«Wer Effizienz will, muss nach China»
Kim Berenice GeserFelix Heller, Sie waren 18 Jahre jung als Sie 2011 ins Arboner Stadtparlament gewählt wurden. Warum haben Sie sich damals aufstellen lassen?
Aus Idealismus. Ich wollte mitreden und etwas verändern.
Ist Ihnen das gelungen?
Ja. Aber es braucht viel Geduld, harte Arbeit, taktisches Vorgehen und Durchhaltewillen. Man kann nicht davon ausgehen, dass man bereits in der ersten Sitzung alles umkehren kann.
Welche Veränderungen zählen Sie zu Ihren Erfolgen?
Ich habe mich von Beginn an stark gemacht für den Langsamverkehr und Tempo 30. Heute ist beispielsweise das ganze Bergli-Quartier Tempo-30- Zone. Auch für den Skatepark habe ich mich eingesetzt und die vorberatende Kommission bei den Geschäften «Stadthof» und «Riva» präsidiert. Letztere waren wichtige Entscheide für Arbon und es ist schön zu sehen, dass die Bevölkerung die Meinung von Kommission und Parlament gestützt hat.
Pascal Ackermann (SVP) bemängelte in seinem Rücktrittsschreiben die Ineffizienz des Arboner Parlaments. Wie sehen Sie das?
Demokratie ist ineffizient. Wer Effizienz will, muss nach Russland oder China. Dort haben Diktatoren das Sagen und Pseudo-Parlamente winken alles durch. Hier ist das zum Glück anders. Das Prüfen von Geschäften, die anschliessende Diskussion darüber ist unser Job. Parlamentsarbeit ist viel Aktenstudium und die anschliessende Auseinandersetzung über Details in der Botschaft. Das ist nicht attraktiv. Darum eignet sich diese Arbeit auch nicht für Selbstdarsteller, wie Pascal Ackermann sie kritisierte. Die werden im Parlament nicht glücklich.
Von unterschiedlichen Seiten wird jedoch immer wieder der Vorwurf laut, mit den ausufernden Diskussionen schaffe sich das Parlament selbst ab. Und wer schon einmal einer dieser wortreichen Sitzungen beigewohnt hat, ist geneigt, dem zuzustimmen.
Die kritische Auseinandersetzung mit den Vorlagen ist nun einmal Parlamentsarbeit. Aber ich gebe Ihnen insofern recht, dass wieder vermehrt richtig diskutiert werden sollte. Wir sollten einander zuhören, auf die Voten eingehen und spontaner werden. Und am Ende einer Debatte vielleicht sogar einmal die eigene Meinung revidieren, aufgrund dessen, was von den anderen Parlamentsmitgliedern vorgebracht wurde. Wer jedoch Diskussionen an sich für unnötig hält, der hat ein seltsames Demokratieverständnis.
Einer, der gern diskutiert und dafür auch Kritik erntet, ist Ihr Vater.
Es ist absurd, Parlamentarier zu kritisieren, weil sie sich stark engagieren. Es ist kein Geheimnis, dass ich mit meinem Vater in vielen Punkten nicht einer Meinung bin. Sein Engagement kann ich dennoch anerkennen. Das Problem in unserem Parlament sind nicht diejenigen, die sich reinknien, sich mit den Geschäften auseinandersetzen und dann Stellung beziehen. Es sind vielmehr jene, die nichts tun.
Von Abschaffung kann dennoch keine Rede sein?
Überhaupt nicht. Wir sind das Kontrollorgan der Exekutive. Und spiegeln in unserer Zusammensetzung auch die Arboner Bevölkerung wider. Ich bin der festen Überzeugung, dass ohne die parlamentarische Arbeit viele Vorlagen des Stadtrates bei der Bevölkerung nicht mehrheitsfähig gewesen wären. Und wie die Abstimmungsergebnisse der letzten Jahre gezeigt haben, wurde der Empfehlung des Parlaments in den meisten Fällen entsprochen. Das zeigt den Erfolg dieses Organs.
Sie sagen, das Parlament ist der Spiegel der Gesellschaft. Bei einer durchschnittlichen Stimmbeteiligung von 30 Prozent kann davon kaum die Rede sein.
Wir wissen ja nicht, wie die übrigen 70 Prozent gestimmt hätten. Vielleicht sind sie einfach zufrieden mit dem Ist-Zustand. Ich muss ehrlich sagen, ich bin es etwas leid, über dieses Thema zu diskutieren. Wir hatten diesbezüglich schon so viele Ideen und haben diverse Ansätze ausprobiert. Alles ohne Erfolg. Könnte es nicht auch einfach sein, dass die 30 Prozent, die abstimmen, diejenigen sind, die sich gut informieren? Und wäre das denn so schlecht?
Die Gesamterneuerungswahlen sind kaum ein Jahr her. Seitdem sind knapp 20 Prozent der Parlamentsmitglieder wieder zurückgetreten. Jüngst Irena Noci (SP), die am Dienstag ihren Rücktritt bekannt gab. Und auch Sie gehören dazu. Warum lässt man sich aufstellen, wenn man die Legislatur nicht beenden will?
Die Gründe für die Rücktritte sind vielfältig. Für mich war die Chance, ein Amt in der Behörde der SSG Arbon zu übernehmen, ausschlaggebend.
Dennoch, kommt es nicht einer Irreführung der Wählenden gleich?
Natürlich sind Rücktritte bedauerlich. Aber Parlamentswahlen sind Parteiwahlen, keine Kopfwahlen. Mein Nachfolger wird in neun von zehn Fällen gleich abstimmen, wie ich es tun würde. Darum ist es ja ein Vorteil, Parteien zu wählen, welche die eigene Meinung vertreten und nicht Personen, nur weil sie einem sympathisch sind. So garantiert man auch, dass die Politik beim Rücktritt eines bestimmten Parlamentariers weiterhin im Sinne seiner Wählerschaft fortgesetzt wird.
Als letzte Amtshandlung haben Sie am Dienstag eine Motion eingereicht zur Anpassung der Sitzungsgelder der Parlamentarier. Verdient man als Parlamentsmitglied zu wenig?
Von verdienen kann kaum die Rede sein. Wir erhalten pro Sitzung hundert Franken. Das gibt Bruttostundenlöhne zwischen 10 und 30 Franken. Lokalpolitik zu betreiben, muss man sich leisten können. Dabei verdient diese Arbeit mehr Dank und Anerkennung. Mit meiner Motion will ich eine Diskussion anstossen. Und damit ich mir nicht vorwerfen lassen muss, ich wirtschafte damit in meine eigene Tasche, habe ich sie erst jetzt eingereicht.