss hierfür wurde 2021 eine Standortstrategie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Das Potenzial der Region ist gross. In der Folge war die Rede von einer «tripolaren Stadt» im Metropolitanraum Bodensee, einem «urbanen Bindeglied» zwischen Zürich und dem Rheintal. Angesichts der Tatsache, dass die «Region» bis anhin eher zurückhaltend auftrat, wirken diese Schlagwörter wie aufgesetzte Floskeln. Kommt die nun angestrebte Selbstvermarktung nicht reichlich spät?

Das kann man durchaus so sehen. Natürlich hätten wir bereits früher anders auftreten müssen oder können. Aber Sie haben eben einen wichtigen Punkt angesprochen, der unsere Region einerseits auszeichnet, andererseits aber auch problematisch ist.

«Wir planen in Dekaden.»
Gilbert Piaser

Welchen?

Wir sind die einzige Regionalplanungsgruppe weitherum, die mit Arbon, Romanshorn und Amriswil drei Städte hat, die sich ebenbürtig sind. Wil, Frauenfeld, St. Gallen haben alle ein starkes Zentrum. Das macht die Planung einfacher, weil nur eine treibende Kraft dahinter ist. Das haben wir nicht. Wir haben dafür ein starkes Konkurrenzdenken in der Region. Alle drei Städte sehen sich, völlig zu recht, als gleichwertig an. Alle drei sind aber in sich zu schwach, um die Rolle eines Leaders einzunehmen. Das macht eine gemeinsame Planung zur Herausforderung.

Und träge ...

Darum sage ich: Wir planen in Dekaden. Als ich 2009 als Geschäftsleiter der «Region Oberthurgau» angefangen habe, war diese eine kleinere Marketingorganisation, die einige Flyer gedruckt hat und von Zeit zu Zeit an einer Immo-Messe teilgenommen hat. Es gab keine Fachgremien, wie wir sie heute haben, keine Projekte. Und ich habe mich gefragt, was machen die hier eigentlich? Das hat sich inzwischen geändert.

Wenn Sie also heute jemandem erklären müssten, was die Aufgabe der «Region Oberthurgau» ist, was würden Sie sagen?

Unser Auftrag ist die gemeinsame Raumentwicklung. Die Gemeinden in der Schweiz sind gesetzlich dazu verpflichtet, sich zu regionalen Planungsgruppen zusammenzuschliessen. Ich sehe die «Region Oberthurgau» aber auch als Wirtschaftsförderin und Standortentwicklerin.

Dennoch bleibt die Arbeit der Planungsgruppe für viele nicht fassbar. Die «Regio Wil» beispielsweise hat mit «Wil West» ein konkretes Projekt vorzuzeigen.

Ein gutes Beispiel. Denn es stimmt, Visionen und strategische Papiere zu zelebrieren, bringen dich als Region nicht weiter. Es braucht konkrete Projekte, die für die Bevölkerung fassbar sind.

Die Standortstrategie soll für die «Region Oberthurgau» ein solches Projekt werden. Konkret wurden vier Handlungsfelder definiert. Eines davon ist die Vermarktung und Positionierung der «Region Oberthurgau». Wo positioniert sich diese denn?

Das ist der springende Punkt. Denn bevor wir uns vermarkten können, müssen wir wissen wofür wir stehen. Bisher hat uns eine solche Ausrichtung immer gefehlt. Im Zuge der Standortstrategie haben wir nun vier Stärken des Wirtschaftsstandorts Oberthurgau definiert: Automotive, Advanced Manufacturing, Umwelt- und Gebäudetechnik und Phytopharma.

Im ganzen Oberthurgau tätig, im Schloss Arbon stationiert: Gilbert Piaser, Geschäftsstellenleiter der Region Oberthurgau vor seinem Büro in den ehemaligen Räumlichkeiten der Migros Klubschule.
Im ganzen Oberthurgau tätig, im Schloss Arbon stationiert: Gilbert Piaser, Geschäftsstellenleiter der Region Oberthurgau vor seinem Büro in den ehemaligen Räumlichkeiten der Migros Klubschule.
© Kim Berenice Geser

Und jetzt? Wie geht es weiter?

Jetzt wollen wir zusammen mit den regionalen Wirtschaftsvertretern dieser Branchen gemeinsame Projekte realisieren. Ein erstes ist bereits in Planung. Noch diesen Herbst wollen wir damit an die Öffentlichkeit treten. Denn wie bei den Gemeinden gilt auch bei den einzelnen Firmen: Oft sind diese allein zu klein, um wirklich eine Wirkung erzielen zu können. Wenn Firmen jedoch zusammenspannen, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten.

Wie genau darf man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?

Das hängt sehr von den einzelnen Firmen und Branchen ab. Möglich sind Projekte in der gemeinsamen Produktentwicklung, der Austausch von Fachkräften, das gemeinsame Ausbilden von Lernenden, koordinierte Messe-Teilnahmen, bis hin zur Schaffung gemeinsamer Label.

Welche Aufgabe nimmt hier die Region Oberthurgau ein?

Die «Region», beziehungsweise der von uns gegründete Verein ZIKpunkt, übernimmt den Lead in diesen firmenübergreifenden Projekten. Er koordiniert die Projektarbeiten, stellt Anträge auf Fördergelder, übernimmt die Öffentlichkeitsarbeit.

Der «ZIKpunkt» wurde vor einem Jahr gegründet und als «Macherort am Bodensee» vermarktet. In der Standortstrategie der «Region» ist er Teil des Handlungsfeldes Vernetzung und Wissenstransfer. Seine Funktion blieb aber wenig greifbar.

