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Wohnräume rücken an Industrie heran

Die ehemalige Produktionsstätte der Sais ist fester Bestandteil des Ortsbilds in Horn. Neu stehen und entstehen daneben Wohnquartiere, die zu einer Annäherung von Wohnen und Industrie führen. Und damit die Frage nach Interessenskonflikten zwischen Gewerbe und Anwohnenden aufwirft.

Laura Gansner

Wie Sanddünen ragen die Berge aus Saaten im Speicher der Oleficio Sabo AG in die Höhe. Steht man oben auf dem schmalen Holzsteg, der sich über die gesamte Länge der Halle erstreckt, sind die Spitzen der Saaten-Berge fast zum Greifen nah. Lorenzo Centonze, CEO der Oleficio Sabo AG, macht eine ausschweifende Handbewegung: «Bis zu 6000 Tonnen an Saaten können wir hier in fünf Abteilen lagern.» Unter seinen Füssen knarzt das Holz bedächtig, fast so, als würde es daran erinnern wollen, wie lange es schon über dieser Lagerhalle schwebt. Seit 1916, um genau zu sein, als die Produktionsstätte in Horn für die Öl- und Fettwerke Sais errichtet wurde. Diese schloss sich ein gutes Jahrzehnt später jenem Konzern an, der heute als Unilever bekannt ist. Über 80 Jahre lang stellte «Sais» auf dem Areal Speiseöle und Margarine her, bis die Produktionsstätte im Jahr 2001 in Horn aufgrund der Fusion mit Unilever Bestfoods geschlossen werden musste. Dies erwies sich für das Tessiner Unternehmen «Sabo» als Glücksfall. Es erwarb das stillgelegte Areal zwei Jahre später. Zu Beginn noch als Ergänzung zur Ölverarbeitung in Lugano fungierend, entwickelte sich der Standort in Horn in den letzten zehn Jahren zur Hauptproduktionsstätte von «Sabo».

Gotthard-Tunnel bereitet Sorgen

«Anfangs hatten wir gerade einmal 15 Personen hier im Einsatz, unterdessen sind es rund 80», berichtet Lorenzo Centonze über die Entwicklung des Horner Standorts. Der ausschlaggebende Faktor für diese komplette Verlagerung vom Tessin in den Thurgau war die Ankündigung des Bundesrats im Jahr 2008, den Gotthard-Tunnel für Sanierungsarbeiten über einen längeren Zeitraum schliessen zu müssen. Centonze erinnert sich: «Die Zeit, bis dieses Vorhaben in Tat umgesetzt werden könnte, hing über uns wie ein Damokles-Schwert.» Denn «Sabo» stellte zum damaligen Zeitpunkt noch einen signifikanten Teil ihrer Produkte im Tessin her, während aber bereits ein Grossteil der Lieferanten und der Kunden in der Deutschschweiz ansässig waren.

Transfer an den Bodensee

Der Wechsel nach Horn – welcher von 2011 bis 2013 dauerte – war eine anstrengende Zeit, erinnert sich Lorenzo Centonze. «Die Kundschaft sollte schliesslich keine Einbussen spüren durch unsere Produktionsverlagerung.» Eine Herausforderung, wenn man bedenke, dass man neue Mitarbeitende einarbeiten und in ihre Kompetenzen hineinwachsen lassen musste. Denn: «Unsere Maschinen sind nur so gut wie der Mensch dahinter.»

Umgeben von Wohnraum: Direkt neben dem «Sabo»-Areal liegt das Neubau-Projekt Aurelia mit über 100 Wohnungen und auf der gegenüberliegenden Strassenseite plant Grundeigentümer Reto Peterhans, die Parzelle mehrheitlich für Wohnfläche zu nutzen.
Umgeben von Wohnraum: Direkt neben dem «Sabo»-Areal liegt das Neubau-Projekt Aurelia mit über 100 Wohnungen und auf der gegenüberliegenden Strassenseite plant Grundeigentümer Reto Peterhans, die Parzelle mehrheitlich für Wohnfläche zu nutzen.
© Kevin Fitzi

Die gesamte Produktion wurde im Laufe des Standort-Wechsels nach Horn verlagert: von Jobs an der Produktionslinie über Logistiker und Mechaniker bis hin zu Laborantinnen und Laboranten sowie die Qualitätssicherung und die Personalabteilung. Centonze selbst sei während dem Transfer ebenfalls viel vor Ort gewesen, aber «unterdessen läuft die Produktion in Horn unter unserer Firmenstrategie praktisch autonom.»

Plötzlich hatten sie Nachbarn

Während Lorenzo Centonze über das weitläufige Sabo-Areal führt – auf 40 000 Quadratmetern befindet sich vom Kern-Lager, den Ölpressen, den Aufbewahrungshallen sowie den Abfüllungs- und Verpackungs-Anlagen alles – weht einem ein nussig-erdiger Geruch in die Nase. Dieser entstehe beim Auspressen der Saaten, währenddessen diese erhitzt werden. «Je nach Windrichtung, ist dieser auch in der Nachbarschaft wahrnehmbar», meint er und deutet mit einem Kopfnicken auf die Überbauung Aurelia östlich des ‹Sabo›-Standorts. Dort sind unterdessen bereits die ersten Anwohnenden eingezogen. Über diese direkte Nähe zu einem Wohnquartier macht sich Centonze jedoch keine Sorgen. Einerseits existiert die Produktionsstätte bereits seit über 100 Jahren, «Sabo» selbst ist seit 20 Jahren vor Ort. Die Hornerinnen und Horner würden das Unternehmen kennen, mehr noch: «Wie ich aus Gesprächen raus höre, sind sie auch ein wenig stolz auf dieses Stück Industriegeschichte.» Andererseits wachse die Schweizer Bevölkerung stetig und brauche immer mehr Platz, ergo: Industrie und Wohnen nähern sich räumlich immer mehr an. «Deshalb muss ein annehmliches Zusammenleben für beide Seiten gefunden werden.»

