Zu Gast auf Erden
Alice HoferMarilene Hess, nach eigener Aussage gehen Sie «auf die Stör», sind sozusagen Handlungsreisende … zu wem reisen Sie denn so?
Marilene Hess: Zu allen Menschen, die mich vorzugsweise bei sich zuhause empfangen, um über private Anliegen zu reden.
Und wie hat es Sie ausgerechnet nach Arbon verschlagen?
Eher zufällig, die Stelle war vakant, man suchte eine Überbrückungslösung, ich war gerade verfügbar. Eine passende Konstellation also für alle.
Wie lebt man sich in dieser kurzen Zeit ein?
Sehr gut. Ich fand rasch Anschluss an die Gepflogenheiten, nachdem Frau Gäumann mich noch kurz eingeführt hatte. Die Zusammenarbeit war allseits angenehm, insbesondere auch mit den Verantwortlichen für den Friedhof, Reka Lippmann und Oliver Sonderegger. Die beiden haben eine ruhige, achtsame und empathische Herangehensweise, das hat mir stets gefallen.
In Ihrer Stör-Zeit fiel auch das 100-Jahr-Jubiläum der Berglikirche. Wie haben Sie als temporäre Mitarbeiterin die Feierlichkeiten erlebt?
Es war wundervoll, drei Tage lang ein rauschendes Fest. Das OK hat hervorragende Arbeit geleistet. Bereits im Frühjahr wurde der kleine Rebberg gepflanzt, als Reminiszenz an den ersten Spatenstich sozusagen. Er ist übrigens zu einem meiner Lieblingsplätze geworden. Dann war die aufschlussreiche, bestens vorbereitete Vernissage mit dem Vortrag von Rolf Kellenberg, der über die Anfänge und die verschiedenen Bauphasen referierte. Es war bestimmt mein schönstes Erlebnis hier.
Ihre bisherige Laufbahn war durchaus abwechslungsreich, mit Stationen etwa in Aarberg, Teufen, St. Gallen, Stein am Rhein. Ausserdem machten Sie einen Abstecher in die Tourismusbranche: 2013 haben Sie das Diplom «Tourismusmanagement» in Salzburg erworben. Wie kombinieren Sie Tourismus mit Theologie?
Ich sehe viel Inspiration darin, wenn man bedenkt, dass wir ja auch «nur» Gäste auf Erden sind. Und ich stelle mir gerne vor, wie man als Tourist im jeweiligen Ferienort ebenso begeistert in die Kirchen ginge wie an alle anderen Veranstaltungen.
Sie bezeichnen sich als «Leib- und Seelsorgerin». Wie darf man das verstehen?
Durchaus bodenständig: Es geht nicht nur um Frömmigkeit, Vergeistigung und Spiritualität, sondern eben auch um Sinnlichkeit, Gastlichkeit, Speis und Trank, wie beispielsweise Frau Luther dies praktiziert hat, an der Seite ihres berühmten Mannes. Auch Musik kann heilsam wirken, ebenfalls auf der körperlichen Ebene. Gott kann nichts dagegen haben, wenn wir unsere fünf Sinne wahrnehmen.
Daneben bieten Sie auch Begleitung bei Lebensübergängen aller Art an, was sowohl kirchliche, säkulare und kulturelle Rituale mit einschliesst. Wer sind Ihre Klientinnen und Klienten?
Als Freischaffende werde ich oftmals angefragt für spezielle Betreuungen und teilweise eher unkonventionelle Ideen, sei es für Hochzeiten oder Ehe-Erneuerungen, Abschiedsfeiern, Grabreden und so weiter.
Wie quittiert Ihr Umfeld, dass Sie auch Ihren Humor gerne in Ihr Angebot einstreuen?
Ich habe tatsächlich schon erlebt, dass gerade in der palliativen Begleitung mehr gelacht wurde als anderswo, nämlich wenn es gelingt, dem Tod gelassen und mit Heiterkeit ins Auge zu blicken.
Was werden Sie am meisten vermissen?
Von Arbon? Nun, ich hatte viele berührende und bereichernde Begegnungen, auch mit Trauernden, das werde ich nie vergessen. Und meinen Arbeitsweg radelte ich oftmals mit dem Fahrrad von meinem Wohnort Nähe Kreuzlingen dem ganzen Seeufer entlang nach Arbon, das war traumhaft schön.