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«Soziale Medien sind ein Dauerthema»

Der 31-jährige Sekundarlehrer Hakan Kilbüker kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Neu ist er auch Mitglied der Primarschulbehörde. Sein Fazit: «Wir haben tolle Kinder und Jugendliche in Arbon.» Als IT-Fachmann möchte er im Klassenzimmer ein Bewusstsein für die Chancen und Gefahren der sozialen Medien schaffen.

Andrea Vonlanthen

Sie haben vor 15, 20 Jahren in Steinach und in Arbon die Schule besucht. Was hielten die Lehrer von Ihnen?

Hakan Kilbüker: In der Primarschule galt ich als etwas faul, vielleicht auch als Schlitzohr. In der Sek hat sich das dann stark gewandelt.

Lehrer war früh Ihr Traumberuf?

Schon immer. Auch wenn ich in der Primarschule nicht die besten Noten hatte, genoss ich die Schulzeit sehr. Ich hatte auch immer sehr prägende Lehrpersonen.

Lag das auch an den vielen Ferien in der Schule?

Nein, an den 13 Wochen unterrichtsfreier Zeit lag es bestimmt nicht.

Doch warum brauchen Sie als Sekundarlehrer 13 Wochen Ferien?

Die unterrichtsfreie Zeit – nicht die Ferienzeit! – braucht es für die Vorbereitung, die Nachbereitung und auch die Planung von allem Ausserschulischen, also Lager, Projektwochen oder Berufswahlanlässe. Mir bleiben in der Regel etwas weniger als fünf effektive Ferienwochen. Dennoch schätze ich die grosse Flexibilität in der unterrichtsfreien Zeit.

Sie stehen seit sechs Jahren im Arboner Schuldienst. Immer noch hell begeistert?

Sehr! Ich erlebe meinen Beruf als sehr sinnstiftend und erfüllend. Wir haben tolle Kinder und Jugendliche in Arbon. Ich kann mir keinen schöneren Beruf vorstellen!

«Renitente Eltern beschäftigen die Schule, aber sie machen zum Glück wirklich nur einen kleinen Teil aus.»

Und die Schattenseiten Ihres Berufes?

Es gibt auch Herausforderungen. Einige Lehrpersonen klagen über eine Überlastung oder über die hohen Anforderungen. Im Unterricht fehlt manchmal die Zeit, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Beispielsweise wenn ich merke, dass der eine Schüler oder die andere Schülerin noch mehr Unterstützung brauchen würde.

Sind im neuen Schuljahr alle Stellen an den Arboner Schulen mit qualifiziertem Personal besetzt?

An der Sek sind nach meinem Wissen alle Stellen qualifiziert besetzt. An der Primarschule gibt es einige wenige Lehrpersonen, die eine hohe pädagogische Eignung mitbringen, aber nicht das traditionelle Lehrdiplom.

Und diese Stellen werden nur provisorisch besetzt?

Diese Lehrpersonen werden befristet für ein Jahr angestellt. Sie erhalten neben der Unterstützung durch die Schulleitung auch ein internes Coaching durch eine erfahrene Lehrperson.

Wie könnten noch mehr begabte Leute für den Schuldienst gewonnen werden?

Gerade diese motivierten, befristet angestellten Lehrpersonen mit hoher pädagogischer Eignung könnten für ein Quereinsteigerstudium an der Pädagogischen Hochschule gewonnen werden. Des Weiteren müssen wir für gute Rahmenbedingungen an den Schulen sorgen und die Attraktivität des Berufs steigern.

Im schulischen Alltag gelten klare Regeln, sagt Hakan Kilbüker: «Bei uns an der Schule müssen Handys ausgeschaltet und im Rucksack verstaut sein.»
Im schulischen Alltag gelten klare Regeln, sagt Hakan Kilbüker: «Bei uns an der Schule müssen Handys ausgeschaltet und im Rucksack verstaut sein.»
© Laura Gansner

Im Jahresbericht Ihrer Schule steht: «Insbesondere die steigenden Anforderungen im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern stellt die Schule vor grosse Herausforderungen (Schulabsentismus, Probleme im Elternhaus).» Auch die Sonntagspresse schreibt, das Schulschwänzen habe stark zugenommen. Ein Problem auch in Arbon?

