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Von wegen tote Altstadt

Der Tod der Arboner Altstadt wurde schon so oft deklariert, dass er von vielen als Fakt hingenommen wird. Ein Blick in die seit Jahren in der Altstadt wirtschaftenden Läden zeichnet jedoch ein differenzierteres und lebendigeres Bild.

Laura Gansner

Kollektives Ausatmen. So hören sich die Gespräche zur Arboner Altstadt mit Geschäftsführenden aus besagtem Stadtteil an. Die Ressonanz ist einheitlich: Man ist froh, ja erleichtert, für einmal loswerden zu können, wie der eigene Arbeitsort jahrein, jahraus erlebt wird. Bis auf Patricia Schmid («Rosenquarz», seit 2023 in der Altstadt) führen alle Befragten ihre Läden seit mehreren Jahren im «Städtli»: Franziska Röhrl («Filati», seit 1919 in der Altstadt, seit 1994 geführt von Röhrl), Peter Mayr («Optiker Mayr», seit 1974), Heidi Weh («Freude schenken», seit 2019), Marieangela Kotte («Fusspflege am See», seit 2014) und Yvonne Giger («Natürli», seit 2007). Die vorherrschenden Erzählungen über eine tote Altstadt verneinen sie nicht nur mit ihrer Existenz, sondern auch mit ihren Worten. Und das nicht, ohne dabei mit Verbesserungsvorschlägen zurückzuhalten, doch schwingt dabei stets ein unüberhörbarer und widerstandserprobter Optimismus für die Zukunft dieses Stadtteils mit.

«Ich finde es furchtbar, wenn die Altstadt als tot verschrien wird, denn wie wollen wir so neues Gewerbe anlocken?»
Heidi Weh, Geschäftsführerin «Freude schenken»

Ist die Arboner Altstadt tot?

Die Erzählung einer toten Altstadt will keine und keiner der befragten Geschäftsführenden bejahen. Peter Mayr, der seit bald 50 Jahren sein Optiker-Geschäft am Fischmarktplatz führt, betont zwar, dass sich die Altstadt im letzten halben Jahrhundert merkbar entleert hat – angefangen bei der schon lange ausbleibenden Arbeiterschar der Saurer AG auf dem heutigen ZIKAreal über die Schliessung langjähriger Ladengrössen, die keine Nachfolge fanden oder sich in einen anderen Stadtteil abgesetzt haben bis hin zum durch das Internet veränderten Konsumverhalten der Kundschaft. Auch Yvonne Giger, die mit dem «Natürli» seit 17 Jahren am Marktplatz angesiedelt ist, hat einen Teil dieser Veränderungen miterlebt und sieht klaren Handlungsbedarf, um wieder eine grössere Anzahl und Durchmischung an Gewerbe in die Altstadt zu locken. Nichtsdestotrotz lebt die Altstadt weiter, so Giger: «Es sind nach wie vor Läden da, die Tag für Tag etwas für die Altstadt tun.» Dass es ruhigere Zeiten und Orte gibt, bestreitet indes niemand. «Es gibt nicht das eine Zentrum in der Arboner Altstadt, sondern viele verschiedene Gassen und Plätze», erklärt Marieangela Kotte von der «Fusspflege am See». So sei auch die Metzgergasse, in welcher ihr Geschäft liegt, eher ruhig. Doch das tut ihrem Geschäft keinen Abbruch: «Ich bin so ausgebucht, dass ich zur Zeit gar keine Neukunden mehr annehmen kann.» Heidi Weh von «Freude schenken» am Fischmarktplatz bringt schlussendlich auf den Punkt, was die Mehrheit der Befragten in mehr oder weniger deutlichen Worten zum Ausdruck bringt. Die Erzählung der «toten Altstadt» sei nicht nur falsch, sondern eben auch kontraproduktiv, so Weh: «Ich finde es furchtbar, wenn die Altstadt als tot verschrien wird, denn wie wollen wir so neues Gewerbe anlocken?»

«Klar ist es schön, sich den Traum vom eigenen Laden zu verwirklichen, aber dann muss man eben auch Durchhaltevermögen beweisen.»
Franziska Röhrl, Geschäftsführerin «Filati»

Was braucht es, um erfolgreich in der Altstadt zu Wirtschaften?

