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Das Geschäft mit der Pflege

Wer Angehörige pflegt, leistet einen wichtigen Beitrag im Gesundheitswesen. Seit wenigen Jahren kann diese Arbeit in der Schweiz auch entlohnt werden. Ein System mit einer Kehrseite: Manch einer wittert hier ein lukratives Geschäftsmodell auf Kosten der Steuerzahler. In Arbon will man deshalb künftig genauer hinsehen. 

Kim Berenice Geser

Vom Bund über die Kantone bis hin zu den Gemeinden stehen die Leistungen von pflegenden Angehörigen derzeit im Fokus. Oder vielmehr die Spitex-Firmen, welche diese abrechnen. Denn vielerorts sind die Kosten für die Langzeitpflege privater Spitex-Organisationen seit 2022 exorbitant gestiegen. So auch in der Stadt Arbon. Während private Spitex-Anbieter der Stadt 2022 noch 194 780 Franken für die Restkosten in Rechnung stellten, waren es 2023 bereits satte 360 577 Franken. Die Restkosten, das ist jener Anteil am Grundtarif, der nicht durch die obligatorische Krankenversicherung und den Eigenanteil der Versicherten gedeckt wird. Er wird zu 40 Prozent vom Kanton und zu 60 Prozent von den Gemeinden getragen. Doch was steckt hinter dessen rasantem Anstieg? Die Antwort auf diese Frage ist komplex. Sie hängt mit der steigenden Lebenserwartung, dem Grundsatz «ambulant vor stationär» und dem Wunsch, möglichst lange zuhause betreut zu werden, zusammen. Und mit einem Bundesgerichtsentscheid von 2019. 

Branchenverband wird aktiv

Dieser Entscheid besagt, dass auch pflegende Angehörige für ihre Leistungen in der Grundpflege entschädigt werden können. Bedingung hierfür ist, dass sie von einer Spitex-Organisation mit entsprechender Betriebsbewilligung angestellt sind. Diese stellen die erbrachten Leistungen bei den verschiedenen Kostenträgern in Rechnung und bezahlen den bei ihnen angestellten pflegenden Angehörigen einen Lohn aus. Die Crux: Der wegweisende Entscheid des Bundesgerichts machte es zwar möglich, die wertvolle Pflegearbeit von Angehörigen zu entlohnen, er schuf hierfür allerdings keine Rahmenbedingungen.

Pflegende Angehörige sind eine wichtige Stütze im Gesundheitssystem, die Abrechnung ihrer Leistungen gilt es jedoch besser zu regulieren.
Pflegende Angehörige sind eine wichtige Stütze im Gesundheitssystem, die Abrechnung ihrer Leistungen gilt es jedoch besser zu regulieren.
© Symbolbild: Getty Images

Sandra Grossenbacher, Stv. Geschäftsführerin des Verbandes der privaten Spitex-Organisationen (ASPS), bestätigt: «Die Politik hinkt hinterher.» Weshalb der Branchenverband heute Donnerstag einen eigenen, für seine Mitglieder verbindlichen Verhaltenskodex herausgab, um die Qualität der Leistungen von pflegenden Angehörigen zu sichern und für eine transparente Abrechnungspolitik zu sorgen. Denn der Gerichtsentscheid rief, wenig überraschend, diverse Firmen auf den Plan, die darin ein Geschäftsmodell sahen und sich auf die Anstellung von pflegenden Angehörigen spezialisierten. Doch laut Angaben des Thurgauer Regierungsrates ist bis heute nicht restlos geklärt, ob und in welchem Umfang besagte Anbieter diese Leistungen abrechnen können. Die Tarif-Struktur der öffentlichen Spitex-Organisationen wie der Spitex RegioArbon lässt sich nämlich nicht ohne weiteres auf private Anbieter übertragen, da diese in der Regel keine Leistungsvereinbarung mit den Gemeinden haben. Entsprechend sind sie beispielsweise nicht zur Ausbildung von Lernenden verpflichtet und haben keine Versorgungspflicht. Alles Faktoren, die in eine Vollkostenrechnung fliessen und den jährlichen Tarif der öffentlichen Spitex mitbestimmen. 

Arbon prüft Abrechnung genau

Die Zahlen legen jedoch die Vermutung nahe, dass private Spitex-Anbieter mit eben diesen, nicht auf sie zugeschnittenen Tarifen abrechnen und so unter Umständen auf Kosten der Steuerzahler Gewinn machen. Im Kanton Thurgau wurden 2023 rund 1,5 Mio. Franken an Restkosten für Leistungen von pflegenden Angehörigen in Rechnung gestellt. In der Stadt Arbon geht man laut aktuellen Erkenntnissen im selben Jahr von 140 000 Franken aus (zum Vergleich: 2022 waren es gerade mal 8500 Franken). «Ob diese Annahme korrekt ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen», hält die zuständige Stadträtin Sandra Eichbaum fest. Denn bis anhin waren private Spitex-Anbieter in Arbon nicht angehalten, Leistungen, welche durch pflegende Angehörige erbracht wurden, zwingend separat auszuweisen.

«Pflegende Angehörige sind ein wichtiger Pfeiler in unserem gesellschaftlichen System und sollen eine Entschädigung erhalten.»
Sandra Eichbaum

Ab sofort fordert die Stadt dies ein und will generell mehr Transparenz in der Abrechnung. Von den drei grössten, der insgesamt 32 privaten Pflegeorganisationen, die in Arbon tätig sind (auf sie entfallen 2023 insgesamt 310 000 Franken der Restkosten) wurden deshalb nun die Kostenrechnungen zur Analyse durch externes Fachpersonal eingefordert. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse werden weitere Schritte geprüft. Dies könnten Tarif-Anpassungen aber auch Rückforderung von zu hoch ausbezahlten Beiträgen sein. Eichbaum betont, bei Missbrauch gehe man konsequent vor, man wolle aber die privaten Pflegeorganisationen in Arbon nicht unter Generalverdacht stellen, weshalb sie diese (noch) nicht namentlich nennt. «Es ist in unserem Interesse, weiterhin mit diesen Anbietern zusammenzuarbeiten, denn pflegende Angehörige sind ein wichtiger Pfeiler in unserem gesellschaftlichen System und sollen eine Entschädigung erhalten.»

Symbolbilder Front und Text: Getty Images.

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