zum Inhalt springen

·

Zur Artikelübersicht

Selbst ist die Frau

«Die Kraft kommt nicht von der körperlichen Fähigkeit, sondern von einem unbesiegbaren Willen.» Dieses Zitat von Ghandi hat sich Bertha «Berty» Geugel zu ihrem 102. Geburtstag ausgesucht und es könnte treffender nicht sein.

Kim Berenice Geser

Berty Geugel geht gebückt, gestützt auf ihren Rollator, langsam und vorsichtig. Doch als sie ihren Besuch erblickt, spielt ihr fortgeschrittenes Alter nur noch die zweite Geige. Ihre Freude ob der Geburtstagseinkehr von Stadtrat Didi Feuerle und der «felix.»-Reporterin hat eine jugendliche Leichtigkeit und ihr Händedruck eine Kraft, die überrascht. «Ei, wie schön ist das!», ruft sie aus und bittet ihre Gäste zu Tisch. Dass ihr «Götti-Bueb» Johannes Schweizer und seine Frau Susanna den Besuch bewirten, lässt sie kaum still sitzen. Im Herzen ist und bleibt Berty Geugel eben Gastwirtin aus Leidenschaft. Davon zeugen auch die hölzernen Erinnerungsteller und -Tafeln an der Wand im Esszimmer, die mit den Stationen ihres langjährigen und erfolgreichen gastronomischen Wirkens graviert sind. «Ich würde heute noch gerne kochen», verrät sie. Ihr Lieblingsessen sind Kalbsleberli mit Rösti. Doch die kann sie heute nur noch auswärts geniessen, das lange Stehen am Herd ist keine Option mehr. Dass ihre Mobilität nicht mehr das ist, was sie mal war, ist für Geugel allerdings das kleinere Übel, als wenn sie geistig nicht mehr fit wäre. «Dass ich mich mit den Menschen noch unterhalten und austauschen kann, ist mir viel wichtiger, als die Beweglichkeit.» Wobei sie auch diesbezüglich ihrem Geburtstagszitat mit einem ganz speziellen Fitnessprogramm Rechnung trägt.

Wo ein Wille ist ...

Seit 37 Jahren lebt sie im obersten Stock eines Arboner Mehrfamilienhauses ohne Lift. Die Treppen steigt sie noch heute selbst nach oben. «Aber nicht mehr ohne Begleitung», fügt sie schmunzelnd an, ergänzt aber sogleich: «Ich brauche auch noch keine Spitex.» Ankleiden könne sie sich immer noch selbst. Nur bei festlichen Kleidern braucht sie jemanden, der ihr den Reissverschluss am Rücken zuzieht. Für all die anderen alltäglichen Aufgaben, die sie nicht mehr alleine bewältigen kann, hat sie ein Netz von wundervollen Helferinnen und Helfern. Es sei ein Glück, so viele liebe Menschen in ihrem Umfeld zu haben, die sie unterstützen. Dazu gehören auch ihr «Götti-Bueb» –  selbst bereits im rüstigen Alter von 82 Jahren – und Frau Susanna, die Geugel längst auch «Gotteli» nennt. Die Planung ihrer Geburtstagsfeier war jedoch Sache der Chefin. «Ich liebe das», schwärmt sie. Von der Einladung auf ausgesuchtem Briefpapier bis zum Festprogramm mit Essen im «Seehuus», Musik und dem Besuch von Pfarrer Michael Röll war alles tadellos organisiert. Für die Unterhaltung sorgte die Jubilarin, die Augenzeugen zufolge die «am geschmackvollsten gekleidete Person im festlichen Kreis» war, gleich selbst: Sie führte einen Sketch auf, in dem sie nach 28 Jahren als Witwe nun doch noch einen Mann für den Lebensabend sucht. Nachdem sich zahllose Verehrer einen Korb holten, eroberte ein 60-jähriger Jungspund mit einem Bouquet aus Rosen ihr Herz. Sie kichert verschmitzt bei der Erzählung. Hört man ihr so zu, zweifelt man kaum daran, dass ihr Wille ihr auch noch einen 103. Geburtstag bescheren wird. Berty Geugel plant indes nicht so weit voraus, sondern freut sich an jedem Tag, der ihr geschenkt wird. «Ich hatte ein gutes Leben und bin zufrieden.»

Anzeigen