Ein Erfolgsrezept für die Geschäftsführung in der Arboner Altstadt gibt es nicht, sind sich die befragten Ladenbesitzenden einig. Aus den unterschiedlichen Erfahrungsberichten kristallisieren sich jedoch drei Punkte heraus, die massgeblich als gewinnbringend beschrieben werden:

• Sich sichtbar machen

• Eine Nische bedienen

• Durchhaltewillen zeigen

Der erste Punkt sei insbesondere zu Beginn wichtig, weiss Marieangela Kotte: «Neues Gewerbe muss sich ganz bewusst zeigen.» Und das nicht nur auf den Sozialen Medien, sondern vor allem bei den unterschiedlichen Anlässen in der Altstadt wie der «Usestuehlete» oder dem Adventsfenster, wie die Mehrheit der Befragten betont. Präsent sein sollte man auch untereinander im Gewerbe. Welche Auswirkungen dies haben kann, veranschaulichen die geführten Gespräche deutlich: Alle einzelnen der Geschäftsführenden verweisen früher oder später unaufgefordert auf einen der hier ebenfalls erwähnten Läden als positives Beispiel. Bei einem guten Miteinander empfehle man sich gerne gegenseitig weiter, erklärt Patricia Schmid vom «Rosenquarz». Letztes Jahr hat sie gemeinsam mit Claudia Tobler ihr Geschäft an der Metzgergasse eröffnet. Sie befinden sich also noch mitten der Aufbauphase ihres Ladens, in welchem sie unter anderem Schmuck und Edelsteine verkaufen. «Rosenquarz» ist neben der aktiven Beteiligung im Austausch mit dem Gewerbe und der Teilnahme an Stadtveranstaltungen zudem beispielhaft für den zweiten Erfolgsfaktor für die Altstadt: eine Nische finden und nutzen. «Viele unserer Kunden kommen zu uns, weil sie nach einem spezifischen Produkt suchen und dabei online auf unsere Geschäftswebseite gestossen sind.» Franziska Röhrl, die mit ihrem Fachgeschäft für Wolle Kundinnen aus der ganzen Schweiz zu ihrem Stamm zählen darf, betont, dass es sich lohne, im «Städtli» ein Nischenprodukt anzubieten: «Wenn ich weiss, dass ein anderer Laden bereits ein spezifisches Produkt im Sortiment hat, dann muss ich mich nach einer Alternative umsehen.» Einer Alternative, für die es sich lohnt, in die Altstadt zu kommen, wie Heidi Weh es formuliert: «Mit einzigartigen und hochwertigen Produkten schafft man es, dass die Kunden ins ‹Städtli› kommen.» Und wenn man dann einmal eine Nische gefunden habe, dann müsse man eben durchhalten können, oder wie Weh sagt, «Die Kombination aus Freude, einem guten Service und vor allem Ausdauer führen zum Erfolg». Der dritte Punkt der Erfolgsfaktoren in der Altstadt wird ebenfalls von einer Mehrheit der Befragten betont. Franziska Röhrl führt aus: «Klar ist es schön, sich den Traum vom eigenen Laden zu verwirklichen, aber dann muss man eben auch Durchhaltevermögen beweisen.» Oder genug «Schnuf» haben, wie es Marieangela Kotte formuliert. Sie weiss, wovon sie spricht: Als sie vor zehn Jahren ihre «Fusspflege am See» eröffnete, hat sie für eineinhalb Jahre parallel in einem Angestelltenverhältnis weitergearbeitet, bis sie mit ihrem Geschäft auf eigenen Füssen stehen konnte.

Fachgeschäfte wie das «Natürli» wird es auch in Zukunft in der Arboner Altstadt geben.
Fachgeschäfte wie das «Natürli» wird es auch in Zukunft in der Arboner Altstadt geben.
© z.V.g.

Wer ist für die Aufwertung der Altstadt verantwortlich?

