«Jeder Pilz hat hier seine Aufgabe»
Manuela MüllerBäume erstrahlen in grünen, gelben und roten Farben und das Laub knistert unter seinen Füssen, als Urs Walser den Wegen im Roggwiler Wald entlang läuft. Der Arboner leitet seit Anfang 2013 die Pilzkontrollstelle in seiner Heimatstadt und ist sehr vertraut mit den Wäldern der Region. «Wenn ich heute Vormittag in der Gegend unterwegs bin, weiss ich in etwa, was am Abend während der Pilzkontrolle auf mich zukommt», sagt Walser. Es gebe aber auch Unerwartetes durch jene, die den Tag über in Graubünden durch die Wälder streifen und abends ihre Errungenschaften in Arbon zu Walser in die Kontrolle bringen. «Andere gehen mit dem Hund spazieren, wir mit dem Körbchen», scherzt er. Ausgerüstet mit seinem Weidenkorb, dem Pilzmesser mit integrierter Bürste und reichlich Zeit streift er durch den Wald und hält geduldig Ausschau nach essbaren Pilzarten. «In Mitteleuropa gibt es circa 6’000 bekannte Arten, wovon lediglich 350 essbar sind», erklärt er und ergänzt: «Der Pilz ist etwa das Wichtigste, das bei uns wächst. Er zersetzt zum Beispiel Holz, verarbeitet diesen zu Humus und schafft so wieder neues Leben.»
Faszination Pilz
Der 76-Jährige ist seit 17 Jahren ausgebildeter Pilzkontrolleur und noch immer fasziniert davon, wie vielfältig einsetzbar Pilze sind. «Man verwendet sie beispielsweise in der Chemie oder Medizin zur Herstellung des Antibiotikums Penicilin. Auch Farben werden aus Pilzen gewonnen», erläutert Walser während des Spaziergangs. Auch er greift immer wieder zu Pilzen. Jedoch nicht als Medikament oder Farbe, sondern verwertet diese in Pilzgerichten, die er zusammen mit seiner Frau nach einem erfolgreichen Besuch im Wald zubereitet.

«Jetzt ist zwar die Hochsaison angebrochen, es gibt aber das ganze Jahr über Pilze, die gesammelt werden können.» Walser selbst ist nicht nur mindestens einmal pro Woche in der Region auf Pilzsuche, sondern auch im Pilzverein Appenzell Mitglied. Der Verein habe seit ein paar Jahren einen regelrechten Schub an neuen, jungen Mitgliedern bekommen: «Unser Präsident ist sehr versiert darin, so Werbung für den Verein zu machen, dass auch immer mehr junge Mitglieder Interesse zeigen.»
Mit Bedacht auf der Suche
Auch ausserhalb der Pilzvereine haben einige das Pilze sammeln als entschleunigendes Hobby für sich entdeckt. «Viele, die neu auf Pilzsuche sind, verlassen sich dabei irrtümlicherweise auf Apps, die anzeigen sollen, ob der Pilz geniessbar ist oder nicht. Es gibt aber zahlreiche Pilzarten, die einen giftigen Doppelgänger haben», klärt der Pilzkontrolleur auf. Deshalb rät er «Pilzlern», die nicht in einem Verein sind, ein Pilzbuch zur Hand zu nehmen und anhand von diesem die Pilze zu bestimmen. «Sich in diesem Fall auf eine App zu verlassen, kann seine Tücken haben», betont Walser. Er rät Neulingen dazu, eine kleine Menge an Pilzen, die als gut betrachtet werden, zu sammeln und diese bei der nächsten Pilzkontrollstelle überprüfen zu lassen. «Es macht keinen Sinn, alles zu sammeln, was einem in die Finger kommt. Lieber nimmt man kleine Mengen und kann sich nach der Kontrolle sicher sein, dass die Pilze Verwendung finden.» In seiner Kontrollstelle arbeitet Walser mit einem Formular, auf dem jeder Pilz festgehalten wird – auch die giftigen. «Wenn die giftigen Pilze zum näheren Studium mit nachhause genommen werden, muss der Pilzsammler dafür mein Einverständnis einholen. Der Sammler muss dann sicherstellen, dass die Pilze nicht in falsche Hände gelangen und anschliessend vernichtet werden.» Freigegeben werden in der Pilzkontrollstelle hinter dem Arboner Stadthaus nämlich lediglich Pilze, bei denen sich Walser zu hundert Prozent sicher ist, dass sie beim Verzehr nicht zu Magen- oder Darmbeschwerden oder zu noch schlimmeren Auswirkungen führen können. Konfiszierte Pilze werden vom Kontrolleur wieder in der Natur entsorgt, denn «jeder Pilz hat hier seine Aufgabe».