Von Extremwetter und Systemgrenzen
Laura GansnerEs ist Ende September. Ein rosa blühendes Feld an Echinacea fällt einem ins Auge, wenn man auf das Firmengebäude der A. Vogel AG in Roggwil zugeht. Was auf den ersten Blick idyllisch wirken mag, ist eigentlich ein Zeichen eines besorgniserregenden Wandels. «Um diese Jahreszeit blüht die Wildpflanze normalerweise nicht mehr so schön», kommentiert Andy Suter, CEO der A. Vogel AG. Dass sich die Blühzeit dieser Pflanze immer weiter Richtung Oktober verschiebt, kann direkt mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht werden. Denn als Folge der Temperaturzunahme entwickle sich die Vegetation heute anders als noch vor einigen Jahrzehnten, wie das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz feststellt. Ausserdem würden die Wetterextreme zunehmen; Hitzewellen genauso wie Starkniederschläge. So habe letzteres diesen Frühling dafür gesorgt, dass die erste Salbeiernte des Jahres «abgesoffen» und bei der Ernte bereits verfault war, berichtet Stefan Bauer, Leiter Produktion bei der A. Vogel AG. Auch Andreas Bleiker, Geschäftsleiter der Alpinamed AG, kann ein Lied von den veränderten Wetterlagen singen. Aufgrund längerer Trockenperioden habe sich beispielsweise die Wachstumshöhe des Salbeis merklich verändert: «Es bringt einen schon zum Nachdenken, wenn eine Pflanze, die zuvor 1 Meter hoch wurde, heute noch 40 Zentimeter erreicht.» Beide Unternehmen stehen vor der Herausforderung, mit den sich verändernden Klimabedingungen umzugehen. Und beide sind überzeugt: Will man weiter mit der Natur zusammenarbeiten, muss man sie schützen.
Sinn und Unsinn der Kompensation
Für Andreas Bleiker ist klar: Was die «Alpinamed» der Natur entnimmt, soll ihr auch zurückgegeben werden. Die Abfallprodukte, die während der Produktion entstehen, können zu 80 Prozent zurück in den natürlichen Kreislauf gebracht werden. So werden beispielsweise Alkoholreste aus der Verarbeitung an die ARA Morgental abgegeben, welche diese wiederum als Nährboden für ihre Biomasse verwenden kann. Auch die A. Vogel AG gibt gewisse Reste aus ihren Tinkturen an den Abwasserverband ab. Diese werden unter anderem den Faultürmen zugeführt, wodurch wiederum Wärme und Energie erzeugt werden. «Das ist so quasi unsere CO₂-Kompensation», schmunzelt der Produktionsleiter der A. Vogel AG, Stefan Bauer. Die unterdessen bei vielen Unternehmen anzutreffenden Klimazertifikate für die Kompensation von CO₂-Emissionen sucht man nämlich bei der A. Vogel AG vergebens. Es sei begrüssenswert, dass sich die Wirtschaft mit dem Thema auseinandersetzt, merkt CEO Andy Suter an. Aber: «Ob mit diesen Zertifikaten wirklich CO₂ eingespart wird, ist die grosse Frage.» Für ihn sei der Rummel um die Emissions-Kompensation schon auch ein Politikum. Ähnlich wie der Nachhaltigkeitsbericht, welcher sich zu einem europäischen Standard entwickelt habe. Bei diesem wolle man mitgehen. Suter erklärt: «Wenn man mit Partnern aus 25 Ländern zusammenarbeitet, wird man unterdessen ständig nach einem solchen Bericht gefragt.» Weshalb der Bericht für das Unternehmen erst jetzt ein Thema werde, sei einfach zu begründen: «Für uns sind diese Qualitätsansprüche eine Selbstverständlichkeit.» Auch bei der Alpinamed AG ist der Nachhaltigkeitsbericht ein Thema. Seit 2015 nimmt die Bewertungsplattform EcoVadis die Firma unter die Lupe. Beim aktuellen Ranking wird die Alpinamed AG auf den 94. Prozentrang platziert; 93 Prozent der Unternehmen aus derselben Branche sind tiefer, 6 Prozent höher eingestuft. Eine Auszeichnung, die sich sehen lässt, die jedoch bei genauerem Hinschauen die Limitiertheit solcher Bewertungs-Werkzeuge aufzeigt.
