Wo Dreizehn stets die Glückszahl ist
Alice Hofer«Mein Leben ist nicht so aufregend», erklärt Heinrich Oertly auf die Frage, was er denn am «Stamm 13» jeweils so zum Besten gebe. Möglicherweise untertreibt er ein bisschen, denn der stattliche 91-Jährige mit der erfrischenden Prise Humor hat so einiges auf dem Kasten und ist ein witziger Gesprächspartner. Immerhin ergänzt er: «Mein Leben ist vielseitig und angenehm, wir haben gute familiäre Beziehungen, Enkel und Urenkel, was wir sehr geniessen.» Soweit, so gut, aber was spielt sich nun im «Stamm 13» wirklich ab?
13 sind es, 13 bleiben es
Man lästere natürlich, gibt er unumwunden zu. Man rede über das Tagesgeschehen, die jüngsten Ereignisse in der Gemeinde und «was die wieder alles angestellt haben». Damit meint er auch «die Politiker» mit ihren unergründlichen Motiven, wie etwa bei der ehemaligen «Wunderbar», die plötzlich zum historischen Denkmal erkoren worden sei. «Nur weil ich da oft zu Mittag gegessen habe, ist sie noch lange nicht schützenswert», sagt er selbstironisch, «solcherlei Baracken gibt es im Militär zu Hunderten!» Eigentlich sei man politisch eher inaktiv, obwohl die meisten früher ein Amt in einer Partei innegehabt hatten. Entstanden sei der «Stamm 13» vor 51 Jahren aus einer Runde Handwerker beim «Znüni» und löse sich jeweils nach einer Stunde wieder auf. «Es war damals üblich, dass die Handwerker von 8.30 bis 9.30 Uhr Pause machten und die Chefs dann von 9.30 bis 10.30 Uhr.» Und ja, es werde tatsächlich nur Kaffee getrunken, kontert er meine Neugier. «Es sei denn, einer hat Geburtstag, dann nehmen wir schon mal einen Weissen.» Die Anzahl – alles Rentner – bleibe stets Dreizehn; und wenn man sich von einem verabschieden müsse, werde halt wieder ein neuer gesucht, meint er lakonisch. Früher habe man gemeinsam ausgedehnte Radtouren unternommen, später dann mit E-Bikes und inzwischen auch mit öV.
Die Besserwisser unter sich
Was denn ihr Leitbild sei, Sinn und Zweck der Gruppe, frage ich. «Wir wissen alles, und wir wissen alles besser», antwortet Oertly mit süffisantem Unterton. Daraus lässt sich wohl schliessen, dass er und seine Kumpanen auch und vor allem über sich selber lachen können, denn ein solch pointiertes Selbstbewusstsein sieht man nicht alle Tage. «Ausserdem machen wir mindestens einmal pro Jahr einen Bildungs-Ausflug wie etwa Fischzuchten, Kehricht-Verbrennung, die sogenannten Käsehöhlen in Kaltbach, die Swatch Biel mit Omega-Museum. Meistens sind diese Vorschläge auf meinem Mist gewachsen und ich bin es auch, der alles organisiert – weil es mir Freude macht.» Das glaubt man ihm aufs Wort. Er wirkt wie jemand, der einer Verpflichtung nur zustimmt, wenn er sie auch stemmen kann, oder den Mut hat, Nein zu sagen. Er hat immer viel und gerne gearbeitet und sich nützlich gemacht, auch unentgeltlich. Nach der Mechanikerlehre absolvierte er noch die Handelsschule. Seine erste Stelle war in einer Garage in Lyss in Bern, wo er seine Frau Kathrin kennenlernte, eine Floristin aus dem benachbarten Aarberg. «Wer hat wen überzeugt, in die Ostschweiz zu ziehen?», will ich wissen. «Ich sie natürlich!», sagt er prompt mit seinem typischen trockenen Humor. Nach dem Umzug begann er bei «Saurer», sie wohnten in Wittenbach und zogen drei «gut gelungene» Kinder gross, auf die sie stolz sind. Kathrin Oertly betrieb ein florierendes Blumengeschäft in Arbon.
Die Kunst, sich neu zu arrangieren
Alles lief prima, bis an jenem 2. März 1982, als Oertly unterwegs war im Auto und aus dem Radio vernehmen musste: «Saurer gibt auf.» Der Schock war gross. Aber Oertly liess den Kopf nicht hängen: Er fand bald einen anderen Arbeitgeber und betreute fortan die Autohändler in der Deutschschweiz. Es gibt eben Menschen, deren Glas immer halb voll ist. So einer ist Heini Oertly. Auf seinen Dialekt angesprochen, stellt er klar: «Ich bin kein Thurgauer, ich bin kein Berliner, ich bin St. Galler! Obwohl ich den Gallus nie persönlich getroffen habe.» Dennoch verliessen die beiden das St. Gallische Wittenbach nach 40 Jahren und zogen nach Arbon, wo sie sich nun schon seit 16 Jahren wohl fühlen. Inzwischen feierten sie sogar «Quecksilberhochzeit» (63 Jahre) und haben sich gemeinsam ihren lebendigen, kecken Charme bewahrt. Und was möchte Heini Oertly der jungen Generation ganz allgemein sagen? «Anstatt nur zu fordern, dürfte man auch mal einfach zufrieden sein mit dem, was man hat, ohne immer mehr haben zu wollen.
Menschen erzählen ihre Geschichten
In der Serie «Lebenslinien» lädt «felix.» die ältere Leserschaft (ab 65 Jahren) zum Gespräch ein. Erzählen Sie uns Ihre Erlebnisse, Einsichten und Weisheiten. «felix.»-Reporterin Alice Hofer besucht Sie gerne in Ihrem Daheim. Die Porträts erscheinen in lockerer Reihenfolge in der Zeitung. Wenn auch Sie aus Ihrem Nähkästchen plaudern wollen, melden Sie sich bei uns per Mail an hofer@mediarbon.ch oder telefonisch unter 071 440 18 30.