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Lange Warteliste im «Gartenhof»

Seit August ist Markus Bittmann Vollzeit als Leiter des «Lebensraums Gartenhof» in Steinach tätig. Im Interview spricht er über seine intensive Einarbeitungszeit, die neue Teamkultur und die Stellenstreichungen im Kantonsspital St. Gallen

Kim Berenice Geser

Markus Bittmann, Sie sind seit April Leiter des «Gartenhofs» in Steinach. Anfangs noch in einem 20 Prozent-Pensum, seit August Vollzeit. Wie war der Start?

Ich bringe einen grossen Erfahrungsrucksack mit. Dennoch war ich anfangs überwältigt, von den anstehenden Aufgaben. Gemeinsam mit dem Team und dem Beirat mussten wir in extrem kurzer Zeit vieles neu organisieren.

Welche Punkte umfasste diese Neuorganisation?

Wir brauchten dringend neue Sicherheits-, Notfall- und Medikationskonzepte.

Aber diese Konzepte sind doch im täglichen Betrieb unabdingbar und der Neubau des «Lebensraums Gartenhof» wurde erst 2021 eingeweiht. Man sollte folglich davon ausgehen können, dass diese Konzepte auf dem neusten Stand sind. Wo liegt die Ursache für diese Revision?

Vermutlich genau in dieser Neueröffnung. Die Erweiterung des Betriebs, der bis anhin nur das Betreute Wohnen umfasste, hin zu einem Pflegeheim war nicht optimal strukturiert. In allen Bereichen, die ein modernes Pflegeheim heute erfüllen muss, war Nachholbedarf. Deshalb hat der Kanton besagte Konzepte auch explizit eingefordert.

Der «Gartenhof» hat eine turbulente Zeit hinter sich. Vor Ihrem Stellenantritt wurde die Leitung ad interims erst von Gemeinderat Markus Lanter und danach von Gemeindepräsident Michael Aebisegger geführt. Davor war Andrea Knöpfel die langjährige Hausleiterin. Sie fiel im November 2022 krankheitsbedingt aus. Gehen diese Versäumnisse auf sie zurück?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe meine Vorgängerin nie getroffen und möchte deshalb diesbezüglich auch keine Mutmassungen anstellen.

Unter Andrea Knöpfel kam es 2022 auch zu Kündigungen von Mitarbeitenden, welche dagegen Rechtsmittel ergriffen. Wie sieht die Sachlage hier aktuell aus?

Ich kenne die Details dieser Rechtsfälle nicht. Im Bezug auf die Auflösung von Arbeitsverhältnissen gibt es mit Blick auf die Vergangenheit wohl noch Verbesserungspotenzial unsererseits. Wir hatten aufgrund der besagten Vorfälle auch die «Unia» im Haus. Die geäusserten Vorwürfe waren jedoch sehr pauschal gehalten. Wir haben im Austausch mit der Gewerkschaft deshalb angeboten, die Sachlage in einem persönlichen Gespräch mit den betroffenen Personen aufzuarbeiten. Bisher haben wir aber noch nichts gehört. Mir ist es ein grosses Anliegen, dass wir einen fairen Umgang mit allen Beteiligten pflegen.

Solche Vorfälle haben einen imensen Einfluss auf die Teamkultur. Das dürfen Sie in Ihrer Anfangszeit zu spüren bekommen haben.

Das war tatsächlich eine der grössten Herausforderungen: Das Team zusammenzuschweissen. Ich denke aber, das ist uns gelungen.

Woran machen Sie das fest?

Mit dem neuen Führungsteam, bestehend aus den Teamleitungen Pflege, Qualitätsmanagement, Ausbildung und Planung, Küche, Hauswirtschaft und Administration haben wir Hierarchien abgebaut und eine Kultur des Mitwirkens initiiert. In diesem Prozess werden wir noch bis Ende Jahr von Mirjeta Spirig und Esther Baumann von der «spirix care» unterstützt, die uns in diesem Jahr während der Umstrukturierung begleitet haben. Wir streben eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit an, in der sich Mitarbeitende mit ihren Ideen und Anregungen einbringen dürfen und sollen. Denn im Zentrum unserer Arbeit stehen die Bewohnenen, nicht die einzelnen Bereiche. Wir alle tragen unseren Teil zu einem guten Arbeits- und Wohnklima bei. Um unsere Bemühungen diesbezüglich zu überprüfen und zu festigen, planen wir im kommenden Jahr auch eine professionelle Mitarbeiterbefragung. Diese führt die Terzstiftung durch, welche sich auf solche Dienstleistungen spezialisiert hat.

