Hip-Hop hautnah erleben
Manuela MüllerIm Skatepark in Arbon ist an diesem Nachmittag nicht viel los: Es ist heiss und jedermann steuert das kühle Nass der Badi oder des Sees an. Dies wird sich aber spätestens am 12. Juli ändern: Dann nämlich wird der Skatepark zum Austragungsort eines neuen Festivals, das die Hip-Hop-Kultur hochleben lässt. «Wobei, so neu ist das gar nicht», sagt Michel Stalder. Der 38-Jährige ist der Organisator des Festivals «COOLtur ReiSEE» und erfüllt sich mit der Durchführung im Skatepark ein Herzensprojekt, das seit acht Jahren in Planung ist. «Bereits damals hatten wir die Vision, dass das Festival eines Tages in seiner vollen Grösse auf dem Skatepark stattfinden würde», erklärt er. Wir – das sind die Mitglieder des gemeinnützigen Vereins House of Soul, der von Stalder präsidiert wird und diverse kulturelle Veranstaltungen organisiert. Da man nichts überstürzen wollte, beschloss man das Festival in mehreren kleinen Etappen und Schritt für Schritt aufzubauen. Und eigentlich wäre der grosse Sprung vom kleinen familiären Event im privaten Garten zur Grossveranstaltung auch erst in zwei Jahren geplant gewesen. «Doch der Erfolg und die positiven Rückmeldungen waren so überwältigend, dass wir beschlossen, den Schritt schon dieses Jahr zu wagen.» Diese Art, Chancen beim Schopf zu packen und auch einmal ein Risiko einzugehen, ist bezeichnend für Stalders Lebensweg.
Zielstrebigkeit und Disziplin
Der Arboner kam als Kind in die Schweiz. Gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei Geschwistern musste die Familie aus Kolumbien fliehen. Ohne Sprachkenntnisse und in einer fremden Umgebung war er, wie er sagt, früh gezwungen, eigenständig durchs Leben zu gehen. «Ich habe mir alles selbst beigebracht – nicht, weil ich wollte, sondern weil ich musste.» Dieser autodidaktische Ansatz widerspiegelt sich auch in seiner Kunst. Stalder sagt von sich: «Ich bin kein Produkt einer Ausbildung. Ich bin das Ergebnis von 25 Jahren Kampf, Kunst und Disziplin.» So hatte er nie einen «normalen Job» wie Bäcker, Polizist oder Lehrer sondern widmete sein Leben der Kreativität und Kultur. Für ihn gab es nie einen Plan B. Und das in einer Zeit, als Breakdance vieles war, aber bestimmt kein Beruf.

Stalder war sich sein eigenes Vorbild und feilte zielstrebig an seiner Karriere. Heute ist er fünffacher Schweizermeister, Europameister im Breaking (Breakdance), Inhaber einer Tanzschule und Dozent. «Ich darf seit Langem vollständig von meiner künstlerischen Arbeit leben.» Ein Privileg, von dem er weiss, dass es längst nicht allen vergönnt ist. Auch ein Grund, weshalb er die Hip-Hop-Szene mit dem Festival einem breiten Publikum zugänglich machen will.
In nächster Nähe zu den Stars
Um allen einen Besuch zu ermöglichen, kostet ein Festivalticket für Kinder von 6 bis 15 Jahren deshalb bewusst nur 5 Franken. «Meine Mutter hätte es sich früher nie leisten können, uns ein 80-fränkiges Ticket für ein Festival zu kaufen.» Ziel der Veranstaltung ist die aktive Förderung von Künstlern und ihrer Kultur. «Im Gegensatz zu herkömmlichen Veranstaltungen, wo Künstler lediglich für einen einzelnen Auftritt gebucht werden, bietet unser Event den teilnehmenden Künstlern die Möglichkeit, in mehreren Rollen aktiv zu sein.» So geben sie tagsüber Workshops, agieren als Jury-Mitglied, treten abends als Show Act auf – und sind so hautnah erlebbar. «Man kann einem Star wie Cristiano Ronaldo zwar beim Spielen zuschauen, die Chance, einmal mit ihm Fussball zu spielen ist aber gleich null», sagt Stalder und fügt an: «Bei uns ist das anders.» Zu den gebuchten Künstlern gehört unter anderem Samuka aus Brasilien. Der einbeinige Tänzer hat kürzlich die Weltmeisterschaft gewonnen – und zwar nicht in einer Para-Kategorie, sondern im Hauptfeld gegen die besten Tänzer der Welt. «In anderen Sportarten wäre das unvorstellbar», hält er fest. Auch Altersgrenzen werden bewusst gesprengt: «Wir haben zwei elfjährige ‘Wunderkinder’ eingeladen, die auf internationalem Top-Level tanzen.» Stalder weiss: «Viele Menschen assoziieren Hip-Hop oft mit den negativen Klischees, die in den Medien vermittelt werden, wie protzigen Autos, halbnackten Frauen und oberflächlichen Rap-Texten.» Doch die wahre Essenz der Hip-Hop-Kultur seien die Grundwerte Friede, Gemeinschaft, Liebe und Spass.
Festival «COOLtur ReiSEE»
Am 12. Juli startet das Festival auf dem Skatepark um 10 Uhr mit dem «From Kids for Kids»-Battle. Weiter geht es ab 12 Uhr mit Workshops für alle Generationen. Um 14 Uhr kann man sich für das 1vs1 Battle qualifizieren und von 19 bis 22 Uhr drei verschiedenen Live- Konzerten lauschen. Das Finale bildet der «Music Jungle. – einem Jam für alle bis um 1 Uhr.