Braucht es Lösungsmittel für Sesselkleber?
Alice Hofer«Die Unterschriftensammlung läuft sehr gut», sagt Reto Gmür, «unser Anliegen reflektiert den Puls der Bevölkerung, wie sich in der breiten Unterstützung zeigt.» Mit der Initiative zur Beschränkung der Amtsdauer will die BFA eine öffentliche Debatte erzwingen; dies, nachdem eine entsprechende Motion von Reto Gmür im Dezember 2023 vom Stadtparlament als «nicht erheblich» befunden wurde und abgeblitzt war. Weil «die Diskussion verweigert» worden sei, will die BFA nun des Volkes Stimme hören. Sie fordert mit der Initiative, dass «die Amtsdauer der Parlamentsmitglieder maximal zwölf aufeinanderfolgende Jahre beträgt. Nach Ablauf von vier Jahren können sie sich erneut zur Wahl stellen». Dieser Text birgt Interpretationsspielraum. Es bleibt beispielsweise unklar, ob Kalender- oder Amtsjahre gemeint sind und ob angefangene Legislaturen vollen Amtsperioden gleichgestellt werden. Gemäss Reto Gmür wurden die Formulierungen bewusst offen gehalten, damit das Parlament den Feinschliff für die rechtliche Grundlage beziehungsweise den Gegenvorschlag erarbeiten müsse. Ob er die Amtsdauerbeschränkung auch im Stadtrat anstrebe? «Dort besteht die Problematik nicht», erklärt Reto Gmür, «da der Austausch sowieso häufiger stattfindet».
Mathematik für Fortgeschrittene
Erforderlich für die Initiative sind 400 Unterschriften, die Frist zur Einreichung endet am 6. Dezember. Wenn die Initiative zustande kommt, vom Volk angenommen würde und im nächsten Wahljahr 2027 tatsächlich bereits umgesetzt werden könnte, wären Stand heute zehn Mitglieder des Parlaments – also ein Drittel – gezwungen, ihren Sitz zu räumen. Vier weitere müssten in den Folgejahren 2029/2030 abtreten, drei weitere 2031. Kombiniert mit den nicht absehbaren natürlichen Abgängen wäre dann innerhalb von drei Jahren mehr als das halbe Parlament neu zu besetzen und aufzubauen. Damit verbunden wären Verluste von Know-How, Erfahrung und Stabilität.
Die Frage, ob diese Qualitäten wie auch Dossiersicherheit, fundiertes Wissen und Kontinuität nicht zu sehr gefährdet seien, verneint Reto Gmür: «Kontinuität ist gar nicht gefragt, sondern mehr Dynamik. Man kann sehr wohl in zwölf Jahren etwas bewirken, wenn man wirklich will.» Oftmals seien lediglich Gewohnheit und Macht die Beweggründe, zu bleiben. Viele der «Sesselkleber» hätten Angst davor, etwas Neues zu wagen, sässen deshalb in ihrer Blase und verlören den Bezug zu den Bürgern. «Auf den Wahlzetteln prangen die ‹Bisherigen› stets oben und werden so einfach wiedergewählt, während die hochmotivierten ‹Neuen› am unteren Blattrand auf der Strecke bleiben», bemängelt Reto Gmür.
Wahrnehmungsdifferenzen
Das sehen einige der betroffenen Alteingesessenen im Parlament ganz anders: Bisherige seien «bekniet worden», zu bleiben, erklärt etwa Riquet Heller (im Amt seit Juni 2003). Es würden jeweils halb leere Listen mit Halb-Freiwilligen kumuliert, die im Ernstfall dann lieber doch nicht erscheinen möchten. Als Beispiel nennt er Reto Gmürs «Amtsvorgängerin» Astrid Straub: Sie wurde 2023 ins Parlament gewählt, trat das Amt jedoch aus Zeitgründen nicht an. «Die Stimmberechtigten brauchen keinen Vormund, der ihnen verbietet, alte Hasen zu wählen», meint Heller.
Ähnlich sieht es Christine Schuhwerk (im Amt seit Juni 2003): Von Ansturm und Drang könne keine Rede sein, man stünde bestimmt niemandem im Weg, und diese Initiative sei «reine Verschwendung von Steuergeldern». Deutliche Worte wählt auch Jacob Auer (im Amt seit Juni 2011): «Die Initiative ist Bullshit», befindet er. «Es entscheidet das Stimmvolk, wen es im Parlament will. Die Parteien sind sich bewusst, welche Exponenten sie empfehlen.» Letztlich müsse jeder selber wissen, ob er für sein Engagement noch berechtigt im Parlament sei oder nicht. Cyrill Stadler (im Amt seit Januar 2012) ist gleicher Meinung: «Das Stadtparlament ist eine Volksvertretung, darunter darf es sowohl langjährige wie auch neu gewählte Persönlichkeiten geben, es soll jungen und älteren Menschen unserer Stadt eine Stimme gegeben werden.» Die Initiative ziele an dieser Grundhaltung vorbei, eine Beschränkung sei deshalb aus liberaler Sicht abzulehnen.
Wie geht es weiter?
Falls die erforderlichen 400 Unterschriften eingereicht werden, müssen sie zunächst von der Stadtkanzlei auf ihre Gültigkeit geprüft werden. Der Stadtrat wird daraufhin Bericht und Antrag dem Parlament unterbreiten, welches entscheidet, ob auch die formalen Kriterien der Initiative erfüllt sind und, was zu erwarten ist, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten hat. Die Initiative muss binnen eines Jahres nach Einreichung vors Volk gebracht werden, spätestens im Dezember 2025. Sie würde eine Änderung der Gemeindeordnung bedingen, kann jedoch nun nicht mehr in die bereits laufende Revision derselben einfliessen. Sollte die Initiative beziehungsweise der Gegenvorschlag also angenommen werden, würde dann in einem nächsten Schritt eine entsprechende Teilrevision der Gemeindeordnung erforderlich. Diese müsste noch vom Kanton genehmigt werden, was wiederum ein bis zwei Jahre dauern kann. Damit dürfte die Inkraftsetzung bis zu den nächsten Wahlen 2027 doch eher unrealistisch sein.