Strassentaugliche Kinder
Manuela MüllerAn einem Spätsommertag trifft Maria Noth an ihrem Arbeitsplatz für den Dienstagmorgen ein. Die 36-jährige Polizistin parkt ihr Auto auf dem Parkplatz der Schule in Berg und begibt sich mit ihrem Schulungsmaterial auf den Weg zum Klassenzimmer des Kindergartens. «Wisst ihr, warum ich heute hier bin?», begrüsst sie die Kinder, die gespannt ihren Ausführungen lauschen. «Wir lernen heute, wie man sich richtig im Strassenverkehr verhält und wie man den Fussgängerstreifen sicher nutzt», erklärt Noth. Während der Übung im Klassenzimmer weist sie die jungen Strassenverkehrsteilnehmer darauf hin, dass es mittlerweile auch Autos gibt, die man fast nicht mehr hört. Dabei werde das «Luege» von «Warte, luege, lose, laufe» besonders wichtig. Sie bindet die Kinder aktiv in den kurzen Theorieteil mit ein, fragt sie nach ihrem Alltag und bereits begegneten Verkehrssituationen. «Ich muss das aber gar nicht wissen, ich komme jeden Tag mit dem Bus», belehrt ein Mädchen die Polizistin, welche prompt reagiert: «Aber du bist doch nicht nur auf dem Weg zum Kindergarten unterwegs, dann ist es umso wichtiger, zu wissen, wie man über den Fussgängerstreifen läuft.»
Eltern in der Pflicht
«In den vergangenen 15 Jahren, seitdem ich die Verkehrsinstruktionen mache, hat sich einiges verändert», sagt Noth. Das Verkehrsaufkommen hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen und auch neue Trendfahrzeuge wie E-Scooter oder E-Roller haben sich zu den alltäglichen Verkehrsmitteln gesellt. «Dadurch wird der Verkehr komplexer und die Verantwortung der Kinder im Strassenverkehr steigt kontinuierlich», so die Polizistin. Weshalb das Verhalten auf der Strasse geübt sein will.

Das bestätigt auch Miguel Lopez, Mediensprecher der Kantonspolizei Thurgau, der weiss, dass das heutige Verkehrsaufkommen bei den Eltern auch Ängste auslösen kann. «Unsere Polizisten der Verkehrsschulung stellen fest, dass viele Eltern ihren Kindern den selbständigen Fussweg zum Kindergarten oder Schule nicht mehr zutrauen und stattdessen auf das sogenannte ‘Elterntaxi’ zurückgreifen», erläutert Lopez. Diese Entwicklung habe jedoch zur Folge, dass die Kinder wichtige Erfahrungen im Strassenverkehr nicht sammeln können. Die Kantonspolizeien empfehlen den Eltern deshalb ausdrücklich, ihre Kinder über einen längeren Zeitraum aktiv auf dem Schulweg zu begleiten und regelmässig das sichere Verhalten im Strassenverkehr zu üben. «Es fängt bei den Eltern an, wie ihre Kinder schlussendlich den Schulweg bestreiten», bekräftigt auch Noth. Einen kleinen Teil der Vorbereitung übernehmen die Verkehrspolizistinnen und- polizisten, die in der «felix.»-Region rund 460 Kinder aus 26 Kindergartenklassen das richtige Verhalten auf und neben der Strasse beibringen. Während ihres Besuches vermitteln sie den Kindergärtlern, aber auch den Schülern stufengerecht den sicheren Umgang im Strassenverkehr.
Gegenseitiges Verständnis
Zurück in Berg an der Verkehrsinstruktion: Nachdem die Kinder ihre Schuhe und den Leuchtstreifen angezogen haben, geht es raus zum Fussgängerstreifen oberhalb der Kirche, welcher gleich nach einer Kurve platziert wurde. «Hier gilt besondere Vorsicht, denn man hört manche Autos zwar schon von Weitem, sehen wird man sie aber erst in der Kurve», betont die 36-Jährige. Nach und nach treten die Kinder an den Fussgängerstreifen heran. Erst wenn die Räder des Fahrzeugs stillstehen und die Umgebung sicher ist, überqueren sie die Strasse. Ein Fahrradfahrer, der in diesem Moment vorbeifährt, will zwar anhalten, schätzt die Situation aber am Schluss doch nicht richtig ein und fährt weiter. «Alles falsch gemacht», erklärt ihm die Polizistin und informiert die Kinder sogleich, dass es auch dazu kommen kann, dass nicht immer jeder am Fussgängerstreifen sein Fahrzeug anhält. Um das nötige gegenseitige Verständnis zu schaffen, sei es aber gleichzeitig auch wichtig, dass den jüngsten Verkehrsteilnehmern die Verantwortung im Strassenverkehr bewusst ist: «Das Kind muss am Fussgängerstreifen warten und so signalisieren, dass es über die Strasse will.»