Luft nach oben nutzen

Damit dieses Zusammenleben gelingen kann, würde sich «Sabo» aber nicht nur darauf verlassen, dass sie bisher noch nie Reklamationen erhalten hätten, wie Lorenzo Centonze sagt: «Wir prüfen ständig neue Möglichkeiten, um proaktiv allfällige Emissionen zu optimieren und zu verbessern.» So sei man aktuell in Zusammenarbeit mit der Hochschule Ostschweiz in der Ausarbeitung verschiedener Projekte, um Geruchsemissionen weiter zu verringern. «Sabo» sei klar: «Unsere Nachbarn haben Bedürfnisse und diese wollen wir ernst nehmen.» Reto Flückiger von der Red Real Estate AG, welche das Projekt Aurelia unter sich hat, stimmt den Aussagen von Centonze im Grossen und Ganzen zu: «Die Nähe zur ‹Sabo› können wir beim Verkauf und der Vermietung unserer Wohnungen natürlich nicht wegdiskutieren.» Aber dies sei auch allen, die ins «Aurelia» einziehen, bewusst. Und kein Hinderungsgrund, wie man dem grossen Interesse an der Liegenschaft entnehmen könne. Die 29 Eigentumswohnungen seien bereits seit über einem halben Jahr alle verkauft, von den 80 Mietwohnungen sind aktuell noch fünf frei.

Seelage siegt

Auf der gegenüberliegenden Strassenseite vom «Aurelia» werden in absehbarer Zeit ebenfalls neue Wohnungen entstehen. Voraussichtlich im Winter 2025 sollen rund 230 Wohneinheiten einzugsbereit sein, wie der Immobilien-Projekt-Entwickler Mettler2Invest an der letzten Informationsveranstaltung im Dezember 2022 vernehmen liess. «Mit unserer Projektplanung sind wir auf Kurs», berichtet Ida Zepp, Marketingverantwortliche.

Ein Öl-Saaten-Berg: Im Speicher der Sabo AG können insgesamt bis zu 6000 Tonnen Saaten gelagert werden, die später zu Öl verarbeitet werden.
Ein Öl-Saaten-Berg: Im Speicher der Sabo AG können insgesamt bis zu 6000 Tonnen Saaten gelagert werden, die später zu Öl verarbeitet werden.
© z.V.g.

Um mögliche Störfaktoren durch die Nähe zur Industrie mache man sich bei «Mettler2Invest» keine Sorgen: «Die Lage direkt am See spricht für sich.» Auch die Nähe zum Gewerbe auf der angrenzenden Parzelle von Reto Peterhans sowie auf dem eigenen Gelände nehme man gelassen. «Mit dem Schwärzibach sorgen wir schliesslich für eine natürliche Trennung von Wohnen und Gewerbe.»

Unsicherheit auf Peterhans-Areal

Wie sich die Gestaltung auf dem Gelände von Reto Peterhans entwickeln wird, ist zur Zeit noch offen. Der Grundeigentümer setzt zur Zeit auf seine ganz eigene Strategie: den Horner «Regierungswechsel» abwarten. Die Gespräche mit dem amtierenden Gemeindepräsidenten sowie dem Verantwortlichen der Bauverwaltung, welche beide noch bis Ende Mai für die Gemeinde Horn tätig sind, empfindet Peterhans als schwierig, weshalb er auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit mit der Gemeinde unter dem neuen Gemeindepräsidenten hofft. Es könne sein, dass mit der Neubesetzung des Präsidiums neue Inputs in den Prozess hineinkommen, so der noch amtierende Gemeindepräsident Thomas Fehr. Er stellt jedoch klar: «Die Verhandlungen zwischen Gemeinde und Bauherr werden auch in Zukunft auf Fakten basieren.» Das Ziel von Reto Peterhans in zukünftigen Verhandlungen mit der Gemeinde ist klar: Er möchte die auf dem Richtplan vorgesehene Aufteilung von 80 Prozent Gewerbe und 20 Prozent Wohnanteil zu Gunsten des Wohnens verändern. Auf der See-Seite soll gewohnt werden, zur Strasse hin wolle er gerne den bereits bestehenden Gewerbe-Riegel stehen lassen.

Konflikt-Potential minimal

Die Gewerbe-Inhaber, die zur Zeit auf der Parzelle von Peterhans residieren, geben sich kollektiv unbesorgt über diese anstehende Veränderung. Für Frank Stähli, CEO der Feintron AG, einem Hersteller für elektrische Geräte, ist klar, dass seine Firma eine mögliche Umnutzung der Parzelle für mehr Wohnanteil nicht betreffen wird, da sie im Gebäude direkt an der Strasse, oberhalb vom Denner, eingemietet sind. Auch um Lärmemissionen sorgt er sich nicht: «Eine unserer Maschinen erzeugt bei der Produktion teilweise leichte Vibrationen, die aber höchstens im Denner zu spüren sein würden.» Und von deren Seite habe man noch nie Reklamationen erhalten, lacht Stäheli. Allgemein seien alles sehr ruhige Gewerbe, kommentiert er. Die Anlieferungen vom Denner wären wohl noch das hörbarste. Thomas Kaderli, Mediensprecher der Denner AG, geht jeodch nicht davon aus, dass dies ein Problem werden könnte mit zukünftigen Anwohnenden. «Ansonsten haben wir aber immer ein offenes Ohr für Anliegen aus der Nachbarschaft».

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