Auf ein Kaffee im Bordell
Laura Gansner«Die Frauen im Millieu leben in einer Parallel-Welt.» Dies fällt Eva Messmer während ihren Besuchen in den Clubs und Bordellen des Kantons Thurgau auf. Seit 2015 gehen sie und ihre Vereinskolleginnen in diesen regelmässig ein und aus, bringen den Sexarbeiterinnen ein kleines Geschenk und unterhalten sich mit ihnen, während sie an der Bar einen Kaffee trinken. Komme ein Freier dazu, würden sie sich zurückziehen: «Wir wollen schliesslich nicht das Geschäft stören.» Der Grund ihrer Besuche sei in erster Linie ganz einfach: Sie möchten eine Begegnung auf Augenhöhe mit den Frauen schaffen. Und wenn während diesen Begegnungen von Seiten der Sexarbeiterinnen geäussert wird, dass sie gerne eine andere Tätigkeit ausüben würden, dann hält Eva Messmer eine Lösung bereit.
Fast keine will Sexarbeiterin sein
«Wir fungieren oft als Brückenbauerinnen zur Aussenwelt», erzählt die Vereinspräsidentin. Dabei kann es einerseits um scheinbar niederschwellige Dinge wie um einen Arztbesuch oder das Bezahlen einer Rechnung gehen. Die Mehrzahl der Frauen stamme aus Ungarn oder Rumänien, vereinzelte aus Spanien; Frauen, die in die Schweiz kommen, ohne Vorkenntnisse über ihre Rechte und Pflichten in diesem Land. «Viele von ihnen haben Familie zuhause, die sie auf diesem Weg finanzieren.» Wer dies wie selbstbestimmt tut, sei schwierig zu benennen. Eine Sache, die sie aber auf jeden Fall feststelle, sei die Einstellung gegenüber der Arbeit: «In meinen acht Jahren Vereinsarbeit mit Blossom habe ich genau zwei Frauen getroffen, die keinen anderen Job ausüben wollen würden, wenn sie könnten.» Aber für Frauen mit diesem Bildungsstand gebe es nicht gross andere Möglichkeiten, sich auf demselben Niveau zu finanzieren, wie es in der Sexarbeit möglich sei. Wer den Schritt trotzdem wagen möchte, erhält Unterstützung von «Blossom». Eva Messmer begleitet Sexarbeiterinnen bei ihrem Ausstieg aus dem Rotlicht-Millieu nicht nur, sondern bietet ihnen gleich noch ein Dach über dem Kopf und Arbeit an.
Die Spuren des Millieus
«Blossom» stellt Frauen, die den Übertritt in den ersten Arbeitsmarkt wagen wollen, in ihren zwei Secondhand-Läden in Sulgen und Weinfelden ein. Im Rahmen dieses Neuorientierungsprogramms würden sie die ersten drei Monate «nur» dieser Arbeit nachgehen. Dabei wohnen sie zu zweit in einer Wohngemeinschaft, die der Verein bereitstellt. In einem zweiten Schritt würden sie sich dann an Bewerbungen bei anderen Arbeitgebern wagen, was oft eine Herausforderung für die Frauen darstellt. «Wenn du dich täglich mit anderen Frauen vor Freiern aufreihen musstest und gewählt oder eben nicht gewählt wurdest, hinterlässt das Spuren», erklärt Messmer. Die Traumatisierung von Sexarbeiterinnen werde in Fachkreisen unterdessen jener von Kriegsopfern gleichgestellt. Die Arbeit bei «Blossom» solle einen geschützten Rahmen bieten, in dem die Frauen sich darin üben können, mit den Herausforderungen der Arbeitswelt umzugehen, zu denen Bewertungen und Ablehnung nun einmal gehören. «Wir wollen die Frauen in diesem Prozess nicht als Opfer wahrnehmen», betont Messmer. Das bringe ihnen nichts; viel eher sollen sie erfahren, dass sie ernst genommen werden und ihre Entscheidungen Gewicht haben. Mehr dazu erzählt Eva Messmer am Freitag, 29. September, um 19.30 Uhr, im Kirchgemeindesaal der Evangelischen Kirche Arbon.