«Wir wollen keine Schulfabriken»
Kim Berenice GeserRobert Schwarzer, landesweit ist von Platzmangel in den Schulen die Rede. Und auch hier ist das Thema ein Dauerbrenner. Wie prekär ist die Situation in der SSG Arbon wirklich?
Robert Schwarzer: Wir stehen sehr unter Druck. Derzeit beschulen wir rund 600 Schülerinnen und Schüler. Auf das Schuljahr 2028/29 werden es bereits circa 700 sein. Diese Hochrechnung basiert auf den bereits bestehenden Zahlen der in der SSG zusammengeschlossenen Gemeinden. Nicht miteingerechnet sind die Zuzüger.
Die in den kommenden Jahren zahlreich sein dürften.
Schwarzer: Mit den geplanten Bautätigkeiten auf dem Saurer WerkZwei, beim «Stadthof» und dem Projekt «Ziegelhütte» ist davon auszugehen, dass diese Zahl weiter ansteigen wird. Arbon als Wohnort gewinnt zusehends an Attraktivität. Mit der Aufstockung im Schulhaus Stacherholz haben wir uns Luft verschafft. Dort entstehen derzeit drei zusätzliche Klassenzimmer und zwei Gruppenräume. Aber diese reichen gerade mal aus, um die Zeit bis zur Fertigstellung des Neubaus zu überbrücken.
Ähnlich muss es der PSG Arbon gehen. Regina Hiller, 2020 titelte der «felix.» nach der Fertigstellung des Erweiterungsbaus in der Primarschule Stacherholz: «Endlich genug Schulraum». Von dieser Erleichterung scheint nicht mehr viel geblieben.
Regina Hiller: Das ist richtig. Die Lage ist kritisch. Wir beschulen derzeit 1100 Kinder. Bis 2028 sollen es hundert mehr sein. Das sind rund fünf Klassen. Dabei liegen die Klassengrössen bereits heute über dem angestrebten Durchschnitt und sollten dringend verkleinert werden. Wir stossen in allen Schuleinheiten an unsere Grenzen: Der Ergänzungsbau im Stacherholz ist schon wieder ausgereizt – obwohl dort bereits Reserven eingeplant waren – im Seegarten mussten wir die separaten Garderobenräume zu Schulzimmern umbauen und im Bergli haben wir schon länger kaum noch Spielraum. Wir planen deshalb bereits weitere Anpassungen, um Platz zu schaffen.
Die da wären?
Hiller: Auf den Sommer 2025 wird die Zahnarztpraxis aus ihren Räumlichkeiten im Stacherholz ausziehen, damit wir dort vorerst einen provisorischen Kindergarten und später Schulraum zur Verfügung haben. An der Brühlstrasse planen wir einen zweiten Kindergarten und aus dem Kindergarten an der Gotthelfstrasse soll bis 2026 ein Doppelkindergarten werden.
Die grosse Erleichterung soll indes der Kauf des Reben 4 von der SSG Arbon für 12,38 Mio. Franken bringen.
Hiller: Dieser Kauf ist für uns ein Glücksfall. Wir erhalten auf einen Schlag rund 12 zusätzliche Schulzimmer, eine Turnhalle und die Möglichkeit zur schulergänzenden Betreuung.
Schwarzer: Dem kann ich nur zustimmen. Wir benötigen ein grösseres Sekundarschulzentrum. Das Reben 4 bietet nicht die nötigen Ausbaumöglichkeiten. Für die PSG Arbon hingegen ist das gut unterhaltene Schulhaus eine ideale Ergänzung des Raumkonzepts. Und so günstig wird die PSG Arbon nie mehr ein Schulhaus erwerben können.
Das Reben 4 liegt jedoch ziemlich nahe am Bergli-Schulhaus. Wäre ein anderer Standort nicht sinnvoller gewesen?
