Von Esserswil an die Weltspitze
Laura GansnerIn einem Weiler wie Esserswil erwartet man ländliche Idylle und bimmelnde Kuhglocken. Doch ein Plakat an der Hauswand eines Schieferhauses verrät: Esserswil hat, was andere Weiler nicht haben. «Esserswil gratuliert unserem Schweizermeister Gil», ist in schwarzer Schrift auf weissem Hintergrund zu lesen; daneben ein grosses Bild mit dem strahlenden Gewinner auf dem obersten Treppchen des Podests. Gil Brunner heisst der Goldmedaillenträger, der sich vergangenes Wochenende in Genf an die Spitze der Schweizer BMX-Eliteklasse fuhr; direkt vor Weltmeister Simon Marquart (2022) und Schweizermeister Renaud Blanc (2010). Dieser Erfolg ist nicht selbstverständlich, wie Brunner im Garten hinter dem Haus seiner Eltern erzählt: «Letztes Jahr hatte ich einen gröberen Unfall, bin dann drei Monate ausgefallen.» Aber auch neben dieser erzwungenen Auszeit wird aus den Worten Brunners klar, dass sein Erfolg nicht vom Himmel gefallen ist.
Alle Zeichen auf Erfolg
Von den Anfängen seiner Karriere erzählt Gil Brunner recht nüchtern: Er sei eben gerne Rad gefahren, habe dann 2005 einmal ein Schnuppertraining bei den «Bike Hunters» in Goldach absolviert und da sei er geblieben – bis heute. Von klein auf sei er in seinen Altersklassen gut gewesen. Das habe einen gewissen Ehrgeiz in ihm geweckt: «Je besser du bist, desto höher willst du hinaus.» Ausschlaggebend für seinen Entscheid für eine professionelle Karriere waren seine Erfolge in der U16- und Junioren-Kategorie. So fuhr er als 16-Jähriger an der Weltmeisterschaft auf den dritten Platz in seiner Alterskategorie. «Ich merkte, dass ich reelle Chancen hatte, wirklich weit zu kommen und habe mich deshalb dazu entschieden, diesen Weg weiterzuverfolgen», erzählt Brunner pragmatisch. Doch für ihn war stets klar: Nicht nur in seiner BMX-Karriere, auch in der Berufswelt will er gut aufgestellt sein.
Der Sport fordert ein
Nach dem Abschluss der Kantonsschule Romanshorn startete Gil Brunner sein Bachelor-Studium in Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen (HSG). Das Studium habe seine BMX-Karriere nochmals deutlich angetrieben. «War ich vorhin an fixe Stundenpläne gebunden, konnte ich mein Studium flexibler an meine Trainingseinheiten anpassen», berichtet Brunner. Spricht Brunner über sein Studium – welches er diesen September abschliessen wird – könnte man im ersten Moment meinen, dass er dieses so nebenbei zwischen Trainings und Wettkämpfen absolviert hätte. Dem sei nicht so, stellt Brunner klar. Alles unter einen Hut zu bringen, sei nicht immer leicht gewesen, aber als Einzelsportler lerne man früh: «Für den Erfolg musst du zwar auf vieles verzichten, dafür gibt dir der Sport auch sehr viel zurück.»
Und der Sport gibt zurück
Gil Brunner spricht vom Adrenalin, welches ihn in der Minute vor einem finalen Wettkampf-Durchlauf ergreife, «wenn man weiss, dass es jetzt um alles geht». Vom Stolz, welcher ihn erfülle, wenn er endlich ein Ziel erreicht, auf welches er lange hintrainiert hat. Aber das Schönste sei: «Als Profi-Sportler machst du jeden Tag das, was dir am meisten Freude bereitet». Dass er dafür auf Wochenenden zuhause, auf das Zusammensitzen nach dem Unterricht mit Studienkollegen, auf eine gewisse Ausgelassenheit – eine strikte Ernährung und einen konsequenten Schlaf-Rhythmus sind für ihn unumgänglich – verzichtet, nehme er in Kauf. «Man muss eben wissen, wofür man das macht.» Wofür es Gil Brunner macht? «Um an die Weltspitze zu kommen», kommt es wie aus der Pistole geschossen. Diesem Ziel jagt er bereits dieses Wochenende an der BMX-Europameisterschaft in Frankreich weiter hinterher. Doch damit nicht genug: In dieser Saison möchte er sich für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft wie auch die Olympischen Spiele im nächsten Jahr qualifizieren. Zeit dafür hat er aktuell genug, seine Bachelor-Arbeit hat er bereits im März abgegeben. Unterstützung erhält der Sportler dabei von verschiedenen Seiten. Unter anderem vom Sportverband Swiss Cycling sowie von der Stiftung Schweizer Sporthilfe mit 18 000 Franken im Jahr. Ausserdem kann er sich aufgrund seiner absolvierten Sport-Rekrutenschule im Winter vor drei Jahren seine Wettkampf-Teilnahmen als Wiederholungskurse (WK) anrechnen lassen. Doch das alles sei gar nicht erst möglich geworden, hätte er nicht in erster Linie die Unterstützung seiner Eltern bereits im Kindesalter erhalten: «Ohne ihr Engagement hätte ich nicht BMX-Profi werden können.»