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Europa braucht starke Lieferketten

Die Steinacher Firma Variosystems erwirtschaftet nur einen Bruchteil ihres Umsatzes vor Ort. Um nicht Spielball globaler Krisen zu sein, benötigt das Unternehmen eine flexible und weitsichtige Strategie und den Mut, neue Wege zu gehen. Einen solchen hat «Variosystems» vor drei Jahren eingeschlagen.

Kim Berenice Geser

Die Schweizer Tech-Industrie hat schwer zu beissen. Der exportorientierte Wirtschaftszweig leidet aktuell sowohl unter dem starken Schweizer Franken als auch der Zoll-Politik der USA. Seit dem 7. August gelten dort 39 Prozent Einfuhrzölle auf Produkte aus der Schweiz. Der Branchenverband Swissmem der Schweizer Tech-Industrie sieht durch diese Faktoren zehntausende Stellen hierzulande bedroht und fordert drastische Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Exportwirtschaft – vor allem auf den übrigen Weltmärkten. Er mahnt davor, dass Referenden gegen die jüngst abgeschlossenen Freihandelsabkommen mit Malaysia, Thailand und den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) «unverantwortliche Rückenschüsse gegen die Tech-Industrie sowie die gesamte Schweizer Exportwirtschaft» darstellen würden.

René Akermann ist Leiter Customer Success Management Europa.
René Akermann ist Leiter Customer Success Management Europa.
© z.V.g.

Diese Ansicht teilen Stephan Sonderegger und René Akermann von «Variosystems». Sonderegger ist CEO des global tätigen Steinacher Technologieherstellers, Akermann leitet das Customer Success Management für Europa. Auf die Politik zu warten, ist für sie allerdings keine Option, um den weltwirtschaftlichen Krisen zu trotzen. Weshalb bei «Variosystems» 2022 eine strategische Neuausrichtung initiiert wurde, die den Betrieb schon heute vor Herausforderungen wie dem US-Zollhammer bewahrt.

Für China in China produzieren

«Wir haben uns vor drei Jahren dazu entschieden, unsere ganze Strategie so aufzubauen, dass wir in vier Regionen der Welt mit lokalen Lieferketten präsent sind», erklärt Sonderegger. Diese vier Regionen sind Europa, Nordamerika, China und Asien/Pazifik. «Produktionsstandorte hatten wir dort bereits, jedoch keine in sich geschlossenen Lieferketten», führt Akermann aus. Die strategische Neuausrichtung basierte auf der Annahme, dass die geopolitische Lage in Zukunft die Dezentralisierung fördern wird, womit Unternehmen zunehmend gefordert sein werden, ihre Geschäftsprozesse direkt in den jeweiligen Regionen aufzubauen. «Wir sind natürlich nicht davon ausgegangen, dass die USA uns 39 Prozent Importzölle auferlegen wird», hält Sonderegger fest. Aber man habe bereits antizipiert, dass Handels- und Logistikkosten künftig einen signifikanten Anteil an den Gesamtkosten ausmachen werden.

«Variosystems» stellt keine eigenen Produkte her, sondern produziert Elektroniklösungen für Kunden aus den Sektoren Medizin, Mobilität, Industrie, Wissenschaft, Verteidigung und Luftfahrt.
«Variosystems» stellt keine eigenen Produkte her, sondern produziert Elektroniklösungen für Kunden aus den Sektoren Medizin, Mobilität, Industrie, Wissenschaft, Verteidigung und Luftfahrt.
© z.V.g.

Gleichzeitig stellte man bei «Variosystems» eine immer grösser werdende Nachfrage nach lokalen Vertriebslösungen fest. «Deshalb haben wir unsere Strukturen so ausgerichtet, dass wir dezentral arbeiten und unseren Kunden dezentrale Lösungen anbieten können.» Will heissen, was in China produziert wird, wird auch in China verkauft. Man spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten «Nearshore»-Lösungen. In Steinach wird nur 10 Prozent des gesamten Betriebsumsatzes erwirtschaftet. «Heute können wir Produkte, die wir beispielsweise bisher in Europa produziert und vertrieben haben, eins zu eins in die USA transferieren», erklärt Akermann. Was im Vorfeld allerdings einen nicht unerheblichen Aufwand voraussetzte, wie er einräumt. Um einen nahtlosen Übergang zwischen den Regionen zu gewährleisten, baute «Variosystems» lokale Teams mit Ingenieurinnen, Projektleitenden und Verkäufern auf und trieb die Datenharmonisierung aller Prozesse konsequent voran. «Dank der Weiterentwicklung in den letzten Jahren sind wir heute optimal aufgestellt und können reagieren, ohne hunderte Millionen in neue Fabriken investieren zu müssen, nur um Zölle zu umgehen», konstatiert Akermann.

Strategie bewährt sich

Sonderegger ist sich bewusst, dass die Auslagerung der Produktion von der Schweiz ins Ausland auf den ersten Blick negativ gesehen werden kann. «Aber als Unternehmen mit rund 300 Mitarbeitenden in der Schweiz und 2500 weltweit macht uns dieses globale Setup resistenter, weil es uns erlaubt, Krisen abzufangen.» Dabei denkt er nicht nur an die herrschende Zollkrise, welche «Variosystems» in ihrem Vorgehen bestätigt, sondern auch an Kriege, Währungskrisen und die wirtschaftlichen Folgen von Pandemien.

Stephan Sonderegger ist CEO der Variosystems.
Stephan Sonderegger ist CEO der Variosystems.
© z.V.g.

«Wir treiben die Entwicklung hin zu dezentralen Standorten deshalb weiter voran», sagt der CEO. So wurde in Kroatien jüngst ein neues Werk in Betrieb genommen und in Steinach die Montagefläche erweitert. Ausserdem ist man dabei, einen Ausbau in Rumänien zu evaluieren, weil Osteuropa eine zunehmend wichtigere Rolle in der Entwicklung europäischer Lieferketten spielt. Sonderegger: «Unser Ziel ist es auch hier, in Europa für Europa zu produzieren. Denn unsere europäische Kundschaft braucht starke europäische Lieferketten.» Der Standort Steinach spiele dabei eine zentrale Rolle und bleibe für «Variosystems» von strategischer Bedeutung.

Dieser Beitrag ist im Rahmen der Wirtschaftsbeilage 2025 erschienen.

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