Trotz all des Lobes und der Zuversicht sehen die Befragten aufgrund der Veränderungen über die letzten Jahrzehnte Handlungsbedarf in der Altstadt. «Mehr Laufkundschaft würde uns sicherlich gut bekommen», sagt zum Beispiel Yvonne Giger. Dabei könne aber nicht der Stadt alleine die Verantwortung übertragen werden, stellt Peter Mayr klar: «Ich glaube nicht, dass diese Aufgabe im Alleingang bewältigt werden soll.» Viel mehr sei sie ein Zusammenspiel von verschiedenen Akteuren, wie Marieangela Kotte betont: «Die Stadt, die Liegenschaftsbesitzer und das Gewerbe müssen dafür am selben Strick ziehen.» Die Stadt sei mit ihrer Nutzungsstrategie für die Altstadt bereits auf einem guten Weg, sagt Franziska Röhrl. Insbesondere die enge Zusammenarbeit mit dem Quartier- und Arealentwickler David Keller, welcher seit März 2023 bei der Stadt Arbon angestellt ist, wird von einer Mehrheit der Befragten erwähnt. «Mit ihm haben wir einen direkten Ansprechspartner, was viel Wert ist», führt Heidi Weh aus. Konkrete Forderungen stehen in Bezug auf einen Ausbau der Parkplätze (zwei der Befragten) sowie die Aufwertung des Erscheinungsbildes (vier der Befragten) im Raum. Erste Massnahmen zur Aufwertung will die Stadt noch diesen Monat auf dem Marktplatz umsetzen (siehe Kasten unten). Wie bereits erwähnt liegt die Verantwortung für eine attraktivere Altstadt jedoch nicht alleine bei der Stadt. Am Beispiel der Metzgergasse erklärt Marieangela Kotte, wer wofür Verantwortung übernehmen kann: «Wenn die Stadt hier in die Sanierung der Strasse investierte, die Liegenschaftsbesitzer den Fassaden einen frischen Anstrich verliehen und das Gewerbe auf schöne Schaufenster und dekorative Elemente setzte, dann würde man gleich viel lieber durch die Strasse flanieren.» Auch eine moderate Mietzinspolitik in der Altstadt würde insbesondere neuen Geschäften Anreiz verschaffen zu kommen und zu bleiben. Aus den Ausführungen der Befragten wird deutlich: Die Verantwortung für das erneute Aufblühen der Altstadt ist auf viele Schultern verteilt. «Das Miteinander ist wichtig», bringt es Yvonne Giger vom «Natürli» auf den Punkt. Zu guter Letzt brauche es aber auch die Kundinnen und Kunden, so Marieangela Kotte: «Vieles ist bereits in Bewegung, nun liegt es an den Leuten, auch tatsächlich wieder ins ‹Städtli› zu kommen.»

Für eine lebendige Altstadt braucht es das Miteinander von Gewerbe, Liegenschaftenbesitzern, Stadt und Kundschaft.
Für eine lebendige Altstadt braucht es das Miteinander von Gewerbe, Liegenschaftenbesitzern, Stadt und Kundschaft.
© z.V.g.

Der «neue Marktplatz» wird im Mai eingeweiht

Die Stadt Arbon setzt noch diesen Monat erste Aufwertungsmassnahmen in der Altstadt um. Quartier- und Arealentwickler David Keller berichtet.
Vor zwei Jahren kündete die Stadt mit der Neugestaltung des Marktplatzes erste Aufwertungsmassnahmen im Rahmen der Nutzungsstrategie Altstadt an. Nun soll in diesem Monat mit dem Bau des Podests begonnen werden. Im Mai ist dann die Einweihung des «neuen Marktplatzes» geplant, erzählt David Keller. Informationen zu weiteren Schritten für die Umsetzung der Nutzungsstrategie seien aktuell noch nicht spruchreif, aber die Stadt arbeite mit Nachdruck daran. Für den Quartier- und Arealentwickler bedeutet dies unter anderem, sich aktiv in der Altstadt zu vernetzen. Im Mai nehme er zum zweiten Mal an einer Sitzung der Ladenbesitzenden teil. Keller zeigt sich erfreut: «Es ist ermutigend zu sehen, wie die Geschäfte sich organisieren, um gemeinsam am Erfolg der Altstadt Arbon zu arbeiten.»

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