Kleintierklinik zieht nach Horn
Laura GansnerTrotz des Untersuchungstisches in der Mitte des Raumes und den Tierjahre-Tabellen an der Wand merkt man dem Behandlungszimmer der «Kleintierklinik am See» an, dass es einst für andere Zwecke gebaut wurde. «Die Räumlichkeiten sind eigentlich fürs Wohnen konzipiert», erzählt Gyselle van den Hurk. Dennoch praktiziert die Tierärztin bereits seit über 15 Jahre in diesem Haus in Rorschach, in welchem sie eingemietet ist. Mit ihrem Umzug nach Horn in die Überbauung Aurelia wird sich dies verändern: Die Gewerbefläche im Neubau an der Seestrasse 119 ermöglichen ihr die Gestaltung einer zeitgemässen Klinik, wie van den Hurk betont. Unterdessen könne sie sagen, dass sie sich auf den Neuanfang freue – auch wenn der Standortwechsel nie Teil ihres Plans war.
Stolpersteine auf der Bauverwaltung
Wenn es nach Gyselle van den Hurk gegangen wäre, hätte sie bis zu ihrer Pensionierung in Rorschach weiterpraktiziert. Doch dann erhielt sie «völlig überraschend» im Mai letzten Jahres die Kündigung. Der Liegenschaftsbesitzer wolle das Haus mit Baujahr 1937 renovieren, wie ihr mitgeteilt wurde. Sie hätte gerne eine Lösung mit dem Vermieter gefunden, welche einen Umzug überflüssig gemacht hätte, «doch da war nichts zu machen». Über eine Kundin wurde sie auf die Räumlichkeiten im «Aurelia» aufmerksam und konnte mit der Liegenschaftsbesitzerin SUVA einen Mietvertrag von mindestens 15 Jahren aushandeln. Die vorgegebene Zeitspanne mache auch Sinn, «schliesslich investiert die Versicherungsagentur in den Umbau der Räumlichkeiten zu einer Kleintierklinik». Dass darüber nicht alle glücklich sein würden, sei ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Doch als im Oktober des vergangenen Jahres das Baugesuch der SUVA mit dem Vorhaben «Mieterausbau Kleintierpraxis im EG» auf der Bauverwaltung der Gemeinde Horn auflag, wurden gleich drei Einsprachen eingereicht. Die Einsprechenden, allesamt zukünftige Nachbarn, fürchteten Zweierlei: Einerseits, dass die Kundschaft der Kleintierklinik die Besuchendenparkplätze des Gebäudes für sich in Anspruch nehmen würden. Andererseits, dass Kinder von der Spielwiese direkt in den Operationssaal und dabei verstörende Bilder sehen könnten. Kurz bangte Gyselle van den Hurk um ihr Vorhaben, denn nach ihrem Plan möchte sie mit ihrer Kleintierklinik im Juli nach Horn zügeln. Nach Vermittlungsgesprächen mit den Einsprechenden seien jedoch alle Einsprachen zurückgezogen worden. Aktuell ist das Baugesuch nun beim Kanton, welcher es in letzter Instanz beurteilen muss. Währenddessen geht die Tierärztin bereits weitere organisatorische Schritte.
Kundschaft auf sicher
Da Gyselle van den Hurk in Horn eine höhere Miete für ihre Tierklinik bezahlen muss als noch zuvor, sucht sie aktuell jemanden, der oder die als Hundecoiffeure oder -coiffeuse einen Teil der Räumlichkeiten als Untermieter nutzen würde. «Das hat natürlich auch den Vorteil, dass man einen Teil der Kundschaft des oder der jeweils anderen übernehmen kann», erklärt van den Hurk ihr Vorhaben. Grundsätzlich mache sie sich aber keine Sorgen um neue Kundinnen und Kunden. Die Praxis macht ihre Türen im sich ständig weiterentwickelnden Horn West auf, in welchem mit dem noch bevorstehenden Bau des «Arrivées» bis 2027 rund 230 neue Wohnungen entstehen. Ausserdem ist van den Hurk überzeugt, dass auch die bestehende Kundschaft den Wechsel mitmachen werde, denn: Auch in der Tiermedizin mangelt es an Fachkräften.
Verändertes Berufsverständnis
Gyselle van den Hurk suchte über ein halbes Jahr nach einer Assistenztierärztin. Ein schwieriges Unterfangen. «Viele haben Ansprüche, die ich nicht erfüllen kann», so van den Hurk. Ansprüche, die für sie nie Realität waren, für die nachrückende Generation jedoch Grundvoraussetzung sind: geregelte Arbeitszeiten, Teilzeitstellen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Berufsverband Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) ordnet die Beobachtung von van den Hurk ein. Auf Anfrage heisst es, dass es nicht direkt weniger Tierärztinnen und Tierärzte als früher gebe, dass jedoch gesellschaftliche Veränderungen dennoch zu einem Fachkräftemangel führten. Einerseits durch die bereits erwähnte Zunahme an Teilzeitarbeit, «was einer generellen Entwicklung in der Gesellschaft entspricht», heisst es von Seiten der GST. Andererseits hielten immer mehr Menschen Haustiere, womit die Nachfrage nach tierärztlichen Dienstleistungen zunehme. Die GST fordert deshalb mehr Studienplätze in der Veterinärmedizin. Aktuell sind es 170 Plätze pro Jahr. Im Mai 2023 wurde deshalb eine Interpellation mit ebendieser Forderung im Nationalrat eingereicht, doch der Bundesrat sieht sich nicht in der Verantwortung zu handeln.
Bund hält sich raus
Der Bundesrat hält in seiner Antwort vom August 2023 auf die Interpellation «Massnahmen gegen den Nachwuchs- und Fachkräftemangel in der Tiermedizin» fest, dass dies ein vielschichtiges Thema sei, «das nicht nur die Zahl der Ausbildungsplätze betrifft, sondern auch die Attraktivität der Arbeitsbedingungen.» Beides könne er nicht beeinflussen: Weder verfüge er über die Kompetenzen, eine Erhöhung der Studierendenzahlen anzuordnen, noch habe er in Bezug auf die Arbeitsbedingungen «keine Handlungskompetenzen». Er verweist dabei zurück auf die GST, welche «das Problem erkannt und Richtlinien ausgearbeitet hat.» Für die GST sei diese Antwort unbefriedigend, schreibt der Verband in einer Medienmitteilung. Weitere Schritte sind noch keine kommuniziert. Vorab bleibt es also Aufgabe der Tierärztinnen und Tierärzte, sich mit dem Fachkräftemangel zu arrangieren. Gyselle van den Hurk kann diesbezüglich aufatmen: Sie hat eine Assistenztierärztin gefunden.