«Natürlich war es ein Risiko»
Kim Berenice GeserDie Backsteinwände im weitläufigen Verkaufsraum erzählen die Geschichte des Hamels. Sie sind eine Hommage an den Pioniergeist der Saurer-Ära. In den Regalen davor liegen unzählige Brillen in allen möglichen Farben und Formen, hergestellt in ausgewählten Brillenmanufakturen. Mainstream-Marken wie «Ray-Ban» und «Oakley» sucht man bei «art of optic» vergeblich. Inhaber Andreas Hablützel und Geschäftsführer Damian Eggler haben irgendwann entschieden, sie aus dem Sortiment zu nehmen. Ein gewagter Schritt und gleichzeitig ein Bekenntnis an die Designerfirmen, mit denen die beiden langjährige Geschäftsbeziehungen pflegen. «Für die grossen Marken sind wir ein kleiner Fisch, für die Nischenproduzenten dafür umso grösser», begründet Hablützel. Sich vom Gros abzusetzen, einzigartig zu sein und vor allem bleibende Verkaufserlebnisse zu schaffen ist für alle im Detailhandel tätigen Unternehmen je länger je essentieller – «art of optic» ist hier keine Ausnahme. Passé sind die Zeiten, als Optiker noch das Monopol auf den Verkauf von Lese- und Sonnenbrillen hatten. Heute gibt es diese an jedem Kiosk zu kaufen. Dazu kommen der Druck durch Billiganbieter und natürlich den Onlinehandel, welcher der ganzen Detailhandelsbranche seit Jahren zusetzt. Um dem allem Stand halten zu können, fällte Hablützel vor neuen Jahren einen Entscheid, der ihn um Kopf und Kragen hätte bringen können.
Vertrag ist Vertrag
Den Anfang nahm diese Geschichte mit dem Umzug des Geschäfts von der Altstadt in das neu gebaute Einkaufszentrum Novaseta. Das war 1993, sechs Jahre nachdem sich Hablützel selbstständig gemacht hatte. In den ersten zehn Jahren im neuen Lokal blühte das Geschäft. Zu Spitzenzeiten beschäftigte der Optiker zwölf Mitarbeitende. Zum Vergleich: Heute sind es noch die Hälfte. Doch dann stagnierte der Betrieb zusehends. Mit dem Aufblühen des Onlinehandels und dem Vormarsch der Billiganbieter wurde der Standort in der Novaseta in einer Ecke des oberen Stocks immer mehr zum Problem. «Wir konnten kaum Neukunden akquirieren, weil wir dort keine Laufkundschaft hatten», erklärt Hablützel. Überspitzt gesagt, fand sie nur, wer sie suchte.
«Ich war noch nie der Zahlenmensch. Ich bin der Kreative, ich habe Visionen.»
Gut zwanzig Jahre nach dem Einzug in der Novaseta verzeichnete der Betrieb Umsatzrückgänge von rund 20 Prozent, während die Miete gleichbleibend hoch war. Und dann stiess Hablützel auf die Ladenfläche im frisch renovierten Hamel-Gebäude. «Ich stand hier drin, alles noch im Rohbau, und hatte eine Vision vor Augen. Ich wusste genau, wie ich diesen Raum gestalten wollte», erinnert er sich. Eine Woche mit schlaflosen Nächten später offenbarte er seinem Personal: «Wir schliessen die Filiale in der Novaseta und ziehen in den Hamel um.» Dabei gab es nur ein Problem: Hablützels Mietvertrag lief noch zwei Jahre. «Mein damaliger Vermieter hatte weder ein Ohr für die veränderte wirtschaftliche Lage noch Interesse daran, mich früher aus dem Vertrag zu entlassen», sagt Hablützel. An seinem Entschluss änderte dies jedoch nichts, wenn überhaupt bestärkte es ihn nur. Und so zahlte er nach dem Umzug in den Hamel 2016 zwei Jahre lang an zwei Standorten Miete.
Es braucht Mut zum Risiko
Damien Eggler war damals seit drei Jahren bei Hablützel angestellt. Heute ist er Geschäftsführer und wird, so der Plan, den Betrieb übernehmen. Die Weichen für diesen Prozess hat der Inhaber bereits mit dem Umzug gelegt, als mit dem neuen Standort auch ein neuer Name einherging: Aus «Hablützel Optik» wurde «art of optic» – «mein Nachfolger soll das Geschäft nicht unter meinem Namen führen müssen», meint er dazu. Vor drei Jahren folgte dann die Umwandlung von der Einzelfirma in eine GmbH.

Auf die Frage, ob er 2016 gleich entschieden hätte, wie Hablützel, antwortet Eggler: «Ich weiss nicht, ob ich damals den Mut dazu gehabt hätte. Aber aus heutiger Sicht war es der einzig richtige Entscheid.» Die Vorteile wiegen die einstmalige massive finanzielle Mehrbelastung inzwischen auf. «Wir haben hier täglich Laufkundschaft, können unsere Öffnungszeiten frei gestalten und haben unsere Umsatzeinbussen von damals wettgemacht», führt Eggler aus. «Natürlich war es ein Risiko», gibt Hablützel zu. Als Einzelfirma hätte er damals Haus und Hof verlieren können. «Aber ich war noch nie ein Zahlenmensch, ich bin der Kreative, ich habe Visionen.» Und er wusste, dass er diese würde umsetzen können. Warum? «Weil ich hart arbeite und auch nach 37 Jahren immer noch dieselbe Leidenschaft für meinen Beruf habe.» Wenn er Gläser schleife, habe er das Gesicht der Person vor sich, für die er sie fertige. «Ich war überzeugt, unsere Kundinnen und Kunden werden den Weg mit uns gehen.» – Er sollte Recht behalten.
Dieser Beitrag ist im Rahmen der Wirtschaftsbeilage 2025 erschienen.