Väter bringen sich heute mehr ein
Laura GansnerRahel Neuman Merlo, weshalb ändert sich das Angebot der Mütter- und Väterberatung in Horn und Roggwil?
Wir haben im letzten Jahr eine Auslastungsanalyse vorgenommen, mit der wir unser Angebot verbessern wollten. Insgesamt haben wir im Jahr 2022 9070 Beratungsgespräche geführt, was nur 130 weniger sind als im Jahr zuvor. Gestemmt wird dieser Aufwand aktuell von 17 Beraterinnen, welche zwischen 40 bis 80 Prozent bei uns angestellt sind. Sie sind dementsprechend gut ausgelastet. Jedoch gibt es Unterschiede auf Gemeindeebene. Während in anderen Gemeinden das Angebot der Beratung auf der Regionalstelle gut genutzt wird, waren die Beraterinnen in Horn und Roggwil jeweils weniger ausgelastet. Deshalb haben wir uns für die Umstellung auf Hausbesuche entschieden.
Was ist der Vorteil von Hausbesuchen?
Für die Familie sind Hausbesuche super, da die Anreise zum Beratungsort entfällt. Insbesondere wenn eine Familie mehrere Kinder hat, ist es für die Eltern leichter, wenn sie diese in ihrer gewohnten Umgebung spielen lassen können, während sie sich mit einer unserer Beraterinnen unterhalten. Für uns wiederum hat ein Hausbesuch den Vorteil, dass wir einen konkreten Einblick ins Familiensystem erhalten. Gewisse Herausforderungen sind zuhause viel deutlicher sichtbar, so dass wir die Familien bedürfnis- und lösungsorientiert beraten und gezielt fördern können.
Sie sprechen von Förderung und Beratung. Welche Voraussetzungen müssen die Mitarbeitenden der Mütter- und Väterberatung mitbringen, um diese gewährleisten zu können?
Alle unsere Beraterinnen kommen aus einem Pflegeberuf. Seit ein paar Jahren müssen ausserdem alle das Eidgenössische Diplom als Berater/in Frühe Kindheit HFP absolvieren. Ausserdem beginnt bei uns niemand direkt nach der Ausbildung, mehrere Jahre Berufserfahrung sind eine Voraussetzung.
Welche Themen beschäftigen neugewordene Eltern aktuell?
Fragen rund um Entwicklung und Erziehung der Babys und Kleinkinder werden mit Abstand am meisten gestellt. Während sich diese über die letzten Jahre konstant gehalten haben, nahmen psychosoziale Anliegen seit Corona merklich zu. Dies lässt sich meiner Meinung nach aber nicht mit der Pandemie alleine erklären. Als Gesellschaft sind wir grundsätzlich sensibler geworden, wenn es beispielsweise um Erschöpfungszustände oder Wochenbettdepressionen geht. Das sind heute keine Tabu-Themen mehr, alles wird viel offener kommuniziert.
Was fällt unter die Kategorie Psychosoziales?
Zum Beispiel der Umgang mit Stress, der neuen Rollenverteilung innerhalb des Familiensystems oder der bereits erwähnte Erschöpfungszustand. Aber auch Auffälligkeiten beim Kind, die den Blick einer spezialisierten Fachperson verlangen. Wir von der «Perspektive Thurgau» üben stets nur eine beratende Funktion aus. Wenn es um Diagnosen und Therapien geht, dann vermitteln wir an andere Fachpersonen und -stellen weiter.
Das Angebot heisst Mütter- und Väterberatung. Ist die Nutzung der Beratung von den zwei Geschlechtern ausgewogen?
Mehrheitlich sind es schon Mütter, aber immer mehr kommen Elternpaare auch gemeinsam. Väter alleine kommen noch wenige. Aber wir beobachten, dass sich Väter zunehmend an der Erziehung der Kinder aktiv beteiligen möchten. Zudem nehmen auch Bezugspersonen wie Grosseltern oder Gotti und Götti das Beratungsangebot wahr.
Kurze Geschichte der Mütter- und Väterberatung
Der Ursprung der Mütter- und Väterberatung geht in der Schweiz bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. 1901 wurden aufgrund der hohen Säuglingssterblichkeit schweizweit die sogenannten Milchküchen ins Leben gerufen. In diesen erhielten Mütter von ausgebildeten Säuglingsfürsorgerinnen saubere Säuglingsmilch sowie Unterricht in Pflege, Ernährung und Erziehung von Kleinkindern. 2012 wurden im Kanton Thurgau mit Ausnahme einer Trägerschaft alle Mütter- und Väterberatungen unter dem Dach des Gemeindezweckverbands Perspektive Thurgau vereint. Eine kostenlose Beratung können Erziehungsberechtigte und Bezugspersonen von Säuglingen und Kleinkindern bis zum fünften Lebensjahr in Anspruch nehmen. Dafür können die Ratsuchenden eine der sieben kantonalen Beratungsstellen – eine davon in Arbon – oder diverse Regionalstellen in den Gemeinden aufsuchen sowie Telefongespräche mit den Mitarbeitenden führen.