Markus Bittmann, Leiter des «Lebensraums Gartenhof» ist begeistert vom Neubau in Steinach.
Markus Bittmann, Leiter des «Lebensraums Gartenhof» ist begeistert vom Neubau in Steinach.
© Kim Berenice Geser

Ein weiterer Indikator für die Qualität eines Arbeitgebers sind die Anzahl Bewerbungen. In der Pflege ist die Situation auf dem Stellenmarkt durch den Fachkräftemangel jedoch noch einmal verschärft. Wie erleben Sie das im «Gartenhof»?

Wir haben tatsächlich keine Probleme bei der Rekrutierung und erhalten viele Bewerbungen auf unsere Stellen. In den letzten Monaten konnten wir das bestehende Team mit qualifizierten Fachpersonen ergänzen. Wir haben neu eine Stelle Qualitätsmanagement und eine Fachverantwortung Ausbildung/Planung/ IT/Materialwirtschaft. Im November wurde zudem die Leitung Hauswirtschaft neu besetzt. Aktuell sind keine HF-Stellen in der Pflege offen. Im Bereich der Pflegeassistenzen ist ein Ausbau geplant. Wir arbeiten hier unter anderem mit geflüchteten Menschen zusammen, die uns von der Fachstelle Integration oder der Arbeitsintegrationsstelle Repas vermittelt werden. Dieses Engagement wollen wir unbedingt beibehalten. In absehbarer Zukunft sollen jedoch auch noch Zivildienstleistende dazukommen.

Wie sieht es beim Nachwuchs aus?

Bei den Auszubildenden sind wir noch nicht ganz auf Kurs. Derzeit haben wir drei Lehrstellen in der Pflege. Ziel wär es es, auch jeweils eine in der Hauswirtschaft und in der Administration anbieten zu können.

Warum ist das bisher nicht gelungen?

Hierfür gibt es mehrere Gründe. Bisweilen ist zwar das Interesse da, es fehlt den Bewerbenden aber an der nötigen schulischen Leistung. Ein anderer Faktor ist unsere Öffentlichkeitsarbeit. Hier machen wir schon einiges für die ältere Generation. Bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen herrscht aber noch Aufholbedarf.

Der Verband Curaviva Thurgau machte Anfang dieses Jahres mit der Kampagne «Influence das Leben älterer Menschen» auf sich aufmerksam. Dazu gehörten unter anderem humorvolle Videoclips mit Szenen aus dem Pflegealltag. Wäre das auch etwas für den «Gartenhof»?

Solche Kampagnen sind Sache der Dachverbände. Unsere Aufgabe ist es, die Jungen in unsere Häuser zu locken. Hierfür müssen wir mit den Schulen in unserer Umgebung zusammenarbeiten, Klassenbesuche, Zukunftstage und Tage der offenen Tür anbieten. Aber auch unsere Räume Vereinen, dem örtlichen Stammtisch oder Spielgruppen zur Verfügung stellen. So kommen wir mit dem Dorf in Kontakt und können uns als guter Arbeitgeber präsentieren. Wir zahlen gute Löhne, haben eine hervorragende Infrastruktur und eine hervorragende Küche (schmunzelt). Das wollen wir vermehrt nach aussen tragen.

Neben der intensivierten Öffentlichkeitsarbeit: Welche Zukunftspläne haben Sie sonst noch?

Wir wollen eine Tagesbetreuung in der Pflege anbieten und unser Aktivierungsprogramm ausbauen und öffentlich zugänglich machen.

Beides ist mit finanziellen Aufwänden verbunden. 2022 machte der «Gartenhof» Schlagzeilen, weil er im Vorjahr eine Million Franken Verluste schrieb. Das war doppelt so viel, wie budgetiert. Wie sieht die finanzielle Lage Stand heute aus?