Hiller: Der zentrale Standort in der Altstadt ist für uns sehr wertvoll. Wie gesagt, das Bergli-Schulhaus platzt bereits jetzt aus allen Nähten und die Altstadt ist ein beliebter Wohnort für Familien. Es macht also durchaus Sinn, dort einen zusätzlichen Primarschul-Standort zu eröffnen. Wir werden das Schulhaus nach dem Kauf übrigens «Schulhaus Städtli» nennen, um die Verbindung zur Altstadt auch im Namen zum Ausdruck zu bringen.
Erst jüngst war die Verkehrssicherheit in der Altstadt wieder Anlass zu Kritik («felix.» berichtete). Nun sollen im Reben 4 Primar- statt Sekundarschüler beschult werden. Wie gedenken Sie die Schulwegsicherheit zu gewährleisten?
Hiller: Hier sind verschiedene Abklärungen im Gange. So zum Beispiel zur Haltestelle des Schulbusses und der Verkehrsführung. Konkret kann ich dazu aber noch nichts sagen. Hier befindet sich die Stadt im Lead, mit der wir in engem Austausch sind und grosses Entgegenkommen erfahren. So suchen wir beispielsweise gemeinsam nach einer Lösung für die Parkplatz-Situation. Denn mit dem Einzug der Primarschule ins Reben 4 wird der Pausenplatz aus Sicherheitsgründen zwingend auto-frei werden müssen.
Statt dem Kauf des Reben 4 wäre auch die Aufstockung des Schulhaus Seegarten eine Option.
Hiller: Es stimmt, der Seegarten könnte noch aufgestockt werden. Diese Option hat aber, vor allem im direkten Vergleich mit dem Kauf des Reben 4, einige Nachteile.
Nämlich?
Hiller: Diese Lösung käme uns tatsächlich teurer, als der Erwerb des Reben 4 und würde maximal 4 zusätzliche Klassenzimmer ermöglichen. Zudem hätten wir mit einer Aufstockung, sprich einer Vergrösserung des Schulhauses, nicht mehr genügend Pausenplatz zur Verfügung, um den kantonalen Richtwerten zu entsprechen. Auch die Turnhalle wäre zu klein. Und zu guter Letzt streben wir bei allen Schuleinheiten keine Schulfabriken mit über 400 Kindern an. In solch grossen Schulen kann man weder dem Personal noch den Schülerinnen und Schüler mehr Rechnung tragen und das Konfliktpotenzial unter den Kindern ist erwiesenermassen grösser.
Die SSG Arbon hat sich bewusst gegen einen vierten Standort entschieden. Besteht hier also trotz der steigenden Schülerzahlen keine Gefahr von zu grossen Schuleinheiten?
Schwarzer: Nein, die Schülerzahlen in den drei Schulzentren bleiben in einer vertretbaren Grösse. Dazu kommt, dass die Abgänge aus der zweiten Oberstufe an weiterführende Schulen zu einer Entspannung der Schülerzahlen im dritten Schuljahr beitragen.
Die Eröffnung des neuen Sekundarschulzentrums «Lärche» an der St. Gallerstrasse ist auf 2028 geplant. Zum gleichen Zeitpunkt will die PSG Arbon ins Reben 4 einziehen. Dieser Plan hängt von zwei Faktoren ab: Erstens muss die Schulbürgerschaft dem Kredit für den Neubau zustimmen – aktuell beträgt die Grobkostenschätzung 50 Mio. Franken für das Gesamtprojekt. Und zweitens darf es zu keinen Verzögerungen durch Einsprachen beim Bauprojekt kommen. Ein Risiko für alle Beteiligten.
Hiller: Unsere Schulraumplanung ist tatsächlich sehr abhängig von der Entwicklung in der SSG Arbon. Wir sind darauf angewiesen, dass die Arboner Stimmbevölkerung den Wert dieser Lösung erkennt und sie unterstützt.
Schwarzer: Ich bin zuversichtlich, dass dem so ist. Wir sind auch sehr bemüht darum, die Anliegen aller Beteiligten abzuholen. Uns ist klar, dass der Bau eines Schulzentrums in einem Wohnquartier zu gewissen Bedenken führen kann, sei dies im Hinblick auf die Verkehrsführung, den Betrieb der Turnhalle oder des Lärms. Wir suchen deshalb aktiv das Gespräch und den Austausch mit den Anstössern, um möglichst für alle vertretbare Lösungen zu finden. Dies gilt im Übrigen auch für die Schrebergärten, die sich derzeit noch auf der Parzelle befinden. Die Kündigungen wurden hier von der Bürgergemeinde per Ende 2025 ausgesprochen. Unser Bestreben ist es, bis dahin einen alternativen Standort zu finden.