Absolut richtig. Ich muss zugeben, wir sind hier auch ziemlich blauäugig gestartet. Wir haben uns dieses Jahr aber auch gegeben, um uns als Verein und in unserer Funktion zu finden.

Mit welchem Ergebnis?

Der «ZIKpunkt» begleitet und unterstützt Innovationsprojekte von Firmen und Gruppierungen von der Idee bis zur Operationalisierung. Von der «Region Oberthurgau» erhält der Verein beispielsweise diverse Projektaufträge im Zuge der Standortstrategie. Und er ist natürlich ein greifbares Aushängeschild für die «Region Oberthurgau». Eine Lokalität, an der du die «Region» festmachen kannst und die stellvertretend dafür steht, dass man miteinander besser vorwärtskommt als alleine.

«Ich sehe in wirtschaftlichen Projekten zur Zeit das grösste Potenzial, um die Region Oberthurgau voranzubringen.»
Gilbert Piaser

Sie haben vorher das Konkurrenzdenken auf kommunaler Ebene in der Region angesprochen. Nun streben sie regionale, firmenübergreifende Zusammenarbeiten an. Kann das funktionieren?

Es ist sogar einfacher als bei den Gemeinden. Denn Unternehmen sind immer betriebswirtschaftlich orientiert. Wenn eine Firma den Nutzen in einer solchen Zusammenarbeit sieht, sei dies bezüglich Umsatzsteigerung, Einsparungsmöglichkeiten, dem besseren Zugang zu Mitarbeitenden, macht sie sofort mit. Und das unmittelbarer als in der Politik, wo stets gewisse Prozesse eingehalten werden müssen. Ich sehe in diesen wirtschaftlichen Projekten deshalb das zur Zeit grösste Potenzial, um die Region Oberthurgau voranzubringen. Denn der demografische Wandel sitzt uns im Nacken.

Sie sprechen damit die Studie von Wüest Partner zur Bevölkerungs- und Beschäftigungsprognose an. Laut dieser nimmt das Bevölkerungswachstum im Oberthurgau bis 2045 um 27 Prozent zu. Die Beschäftigungsentwicklung steigt im selben Zeitraum aber nur um drei Prozent.

Das sind erschreckende Zahlen. Und um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist es so wichtig, dass wir uns konkret positionieren. Denn im Kanton Thurgau fehlt es vor allem in den Sektoren Dienstleistung und Innovation. Das ist die Chance für den Oberthurgau, denn wie evaluiert liegen genau hier unsere Stärken als Wirtschaftsstandort. Jetzt gilt es diese richtig auszuspielen, damit in 20 Jahren eben nicht nur hier geschlafen, sondern auch gearbeitet wird.

Entwicklung braucht unter Umständen auch Raum. Folglich ist die Raumentwicklung ein weiteres Handlungsfeld der Standortstrategie. Die «Region Oberthurgau» weist hier neun strategische Entwicklungsareale aus. Vier davon mit hoher Entwicklungspriorität. Wer hat diese festgelegt?

Definiert wurden die Areale vom Raumentwicklungs-Experten in Zusammenarbeit mit den Gemeinden der «Region Oberthurgau». Unser Ziel ist es, wenn immer möglich, bestehende Areale zu entwickeln und nicht, wie bei «Wil West», auf der grünen Wiese zu bauen.

«Wir müssen wegkommen vom lokalen Denken und uns regional und überregional vernetzen», lautet Piasers Credo für den Wirtschaftsstandort Oberthurgau.
«Wir müssen wegkommen vom lokalen Denken und uns regional und überregional vernetzen», lautet Piasers Credo für den Wirtschaftsstandort Oberthurgau.
© Kim Berenice Geser

Die vier priorisierten Areale sind ein gemeindeübergreifendes Gebiet in Amriswil und Hefenhofen, das Bahnhofsareal in Arbon, das Hafenareal in Romanshorn und das Gebiet Morgental in Steinach. Wie geht es nun weiter, nachdem diese definiert wurden?

Je nach Areal befinden wir uns in unterschiedlichen Phasen. Dort, wo noch keine Projekte vorhanden sind, laufen Gespräche mit den Grundeigentümern. Wir stehen den Gemeinden hier vor allem mit unseren Fachexperten zur Seite, um den Eigentümern aufzuzeigen, welche Entwicklungsmöglichkeiten auf ihren Grundstücken bestünden. So schaffen wir gegenseitiges Verständnis und im Idealfall die Grundlage für eine gemeinsame Stossrichtung. Wenn, wie in Arbon mit dem «Stadthof», bereits ein konkretes Projekt vorliegt und der Prozess gut läuft, brauchen wir gar nicht einzugreifen. So oder so sind wir als «Region» vor allem beratend tätig. Die Planungshoheit liegt jeweils bei den einzelnen Gemeinden.

Wie verbindlich ist die raumplanerische Strategie der Region Oberthurgau?

Überhaupt nicht. Wir können niemandem etwas diktieren. Der Thurgau hat sich gegen die Einführung von behördenverbindlichen regionalen Richtplänen entschieden, wie man das andernorts in der Schweiz kennt. Dennoch streben wir innerhalb der «Region Oberthurgau» natürlich eine gewisse Verbindlichkeit und Planungssicherheit an. Das spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Gruppe wieder. Mitglieder der «Region» sind sämtliche Oberthurgauer Gemeinden und Steinach, sowie alle hier ansässigen Arbeitgebervereinigungen. Wir alle teilen das Ziel, die Region gemeinsam voranzubringen.

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