Schulabsentismus nimmt von Jahr zu Jahr an Bedeutung zu. Das merke ich im Austausch mit der Schulleitung und auch der Schulsozialarbeit. Es sind nicht sehr viele Fälle, aber sie machen doch deutlich, dass es in gewissen Familien grössere Probleme gibt.

Die Ursache des Schulschwänzens liegt oft in der Familie?

Es ist nicht unbedingt die Angst vor der Schule. Es können auch Umstände im privaten Umfeld sein, die dann auch Auswirkungen auf die Schule haben.

Wie gehen Sie um mit dem Schulschwänzen?

Wir haben an der Sek ein Eskalationsschema. Als erstes interveniert die Klassenlehrperson. In einem zweiten Schritt kommt die Schulsozialarbeit dazu. Man sitzt mit den Eltern zusammen. Und in einer dritten Stufe werden die Schulleitung oder weitere Fachstellen involviert. Durch die enge Zusammenarbeit können meist früh Erfolge erzielt werden.

Wie zeigen sich die Probleme im Elternhaus am meisten?

Die allermeisten Eltern machen einen super Job. Sie begegnen auch der Schule mit Wertschätzung und Wohlwollen. Doch es gibt einen kleineren Anteil, bei dem einiges schiefläuft. Da kann es um belastete Eltern-Kind-Beziehungen, Vernachlässigung und anderes mehr gehen.

«An den Schulen sollen die nötigen Rahmenbedingungen vorhanden sein, damit unsere Schülerinnen und Schüler auf die Welt von morgen vorbereitet werden können.»

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie hören, dass die Securitas wiederholt wegen renitenter Eltern in ein Schulhaus gerufen wird?

Es stimmt mich nachdenklich. Renitente Eltern beschäftigen die Schule, aber sie machen zum Glück wirklich nur einen kleinen Teil aus. Auch wir im Reben 4 rufen übrigens die Securitas, aber nur, um bei der Abschlussparty zu prüfen, wer da reingeht ...

In einem neuen Positionspapier fordert die FDP eine Primarschule ohne Fremdsprachen und das bessere Erlernen der eigenen Sprache. Auch die integrative Schule ist ihr ein Dorn im Auge. Verstehen Sie die Kritik?

Als Lehrperson kann ich die Kritik grundsätzlich nachvollziehen, wenn man sagt, der Schule werde zu viel aufgebürdet. In diesem Papier habe ich auch gelesen, dass Medienanwendungen keinen Platz finden sollen, bevor man lesen und schreiben kann. Die Realität ist eine andere. Medienkompetenz ist heute eine Lebenskompetenz.

Was bringt der frühe Fremdsprachenunterricht wirklich?

Ich als Lehrperson in Mathe und Naturwissenschaft darf mich dazu fast nicht äussern. Aber im Kollegium höre ich schon immer wieder kritische Stimmen dazu, gerade wenn es um das Französisch geht.

Zur Medienkompetenz: Welche Rolle spielen die sozialen Medien im Alltag der Jugendlichen?

Eine sehr grosse! Sie sind ein Dauerthema. Die sozialen Medien dienen den Jugendlichen als Plattform zur Kommunikation, Selbstdarstellung und Unterhaltung. Deshalb ist es zentral, dass wir im Unterricht nicht nur «mit» Medien, sondern auch «über» Medien lernen. Und ein Bewusstsein für die Chancen und Gefahren schaffen.

Hakan Kilbüker räumt im Gespräch mit «felix.» mit dem Vorurteil der 13 Wochen Ferien auf: «Als Lehrer bleiben mir in der Regel weniger als fünf effektive Ferienwochen.»
Hakan Kilbüker räumt im Gespräch mit «felix.» mit dem Vorurteil der 13 Wochen Ferien auf: «Als Lehrer bleiben mir in der Regel weniger als fünf effektive Ferienwochen.»
© Laura Gansner

Wo wird vor allem mit Medien gelernt?

