Das Private ist Sache des Arbeitgebers
Laura Gansner«Das hier ist erst der Anfang», richtet Stephan Berger seine Worte an die versammelten Mitarbeitenden des Pflegeheims Sonnhalden, die sich vergangene Woche auf der Gartenterrasse zum Anstossen versammelt haben. Grund für ihr Zusammenkommen ist die Verleihung der Prädikatsreife der Fachstelle UND, für welche deren Geschäftsführerin Birgit Lauber und Stephan Berger an diesem Tag vor Ort sind. Berger begleitete als Projektleiter der Fachstelle Mitarbeitende aus allen Bereichen des Pflegeheims während mehr als einem Jahr, um gemeinsam konkrete Ziele zu erarbeiten, wie Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren. Basierend auf den Ergebnissen verschiedener Befragungen und Workshops wurden neue Lösungen für Stellvertretungen erarbeitet und eine externe Anlaufstelle für belastende Situationen oder allfällige Diskriminierungsfälle geschaffen. Auch der Dienstplanung hat man sich angenommen; kein einfaches Unterfangen, wie «Sonnhalden»-Geschäftsleiterin Marlene Schadegg beschreibt.
Fehlanzeige Home Office
«Schon als ich 2008 meine Stelle im Pflegeheim Sonnhalden antrat, habe ich mir gedacht: Das muss doch einfacher gehen», erinnert sich Marlene Schadegg. Doch die Dienstplanung – nicht nur, aber insbesondere – im Pflegebereich ist hochkomplex. Jede und jeder hat diesbezüglich Wünsche, die angebracht werden, sprich: ein Privatleben, das er oder sie im Dienstplan beachtet sehen möchte. «Das ist auch richtig so; am Ende des Tages brauchen wir dennoch einen vollen Dienstplan», so Schadegg.
Und Home Office, was spätestens seit der Corona-Pandemie für viele Arbeitnehmende eine Grundanforderung an ihre Arbeitgebenden ist, ist im Pflegedienst nicht möglich. «Da wären wir wohl die Ersten in der Branche, wenn wir jeweils am Morgen unsere Bewohnerinnen und Bewohner mit unseren Mitarbeitenden mit nachhause schicken», schmunzelt die Geschäftsleiterin, nur um gleich wieder ernst zu werden: «Uns ist der Wunsch der Mitgestaltung dennoch sehr wichtig.» Deshalb wurde ein neues Zeiterfassungssystem eingeführt, bei welchem die Mitarbeiterwünsche hinterlegt werden können. «Bei über 100 Pflegenden ist dies essenziell.» Jedoch in einem klar definierten Rahmen, wie Marlene Schadegg betont. So kann sich die Person, welche jeden Mittwochnachmittag das eigene Kind betreuen oder jene Person, die immer am selben Abend die Pflege eines oder einer Angehörigen übernehmen muss, darauf verlassen, dass dies in ihrem Dienstplan stets einberechnet wird und nicht Monat für Monat darauf hoffen, dass ihre Freiwünsche berücksichtigt werden. Ein leicht übersehbarer Faktor trägt ausschlaggebend zur Wirksamkeit dieses Tools bei, so Schadegg: die Akzeptanz unter den Mitarbeitenden.
Wegweisende Auszeichnung
In der Pflege sei man besonders stark von der Zusammenarbeit im Team abhängig, erklärt Marlene Schadegg. «Veränderungen müssen als gerecht empfunden werden, damit sie von allen mitgetragen werden.» Dies sei nicht immer nur leicht zu erreichen; aber im Rahmen des Prädikatprozesses gelang es, einen gemeinsamen Weg zur grösseren Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf einzuschlagen. Es werde übrigens bewusst nicht von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesprochen – auch wenn viele der Angestellten Frauen sind, die auch im Privaten noch immer einen Löwenanteil der Pflege- und Erziehungsarbeit übernehmen. «Uns geht es darum, dass unsere Mitarbeitenden wissen: Unser Bedürfnis nach einer guten Balance zwischen Arbeit und Privatem wird ernst genommen.» Mit der Prädikatsreife der Fachstelle UND machte man einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Doch Schadegg stimmt Projektleiter Stephan Berger zu: Damit beginnt die Arbeit erst. In Begleitung mit der Fachstelle UND will man anhand von jährlichen Bestandesaufnahmen und der Weiterentwicklung von neuen Lösungsansätzen den Weg der Vereinbarkeit weitergehen. Und dabei die Mitarbeitenden stets miteinbeziehen. Marlene Schadegg richtet sich in ihrer Ansprache zur Feier der Prädikatsreife deshalb direkt an sie: «Ihr als Mitarbeitende seid die wichtigste Ressource. Gemeinsam können wir weitere positive Veränderungen bewirken.» Woraufhin sie ihr Glas erhebt und die Runde macht, um mit jedem und jeder anzustossen.