Hiller: Im Kaufvertrag ist überdies geregelt, dass die SSG im Falle von Verzögerungen beim Neubau-Projekt noch bis 2031 Räumlichkeiten im Reben 4 nutzen könnte.
Was wären die Folgen, sollte die Stimmbevölkerung den Kredit für das neue Sekundarschulzentrum bzw. den Kauf des Reben 4 ablehnen?
Schwarzer: Wir kämpfen für diese Lösung. Eine Alternative gibt es für uns derzeit nicht. Falls es in der Kreditabstimmung im Sommer des nächsten Jahres ein Nein gäbe, müssten wir die Kritikpunkte prüfen und das Projekt entsprechend anpassen. Bis zur Fertigstellung des neuen Schulraums bliebe uns dann nur die Ausweichmöglichkeit auf Provisorien.
Hiller: Unser Plan B wäre die Aufstockung des Seegartens und Erweiterungsbauten im Bergli. Wie angetönt, keine optimalen Lösungen.
Um den Kauf des Reben 4 finanzieren zu können, will die PSG Arbon die Steuern ab nächstem Jahr um zwei Prozent erhöhen. Reicht das aus?
Hiller: Die Steuerfuss-Erhöhung ist vor allem notwendig, damit wir die Verschuldung nicht in die Höhe treiben. Stand heute sollten die zwei Prozent ausreichen, um das Projekt zu finanzieren.
Kann die SSG den Neubau ohne Steuerfuss-Erhöhung stemmen?
Schwarzer: Aktuell haben wir ein Eigenkapital von 10,5 Mio. Franken. Mit dem Verkauf des Reben 4 wird dieses noch einmal aufgestockt. Ich will aber niemandem Sand in die Augen streuen. 50 Mio. Franken sind viel Geld. Je nachdem, wie sich die Finanzlage in den kommenden Jahren entwickelt, wird eine Anpassung nötig sein. Ich will aber auch gesagt haben: Wir bauen hier für die nächsten hundert Jahre. Auch wenn wir Zwingendes und Wünschbares sehr sorgfältig evaluieren werden: Man kann auch am falschen Ort sparen.
Für die nächsten hundert Jahre, wird der zusätzliche Schulraum so lange ausreichen?
Schwarzer: Wohl kaum. Wir rechnen damit, dass wir mit dem Neubau für die nächsten 15 Jahre eine Lösung haben.
Hiller: Mit dem Reben 4 hätten wir voraussichtlich bis 2040 ausgesorgt. Weiter vorauszuplanen ist schlicht unrealistisch. Unsere Vorlaufzeit basiert auf den aktuellen Geburtenzahlen und beträgt nur vier Jahre. Deshalb werden wir die Schulraumplanung auch künftig alle drei bis vier Jahre überprüfen und gegebenenfalls anpassen müssen. Die Sekundarschule hat hier mehr Planungssicherheit.
Ist der nötige Schulraum dann endlich vorhanden, stehen Ihre Schulgemeinden vor dem nächsten Problem: dem Lehrkräftemangel. Werden sich die Schüler in den neuen Zimmern künftig selbst beschulen müssen?
Hiller: Dieser Faktor macht uns tatsächlich am meisten zu schaffen. Es ist eine Herausforderung gutes, ausgebildetes Personal zu finden. Mit einer attraktiven Infrastruktur und moderaten Klassengrössen steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, solches anwerben zu können.
Schwarzer: Wir haben im Lehrkörper erfreulicherweise eine tiefe Fluktuation und stehen momentan personell gut da. Aber die Personalrekrutierung ist sehr viel schwieriger geworden und wird, so die Prognosen, noch bis mindestens 2031 eine Herausforderung bleiben.