Anwendungskompetenzen werden fächerübergreifend angeeignet, in dem die Lernenden verschiedene digitale Werkzeuge zur schulischen Arbeit einsetzen. Im Fach «Medien und Informatik» wird sowohl die informatische Bildung als auch die Gestaltung und Analyse von Medienbeiträgen thematisiert.

Was sollen Ihre Schülerinnen und Schüler über Medien wissen?

Einiges! Neben der Reflexion der eigenen Nutzung sind auch Themen wie «Fake News» und Bildmanipulation von Bedeutung. Bei der Vermittlung verfolgen wir einen handlungsorientierten Ansatz. Wer selbst einen Medienbeitrag produziert oder ein Bild manipuliert, kann die Absicht und Wirkung besser einordnen.

Welche Gefahren bringen Sie zur Sprache?

Nebst den Gefahren wie Sexting oder Cybermobbing lernen die Schülerinnen und Schüler, sich selbst zu reflektieren. Was macht es mit mir, wenn ich drei oder vier Stunden pro Tag am Smartphone bin? Wie funktionieren die Geschäftsmodelle von sozialen Medien?

Wie regeln Sie den Gebrauch des Handys im Schulalltag?

Bei uns an der Schule müssen Handys ausgeschaltet und im Rucksack verstaut sein. Sie dürfen auch auf dem Pausenplatz nicht benutzt werden. Im Schullager müssen sie die Handys zu gewissen Zeiten ausschalten und abgeben.

Bis zu welchem Alter sollte das Handy kein Thema sein?

Ich habe aus Gesprächen mit Eltern herausgefunden, dass sie das Handy beim Eintritt in die Oberstufe abgeben. Das ist für mich ein guter Richtwert.

«Alle Schülerinnen und Schüler sollen eine hochwertige Bildung bekommen.»

Sie sind Seklehrer, aber auch Behördenmitglied der Primarschule. Wie lebt es sich mit zwei Herzen in der Brust?

Beide Aufgaben sind sehr spannend. Ich lebe mit den beiden Herzen sehr gut. An der Primarschule beschäftige ich mich vor allem im Bereich Medien. Ich habe das Ressort IT übernommen, weil ich aus der Sek diese Erfahrung mitbringe.

Welche Schwerpunkte setzen Sie in diesem Ressort?

Wir erarbeiten auf der Basis pädagogischer, technischer und wirtschaftlicher Überlegungen eine Strategie, wie unsere IT-Organisations- und Infrastruktur weiterentwickelt werden soll. Dazu gehören nebst der Evaluation von geeigneter Hard- und Software auch interne Unterstützungs- und Weiterbildungsangebote. Das Ziel: An den Schulen sollen die nötigen Rahmenbedingungen vorhanden sein, damit unsere Schülerinnen und Schüler auf die Welt von morgen vorbereitet werden können.

Arbon hat nach wie vor den höchsten Steuerfuss im Kanton. In dieser Situation hat das Stimmvolk der Primarschule gerade eine Steuererhöhung verweigert. Welchen Schluss ziehen Sie daraus?

Diese Rückmeldung aus der Bevölkerung muss man akzeptieren. Wir werden weiterhin sparsam mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umgehen und transparent aufzeigen, was es braucht, um finanziell gesund zu bleiben.

Wenn die Einnahmen ausbleiben, muss gespart werden.

Das Commitment der Schulbehörde war auch schon vor meiner Zeit, dass an der Schulqualität nicht gespart werden darf. Alle Schülerinnen und Schüler sollen eine hochwertige Bildung bekommen.

Welches ist die wichtigste Aufgabe der Schule?

Hauptaufgabe ist und bleibt die Bildung. Das sind die Grundfertigkeiten wie Lesen, Rechnen und Schreiben, aber auch der Erwerb neuer Fähigkeiten wie Medienkompetenz. Gleichzeitig ist mir die Vermittlung von Werten wie Toleranz, Respekt, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit wichtig. Unsere Kinder sollen in der Schule Raum erhalten, um ihre Sozial- und Selbstkompetenzen weiterzuentwickeln.

Und die wichtigste Aufgabe der Eltern?

Die Kinder zu begleiten, zu erziehen und ihnen Vertrauen zu schenken, damit sie für das eigene Leben gestärkt werden.

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