Wir haben ein volles Haus und sind finanziell auf Kurs. Faktisch haben wir sogar die unangenehme Situation einer langen Warteliste. Fast täglich besuchen Interessierte unser Haus und alle müssen wir vertrösten.

Markus Bittmann setzt auf direkte Gespräche: «Meine Bürotür steht immer offen.»
Markus Bittmann setzt auf direkte Gespräche: «Meine Bürotür steht immer offen.»
© Kim Berenice Geser

Jedes Jahr berichten die Gemeinden über die steigenden Kosten im Gesundheitssektor. Dies wird sich auch im kommenden Jahr nicht ändern. Können Sie schon etwas zu den Pflege- und Betreuungstaxen für das Jahr 2024 sagen?

Die Tarife sind aktuell im Kanton in Verhandlung. Ich hoffe auf eine gewisse Korrektur nach oben, denn auch wir sind von den steigenden Kosten bei Strom, Wasser und Lebensmittel betroffen. Hier sind wir bereits mit einem Anstieg von fünf bis zehn Prozent konfrontiert. Eine Anpassung der Tarife um drei bis vier Prozent würde uns mittelfristig auf den Weg zu einer schwarzen Null bringen. Ob diese Anpassung auch Auswirkungen auf den Selbstbehalt der Pflegekosten haben wird, kann ich derzeit noch nicht sagen.

Bereiten Ihnen die steigenden Kosten Sorgen bezüglich der Wirtschaftlichkeit des «Gartenhofs»?

Nein, denn der Bedarf an unserem Haus ist ganz klar da. Wir bieten ein gutes Konzept mit Betreutem Wohnen und Pflege. Hier hat die Gemeinde Steinach die Entwicklung frühzeitig erkannt und entsprechend die Weichen gestellt.

Ganz anders sieht das aktuell in den Spitalverbunden des Kantons St. Gallen aus. Anfang dieser Woche demonstrierten rund 600 Mitarbeitende des Kantonsspitals St. Gallen gegen den geplanten Stellenabbau.

Ich kenne das Kantonsspital aus meiner Zeit als CEO des Gesundheitszentrums Appenzell sehr gut. Die Mitarbeitenden dort machen einen super Job und büssen jetzt das Nichtstun des Kantons und der alten Führungsetage der letzten zwanzig Jahre. Diese Kritik bezieht sich nicht auf die aktuelle Führungscrew. Neben der ohnehin schon angespannten Lage aufgrund des Personalmangels in der Pflege, entsteht jetzt durch die Stellenstreichungen noch mehr Druck. Die Profiteure sind am Schluss die Privatkliniken, die sich auf jene Fälle mit einer lukrativen Fallpauschale spezialisieren.

Dabei hat die Schweizer Stimmbevölkerung im November 2021 die Pflegeinitiative angenommen, welche die personellen Engpässe im Gesundheitswesen entschärfen sollte.

Die Umsetzung dieser Initiative ist eine Katastrophe. Sie geht viel zu lange. Denn der Bund stellt die benötigten Gelder erst dann zur Verfügung, wenn die Kantone ihre entsprechenden Massnahmen definiert haben. Doch wie viele politische Prozesse dauert das seine Zeit. Alle sagen, sie seien auf dem Weg. Ich sehe davon aber noch nichts. Das ist unbefriedigend. Ich hätte mir Sofortmassnahmen gewünscht, um zeitnah eine Veränderung bewirken zu können.

Zur Person

Markus Bittmann wurde 1967 in Arbon geboren. Der «Seebueb» machte seine KV-Lehre bei der FFA Altenrhein und arbeitete im Anschluss 20 Jahre lang in der Industriebranche. 2000 wechselte er in leitender Funktion in die Versicherungsbranche, um zehn Jahre später den Sprung auf die andere Seite zu wagen, erst als kaufmännischer Leiter einer Privatklinik und danach als CEO des kantonalen Gesundheitszentrums Appenzell. Für die Leitung des «Lebensraums Gartenhof» bewarb er sich einerseits, um auch beruflich wieder in seine Heimat zurückzukehren, aber auch um wieder näher an der Basis arbeiten zu können. «In der strategischen Führung bist du in der Regel weit weg von deinen Mitarbeitenden, den Bewohnenden und den Angehörigen», sagt Bittmann dazu.

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