Vier Jahrzehnte Haarkunst
Laura GansnerVersonnen richtet sie ihren Blick in die Ferne, die blonde, perfekt frisierte Frau auf dem Schwarzkopf-Plakat. Seit über zwanzig Jahren ziert sie den Eingang zum Coiffeur Zentrum im ersten Stock der Bahnhofstrasse 30 in Arbon. «Noch immer ist das eines meiner Lieblingsposter», erzählt Geschäftsinhaberin Brigitte Rügge, während ihre Augen vom Plakat über die grossen Wandspiegel und die matt-türkisen Lehnstühle hin zu den Fenstern mit Aussicht auf den Bodensee schweifen. Von all dem muss sich Rügge schon bald verabschieden. Denn nach 43 Jahren dreht sie den Schlüssel zur Tür ihres Coiffeursalons Ende Juni zum letzten Mal. Rügge hat vergeblich nach einer Nachfolge gesucht, weshalb der Salon von den Liegenschaftsbesitzenden nach ihrem Auszug in eine Wohnung umgebaut wird. «Alles kommt raus, ich nehme da auch nichts mit nach Hause», sagt Rügge, während sie mit einer ausschweifenden Handbewegung auf das Inventar zeigt, welches einem leicht aus der Zeit gefallen scheint; ein Grossteil davon hat sie vor gut 30 Jahren neu einbauen und einrichten lassen, Einzelstücke wie die Waschbecken behielt sie von ihrem Vorgänger, der hier bereits einen Coiffeursalon betrieb. Mit dem Ende von Coiffeur Zentrum verschwindet also eine geschichtsträchtige Zeitkapsel aus Arbon. «Früher war das hier eine Goldgrube», erinnert sich Rügge. Doch seit ihrer Saloneröffnung haben sich die Umstände sowie die Kundschaft verändert.
Einst am Puls von Arbon
Als Brigitte Rügge vor über vier Jahrzehnten den Salon übernehmen konnte, sah das Leben an der Bahnhofstrasse noch anders aus. Ein Stockwerk unter ihr wirtschaftete Herrenschneider Saliba Eyyi, die Touristinnen und Touristen kehrten beim Kaffee Schwarz ein und übernachteten im damaligen Hotel Metropol.
Arbonerinnen und Arboner gehörten ebenso zur Kundschaft wie die jährlich wiederkehrenden Touristinnen und Touristen, erzählt Rügge: «Auch die Rezeptionistin vom Hotel Metropol war eine meiner Stammkundinnen». Damals füllten sich die sieben Plätze in ihrem Salon tagtäglich problemlos. Gemeinsam mit ihren Lernenden hatte sie alle Hände voll zu tun. Doch mit dem Niedergang des Hotels wurde es ruhiger an der Bahnhofstrasse, die Touristenschar verschwand. Herrenschneider Eyyi wie auch das Kaffee Schwarz haben unterdessen ebenfalls ihre Türen geschlossen. «Hinzu kommen die Nachwehen der Pandemie», so Rügge.
Die Freude bleibt
Während dieser Zeit hätten viele ihrer früherer Kundschaft die Farben herauswachsen lassen und ganz grundsätzlich aufgehört, sich die Haare schneiden zu lassen. «Manchmal treffe ich noch heute ehemalige Kundinnen in der Stadt, die ihre Haare seither lang tragen und sich dafür fast ein wenig bei mir entschuldigen», erzählt Rügge. Ihr mache das aber nichts aus: «Ich will die Kundschaft nicht um jeden Preis an mich binden». Und trotz der Verluste sind da noch immer ein paar Kundinnen und Kunden, die Rügges Haarkünste nicht missen wollen. «Deshalb werde ich nach der Schliessung meines Geschäfts einen Tag in der Woche im Coiffeursalon Impuls weiterschneiden», erklärt Rügge. Neue Kundschaft anzuwerben sei aber nicht ihr Ziel. «Mit 73 Jahren weiss ich ja nicht, wie lange ich noch mag». Von schwindender Energie ist bei der Coiffeuse aber noch nichts zu bemerken. Während des Gesprächs dreht sie ihren Stuhl zum Takt ihrer Worte hin und her, holt einen Puppenkopf, um einen Haarschnitt zu erklären, erzählt von ihren wöchentlichen Wanderungen mit den Hunden ihres Gottikindes, «immer mal wieder auf den Hohen Kasten». Auch die Freude am Beruf ist ihr über all die Jahre nicht abhanden gekommen. «Das Strahlen der Kundinnen und Kunden nach einem neuen Haarschnitt erfüllt mich noch immer mit Zufriedenheit». Auch wenn sie sich darauf freue, in Zukunft nicht mehr die Verantwortung für ihr eigenes Geschäft zu tragen, so werde sie diesen Ort doch auch vermissen. «Vielleicht lasse ich doch nicht ganz alles zurück», sagt Rügge bei der Verabschiedung und schielt dabei auf das Plakat an der Eingangstür.