Rankings sagen eben nicht alles
Während die Alpinamed AG in den Bereichen «Umwelt» oder «Arbeits- und Menschenrechte» als fortgeschritten eingestuft wird, erhält sie in der Kategorie «Nachhaltige Beschaffung» nur – in Anführungs- und Schlusszeichen – die Bewertung «gut». Geschäftsführer Andreas Bleiker erklärt dies beispielhaft am Kriterium der Wasserverwendung. Wasser werde in der Produktion teilweise abdestilliert. Nun untersagen die Schweizer Regularien die Wiederverwendung dieses Destillat-Wassers. In der Bewertung durch «EcoVadis» fliesst dieser Wasserverbrauch deshalb negativ ein. Dies, obwohl das Wasser später in den flüssigen Produkten enthalten sei, durch den Zufuhr an die ARA geklärt oder als Giesswasser im Team-Gemüsegarten weiter und wieder verwendet werde. Dies lasse sich in der Bewertung jedoch nicht abbilden, konkludiert Bleiker. «Ich stosse hier an zwei Systemgrenzen.» Einerseits jene des Gesetzgebers und andererseits jene des «Nonsense» einer Dokumentation, welche nie auf alle vorherrschenden Kontexte und komplexen Verstrickungen der spezifischen Produktionsbedingungen eingehen könne. Bleiker geht dabei auch auf den Warentransport in der Branche ein, welcher durch die Arzneimittelregularien vorgegeben sei. So müssen beispielsweise Pflanzen für Arzneimittel zur Qualitätssicherung stets in einem temperierten Transport von A nach B gebracht werden. Die Pflanzen, welche «Alpinamed» für ihre Produkte einsetzt, würden mehrheitlich aus Europa stammen, einige werden aber auch ausserhalb des Kontinents angepflanzt. Dies habe einen einfachen Grund, so Bleiker: «Wir wollen unsere Pflanzen dort anbauen, wo sie zum Wachsen am wenigsten Energie verbrauchen.» Produktionsleiter der A. Vogel AG, Stefan Bauer, fügt diesem Aspekt noch ein weiteres Argument hinzu: Am besten sei es natürlich, wenn der beackerte Boden gleich noch als CO₂-Kompensator dient.
Bis zu den Wurzeln der Firmen
Ihr Gemüse werde von ihren Produzenten nach Bio-Standard in humusreichem Boden angepflanzt, führt Stefan Bauer aus: «Diese Böden sind ein grosses Plus, weil sie Kohlenstoffdioxid binden.» Emissionen werden bei A. Vogel aber auch durch möglichst kurze Lieferwege tief gehalten: 80 Prozent der Felder liegen nicht weiter als 50 Kilometer von der Produktionsstätte des Unternehmens entfernt. Aber auch rund um das Firmengelände wird angepflanzt. «Zur Förderung der Biodiversität haben wir mit unseren Mitarbeitenden an einem ersten Aktionstag verschiedene heimische Pflanzen eingesetzt», erzählt Andy Suter. Und Bienenhäuschen gebaut, Steinhaufen gestapelt, Äste geschichtet. Dafür werde ihnen kein Zertifikat ausgestellt. Das beschreibt wohl, was Stefan Bauer mit: «Wir engagieren uns halt einfach, ohne das gross heraus zu posaunen», meint. Auch bei der Alpinamed AG werde darauf geachtet, dass die Thematik der Nachhaltigkeit bis zu den Mitarbeitenden durchdringt, vermerkt Andreas Bleiker. Zum Beispiel pflanze an ihrem Standort in Romanshorn ein pensionierter Gärtner Gemüse an, welches die Mitarbeitenden kostenlos nachhause nehmen dürfen. Für ihn sei kein Ansatz zu klein, um mehr acht auf die Natur zu geben, schliesst Bleiker. Denn: «Viele Tropfen auf einen heissen Stein lassen diesen doch irgendwann kühler werden.»
Zwei Firmennamen und ein Häuptling
Die A. Vogel AG hat ihren Namen von ihrem Gründer, Alfred Vogel. Doch dies erst seit 2020. Bis dahin war das Unternehmen unter dem Namen Bioforce AG bekannt, welches Vogel knapp 60 Jahre zuvor in Roggwil gegründet hat. Die A. Vogel AG zelebrierte jedoch dieses Jahr ihr 100-Jahr-Jubiläum, da der erste Streich des Basler Naturheilkunde-Pioniers nicht die Bioforce AG, sondern die Eröffnung seines ersten Reformhauses im Jahr 1923 war. Zeitlebens setzte sich Alfred Vogel für die Verwendung der Natur- und Pflanzenheilkunde ein und bildete sich auf vielen Forschungsreisen fort. Auf einer seiner Amerikareisen wurde er durch die Begegnung mit dem Oglala Lakota-Häuptling Ben Black Elk mit der Heilkraft der Wildpflanze Echinacea bekannt gemacht, die heute schon fast symbolisch für A. Vogel steht.
Österreich und ein runder Geburtstag
Die Alpinamed AG feiert dieses Jahr ihren 40. Geburtstag. 1983 wurde das Unternehmen in Freidorf von Peter Häcker gegründet, der die Wirkung von Heilpflanzen mit dem Rest der Welt teilen wollte. Seit dem Jahr 2000 gehört die Alpinamed AG zur Gebro Holding GmbH, einem österreichischen Pharmaunternehmen. Die Alpinamed AG beliefert seither Gebro Pharma mit Pflanzenextrakten, welche in deren pharmazeutischen Produkten zum Einsatz kommen. Ihrem Fokus bleibt die Alpinamed AG aber nach wie vor treu. Dieser gilt der Entwicklung und Herstellung pflanzlicher Wirkstoffe und Präparate für markeneigene pharmazeutische Produkte, Nahrungsergänzungsmittel sowie kosmetische Produkte, welche unterdessen weltweit im Fachhandel vertrieben werden.