Der Klotz an Roggwils Bein
Kim Berenice GeserMan hätte dem neuen Gemeindepräsidenten Kevin Länzlinger ein einfacheres Geschäft für seine erste Gemeindeversammlung gewünscht. Denn wer in Roggwil schon einmal an einer solchen teilgenommen hat, weiss: Die Diskussion um die Zukunft von Ochsen und Farinolihaus hat es verlässlich in sich – und ist immer für eine Überraschung gut. An diese Faustregel hielt man sich auch am Montagabend. Dennoch hatte sich der Gemeinderat bemüht, für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Vier Stimmenzählerinnen waren im Einsatz, die Besuchenden in einer speziellen «Sperrzone» vom Rest abgegrenzt, um Verwirrung beim Auszählen zu vermeiden, und die geheime Abstimmung von vornherein einkalkuliert. Zum Eklat kam es dennoch. Und ob des turbulenten Endes der Sitzung ging beinahe vergessen, dass Länzlinger die erste Bombe bereits zu Beginn platzen liess. Aber von Anfang an.
Das Farinolihaus stellt sich quer
239 Stimmbürgerinnen und -bürger hatten sich für die ausserordentliche Gemeindeversammlung in der Mehrzweckhalle Freidorf eingefunden. Das entspricht einer Stimmbeteiligung von 10,1 Prozent, was durchaus beachtlich ist. Auf der Agenda stand nur ein Traktandum: der Grundsatzentscheid zu Projekt Zentrum Roggwil. Nach mehreren gescheiterten Anläufen – zuletzt die Ablehnung des Planungskredits von 250’000 Franken im Budget 2023 – wollte der Gemeinderat an diesem Abend Klarheit schaffen und wissen: Welche Stossrichtung wünscht sich die Stimmbevölkerung?

Konkret hatte diese darüber zu entscheiden, ob sie die Parzellen Nr. 562 und 563, sprich das Farinolihaus und den Ochsen, von der Gemeinde entwickeln und überbauen lassen oder sie stattdessen im Baurecht vergeben oder an einen Investor verkaufen will. In jedem der drei Fälle erweist sich der Schutzstatus des Farinolihauses als Klotz am Bein. Weshalb der Gemeinderat vor geraumer Zeit von der Stimmbürgerschaft den Auftrag erhielt, diesen Klotz zu entfernen. Ein Unterfangen, das nicht einfach werden wird, wie Länzlinger gleich zu Beginn der Versammlung betonte. Er habe bereits an seinem zweiten Arbeitstag Besuch von Vertretern der kantonalen Denkmalpflege erhalten. «Sie haben ganz klar gesagt, für eine Entlassung aus dem Schutzplan sind die Anforderungen sehr hoch.» Ohne konkretes Projekt sei dies nicht möglich. «Und selbst dann wird es noch Hürden geben.»
Drei mal drei macht vier
In der nachfolgenden Diskussion sprach sich die FDP für die Vergabe im Baurecht aus. Ralph Wattinger, der zwar als Privatperson votierte, vertrat dennoch die Meinung seiner Partei, der SVP, und warb für die Gemeinde als Arealentwicklerin. Karl Müller brachte sich und seine Familie als Investoren ins Rennen. Erwin Brandenberger weibelte erneut für die Umnutzung der Parzellen in einen Dorfplatz. Und Willi Bischofberger, ehemals Präsident der Saalbaugenossenschaft, sprach der Bevölkerung ins Gewissen: «Solange die Gemeinde im Besitz dieser Liegenschaften bleibt, kann es nicht vorwärts gehen.» Das sahen die Anwesenden offensichtlich genauso und lehnten es mit 97 Ja- zu 121 Nein-Stimmen ab, dass die Gemeinde die Parzellen selbst bebaut. Was die Gegenüberstellung der Varianten «Vergabe im Baurecht» versus «Verkauf an Investor» zur Folge hatte. Diese Entweder-Oder-Formulierung verwirrte die Anwesenden so, dass Länzlinger die Abstimmung in der Hälfte unterbrach und nach einer Erklärung wiederholen liess. Nur um sie gleich darauf ein drittes Mal durchzuführen. Warum? Weil das Resultat mit 105 Stimmen für das Baurecht und 107 Stimmen für den Investor kaum knapper hätte ausfallen können. Um in einem solchen Falle sicherzustellen, dass alles seine Richtigkeit hat, habe man im Vorfeld beschlossen, noch einmal nachzuzählen, begründete Länzlinger. Ein nachvollziehbarer Gedanke und hätte er das erste Ergebnis nicht bekannt gegeben, wäre das Vorgehen vermutlich akzeptiert worden. Doch da bei der zweiten Auszählung plötzlich die Baurechtsvariante mit 108 zu 106 Stimmen obsiegte, sah sich Länzlinger umgehend mit der Androhung einer offiziellen Abstimmungsbeschwerde konfrontiert, sollte dieses zweite Resultat für gültig erklärt werden. Der Gemeinderat zog sich also für eine fünfminütige Besprechung zurück und schlug anschliessend tatsächlich eine nochmalige Abstimmung vor. Damit war der Unmut im Publikum perfekt und der Gemeindepräsident tat das einzig richtige: Er stellte das Geschäft bis zur nächsten Versammlung im Dezember zurück. Womit allerdings auch der erste Entscheid obsolet wurde und die Anwesenden nach zwei Stunden unverrichteter Dinge und kopfschüttelnd wieder heimwärts strömten.