Bühnenreife Versammlung
Kim Berenice GeserAchtung Gemeindeversammlung! Was vor wenigen Wochen noch der Plot eines Theaterstücks war, wird vergangenen Dienstag im selben Saal zur Realität. Zwar sind Besetzung und Bestuhlung anders, die Story der Steinacher Bürgerversammlung steht dem Bühnenstück jedoch in nichts nach. Vor einem ausverkauften Haus – 319 Stimmberechtigte sind anwesend, was einer rekordhohen Stimmbeteiligung von 14,5 Prozent entspricht – muss der Steinacher Gemeinderat die roten Zahlen des Finanzhaushalts verteidigen und eine Steuerfuss-Erhöhung um 7 Prozent auf neu 122 Prozent erwirken. Denn die Rechnung 2024 schliesst mit einem Aufwandüberschuss von knapp 770 000 Franken ab. Für das laufende Rechnungsjahr ist bereits ein Minus von gut 870 000 Franken budgetiert. Ohne Steuererhöhung würde das Defizit noch einmal um eine halbe Million Franken höher ausfallen.
Ortsplanung soll’s richten
Während die Ausführungen zur Rechnung zwar rund eine Stunde in Anspruch nehmen und einen beinahe schon traditionell intensiven Exkurs in die Finanzlage des «Lebensraum Gartenhof» beinhaltet, wird sie dennoch diskussionslos angenommen. Sieht man einmal von den Voten ab, die im Zuge der Rechnungsbesprechung gemacht werden, sich allerdings auf die Budget-Debatte beziehen.

Einmal hier angelangt, nimmt die Versammlung Fahrt auf. Gemeindepräsident Michael Aebisegger betont, dass die gebundenen Ausgaben der Gemeinde seit 2019 stark gestiegen seien – unter anderem wegen Schulgeldern, Gesundheits- und Sozialkosten sowie neuer Abschreibungen und Zinskosten für den Sporthallen-Neubau. Auch Werkleitungen und weitere Infrastrukturen müssen dringend saniert werden. Gespart werde, wo immer möglich – aber nicht auf Kosten der Standortattraktivität. Um neue Steuerzahler anzulocken, brauche es endlich eine gültige Ortsplanung, deren Auflage nach den Frühlingsferien geplant sei. Kurzfristig helfe aber nur eine Steuererhöhung.
Kreative Ideen und ein Querulant
Votant Richard Orthmann unterstützt die Erhöhung und nennt die Steuersenkung 2019 rückblickend einen Fehler. «Wir haben davon profitiert und stehen jetzt vor einem Scherbenhaufen.» Diesen aufzuräumen, sei nun Aufgabe der Gemeinschaft. Anders sieht das Markus Steinmann. Er beantragt gar eine Senkung des Steuerfusses auf 110 Prozent – und bringt gleich eine Power-Point-Präsentation mit, anhand derer er dem Publikum seine Ideen zur Verbesserung des Steinacher Finanzhaushalts erläutert: höhere Gebühren für Hafenliegeplätze, eine Erweiterung des Mobilheimparks, Übertragung der Sportanlage Bleiche an den FC Steinach inklusive aller Kosten sowie die Reduktion des Gemeinderats auf fünf Mitglieder. Auch die Auflösung von Kommissionen ohne Kompetenzen schlägt er vor – inklusive der Umwelt und Energie Kommission, in der er selbst sitzt: «Wir haben dort eine gute Zeit, bewirken aber nichts.» Trotz ausführlichem Plädoyer fällt sein Antrag auf Rückweisung des Budgets bei den Anwesenden durch. Auch wenn Aebiseggers komplex formulierte Abstimmungsfrage kurzzeitig für Verwirrung sorgt.
Ein bühnenreifer Abgang
In der Folge kommt es zum Eklat, als Andreas Graf Aebisegger eine unprofessionelle Versammlungsführung und fehlerhaft durchgeführte Abstimmungen vorwirft. Graf, der in der Vergangenheit vergeblich für verschiedene politische Ämter auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene kandidierte, erntet für seinen Auftritt Buhrufe. Aebisegger weist den Vorwurf zu Recht zurück, woraufhin Graf zusammen mit seiner Frau wutentbrannt aus dem Saal stürmt. Es folgt ein Szeneapplaus und der Gemeindepräsident kehrt scheinbar ungerührt zur Tagesordnung zurück. Ganz kalt lässt ihn das Intermezzo allerdings wohl nicht. Denn als es gilt den Antrag der FDP, die Steuern nur um 5 Prozent zu erhöhen, demjenigen des Gemeinderats gegenüber zu stellen, sorgt seine erneut komplizierte Formulierung wieder für Unklarheit, bis Gemeindeschreiber Reto Schneider klärend eingreift. Die Abstimmung wird wiederholt und die 7 Prozent obsiegen mit 30 Stimmen Vorsprung. Am Ende der Debatte wird das Budget inklusive neuem Steuerfuss mit 170 Ja- zu 115 Nein-Stimmen angenommen.